Dienstag, 23. April 2024

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Julien Ceccaldis "Solito"
30 und noch Jungfrau

Männlich, weiblich oder divers: Der kanadische Manga-Cartoonist Julien Ceccaldi spielt mit den Geschlechtern. Und auch der Protagonist seiner ersten Einzelausstellung "Solito" kann sich nicht selber gendern. Entstanden ist "Solito" am klassischen Kunstort: im Kölnischen Kunstverein.

Von Peter Backof | 10.09.2018
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    Eine der Arbeiten des kanadischen Cartoonisten Julien Ceccaldi (Simon Vogel)
    "Solito? Why aren't you in bed yet? You're 30 years old, you should know better!"
    Regelrechte Scharen von Menschen um die 30, mit allem Augenschein nach akademischem Background, interessiert das! Die Präsentation, Lesung, Animation und Skulpturen-Ausstellung der Manga Comedy "Solito" von Julien Ceccaldi im Kölnischen Kunstverein.
    Julien Ceccaldi: "Alles dreht sich um so eine Lolita-Figur. Aber er, in dem Fall, ist gar nicht mehr jung; Solito ist 30 und tut immer noch so, als wäre er ein unschuldiges - und dabei perverses – Mädchen."
    "Oh my god, I can't die a virgin! Swoosh."
    Manga Tragi-Comedy
    Na klar ist das lustig, wenn der Wahl-New Yorker Ceccaldi - 1987 in Kanada geboren und damit selber um die 30 - nicht nur die Sprechblasen- und Panel-Texte, sondern auch Actionwörter vorliest. Hier ist alles operettenhaft verkitscht und überzeichnet zur Manga-Tragi-Comedy: Solito ist ein androgynes Kind-Held-Mischwesen und noch Jungfrau. Er - oder sie - spielt mit Puppen, liest am liebsten den ganzen Tag lang im Bett und vergnügt sich mit sich selbst, während der Bart sprießt.
    Die Eltern glucken machtlos um ihn herum. Im ersten Moment denkt man, diese Familie sollte mal dringend zum Psychiater gehen, aber schnell wird klar: Der Solito-Komplex nimmt sich selbst nicht allzu ernst, und der Plot – mit 28 Seiten der längste Cartoon, den Ceccaldi je gezeichnet hat - ist nur eine Vorlage.
    "Die Idee ist, dass auch die Besucher mit Puppen spielen und mit Skeletten Kaffeekränzchen halten. Und so rutscht man selber körperlich hinein in meine Traum- oder Albtraum-Welt, in der alle Szenen und Posen vage und mehrdeutig sind."
    Ein Kinderbett, eine Wand in Zartrosa, ein Skelett, das sich offenbar zur Masturbation in den den Slip greift, ein Pickel, der in einem Profilfoto ausgedrückt wird. Ein schneller Gag.
    "Squeeze!"
    Ausstellung wird zum Manga
    Auch die Ausstellung wird zum Manga. Groß angelegt auf drei Etagen; wirkt zunächst wie ein Psycho-Puzzle, das es zu lösen gilt. Aber dann wird klar: Das sind hier alles nur Effekte. Bereit zum schnellen posten. Die Skelette sind so lebens-, beziehungsweise verwesungsecht, am Boden ausgelegt wie in Gunther von Hagens "Körperwelten". Besonders imponierend: die Hinterglas-Malerei mancher Solito-Panels auf die Fensterfront des Kölnischen Kunstvereins gesetzt, formal und in einer Reihe, wie ein zufällig typisches Comic-Format. Julien Ceccaldi:
    "Hier können Sie Spuren meiner Hände entdecken. Öliges Schwarz und Holzschutzlasur auf PVC. Halb transparent, wie Fenstermalerei, oder wie Kirchenfenster gestaltet. Und es strahlt nach draußen! - soll von der Straße aus betrachtet besonders gut aussehen."
    Wirklich gelungene Eyecatcher, die die Schau auf die Straße verlängern und hereinlocken. Julien Ceccaldi adaptiert die Manga-Zeichen-Sprache mit den großen Panels zwischendurch, in denen Protagonisten in Pose einfrieren und das gerade Erlebte nochmal reflektieren. Nicht um dem Manga-Idiom stilistisch gerecht zu werden, sondern weil Manga längst eine global verständliche Bildsprache ist, zeichnet und modelliert Ceccaldi so.
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    Eine der Arbeiten des kanadischen Cartoonisten Julien Ceccaldi (Simon Vogel)
    Tragik als Lebensgefühl
    "Wie kann man Emotionen möglichst expressiv darstellen? Darum geht es in Manga. Und das Haupt-Stilmittel und Vehikel dabei sind die Augen. Wie viel Glanz ist da oder wie stark flackern die Pupillen? - als Zeichen dafür, wie emotional eine Figur gerade ist. In Manga, speziell für junge Mädchen produziert, wird es am deutlichsten. Da geht es irgendwie nur noch um: Romantik, Zerrissenheit, Tragik als Lebensgefühl."
    Und was wird nun eigentlich aus Solito? Der wird in einer aberwitzigen Sause durch ein Zitate- und Referenzen-Gewitter geschickt. Von den grausamen Märchen Hans Christian Andersens über die Erdbeerfelder der Beatles ins Land, wo es immer Kuchen gibt und wo die Schöne und das Biest flirten. Und das ist es am Ende: Durch diese Ausstellung scrollt man sich als Besucher wie durch eine Social Media-Time und News-Line. Julien Ceccaldi gilt mit seinen Cartoons und Memes als Protagonist einer Internet- und auch schon Post-Internet-Kunst. Seine Arbeiten sind Hingucker, deren Thema auch schon allein die Aufmerksamkeitsspanne der Betrachter ist. Aus Popart wird Popup-Art. Das ist nicht allzu tiefgründig, aber es steht auch für ein Lebensgefühl der Generation: Informiert, durch-ironisiert und durch Pornos aufgeklärt. Schwärme von Followern an diesem Abend liken das!