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Jung, jüdisch, "J Street"

Eine junge, jüdisch-amerikanische Lobbygruppe mischt zurzeit die etablierten Interessenvertretungen auf: "J Street" setzt sich in den USA für den sofortigen Stopp des israelischen Siedlungsbaus und die Verhandlung einer Zwei-Staaten-Lösung ein.

Von Katja Ridderbusch | 26.09.2009
    "'If America does not stop pressuring Israel to give up land, I believe God will bring this nation into judgment.' - For too long, these have been the loudest voices in American when it comes to Israel and the Middle East. They say theirs is the only way to be pro Israel. They attack those who do not conform to their views? But do they speak for you?"

    Mit diesem suggestiven Rundfunkspot wirbt die junge, jüdisch-amerikanische Lobbygruppe "J Street" für sich und ihre Ideen. Sie drängt Politik und Bürger zum kritischen Engagement für Israel und attackiert jene, die "ihren Weg für den einzig wahren zum Wohl Israels halten", wie es in dem Werbespot heißt. Kurz: "J Street" spricht den etablierten jüdisch-amerikanischen Lobbyisten ihr Monopol als Meinungsmacher für die Sache Israels ab.

    Die junge Grassroot-Bewegung will vor allem ein Gegenpol zu Aipac sein, dem "American Israel Public Affairs Committee". Das ist die mächtigste unter den jüdisch-amerikanischen Lobbygruppen. Aipac wurde in den 50er-Jahren gegründet, hat mittlerweile mehr als 100.000 zahlende Mitglieder und pflegt Verbindungen tief in die feinsten Verästelungen des US-Kongresses.

    Doch heute ist es "J Street", das den Kapitolshügel in der Hauptstadt Washington gewaltig aufmischt. Eine erfrischende Alternative und politische Bereicherung finden viele Beobachter - unter ihnen auch der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, der in seiner Amtszeit das Camp-David-Abkommen zwischen Israel und Ägypten verhandelte.

    "'J Street' verkörpert eine moderne Strömung unter den jüdisch-amerikanischen Organisationen. 'J Street' ist eine von vielen neuen Stimmen, die man in der Öffentlichkeit früher nicht gehört hat. Es sind starke Stimmen, sie sind tief mit Amerika verbunden und zugleich in großer Sorge um Israel","

    ... so Jimmy Carter jüngst im Gespräch mit dem Deutschlandfunk in Atlanta.

    "J Street" gibt es seit eineinhalb Jahren, die Organisation hat mehr als 115.000 Anhänger, ein Budget von drei Millionen Dollar und einen Stab von 22 Mitarbeitern, Durchschnittsalter: 30 Jahre. Die Mehrheit der Geldgeber sind liberale amerikanische Juden aus Wirtschaft und Politik. Einer der Financiers der ersten Stunde war der Mega-Investor George Soros.

    "J Street": Der Name entstand aus so etwas wie einer "geografischen Lücke": In Washington gibt es zwischen der I- und der K-Street, dort also, wo sich die Lobbyisten tummeln, keine J-Street, zumindest nicht auf dem Stadtplan. Genau diese Lücke will die Organisation jetzt inhaltlich füllen - mit einer anderen Stimme für Israel, die in der amerikanischen Hauptstadt bislang fehlt. Einer Stimme, die hinterfragen und kritisieren will, erklärt J-Street-Gründer Jeremy Ben-Ami:

    ""Wir als amerikanische Juden müssen klar zu verstehen geben, dass wir Israel zwar unterstützen und dass uns Israels Sicherheit am Herzen liegt. Das heißt aber nicht, dass wir mit allem einverstanden sind, was in Israel passiert und mit jedem, der in Israel an der Macht ist."

    Politisch vertritt "J Street" ähnliche Positionen wie die meisten jüdisch-amerikanischen Gruppen im linksliberalen Spektrum, "Americans for Peace Now" oder das "Israel Policy Forum": sofortiger Stopp des israelischen Siedlungsbaus und Verhandlung einer Zwei-Staaten-Lösung auf der Basis der Grenzen von 1967. In Israel hat "J Street" prominente Anhänger: den Schriftsteller Amos Oz, den ehemaligen Außenminister Schlomo Ben Ami oder den früheren Mossad-Chef Danny Yatom.

    Mehr als 50 jüdische politische Organisationen gibt es in den USA - jede mit einer anderen Geschichte, einer anderen Struktur, einer anderen Mission. Zu den bekanntesten zählen neben Aipac das "American Jewish Committe", der "American Jewish Congress" und die "Anti Defamation League", die sich vor allem dem Kampf gegen Antisemitismus in Amerika verschrieben hat.

    Alle Gruppen - auch "J Street" - verfolgen ein gemeinsames Ziel: das Wohl, die Sicherheit und Unantastbarkeit des Staates Israel. Unterschiedlich sind die Mittel und Wege, wie sie dieses Ziel verfolgen.

    Da sind zum einen die Kernfragen des israelisch-palästinensischen Konflikts, bei denen die Haltungen der jüdisch-amerikanisch Organisationen auseinandergehen: der Umgang mit palästinensischem Terrorismus, die Zwei-Staaten-Lösung, der israelische Siedlungsbau, die Flüchtlingsrückkehr oder der Status von Jerusalem.

    Und da ist zum anderen die Frage, ob und wie stark die amerikanische Regierung auf Israel einwirken und politischen Druck ausüben soll. "J Street" sagt: "Ja, denn pro Israel zu sein, heißt eben auch: Kritik zu üben!" Aipac dagegen betrachtet sich als überparteilich, will sich nicht in den Verhandlungsprozess einmischen und hat in erster Linie eines im Auge: die Sicherheit Israels.

    Das sei der größte Unterschied zwischen Aipac und "J Street", den Etablierten und ihren Herausforderern, sagt Kenneth Stein, Professor für Israelstudien an der Emory University in Atlanta:

    "Aipac vertritt den Standpunkt, dass alles gut ist, was der Sicherheit und Souveränität des Staates Israel dient. Auch 'J Street' liegt die Sicherheit Israels am Herzen, aber die Gruppe fokussiert sich stärker auf einzelne politische Fragen und darauf, wie man die amerikanische Regierung zu mehr Engagement drängen und den Druck auf die israelische Regierung verstärken kann."

    "J Street" nimmt für sich in Anspruch, heute die Mehrheitsmeinung der jüdischen Bürger in den USA zu vertreten - und wird darin vom ehemaligen US-Präsidenten Carter bestätigt. Die Lobby-Gruppe gab vor Kurzem eine Umfrage in Auftrag. Das Ergebnis: 60 Prozent der amerikanischen Juden stehen dem israelischen Siedlungsbau kritisch gegenüber.

    "Positionen, wie sie 'J Street' vertritt, werden von den meisten jüdischen Bürgern in den USA geteilt. Dagegen wird der Kongress noch immer von einer zahlungskräftigen und lautstarken Gruppe um Aipac dominiert. Diese Dominanz aber wird sich in Zukunft verlieren."

    Tatsächlich haben die progressiven jüdisch-amerikanischen Organisationen derzeit politischen Rückenwind. Zum traditionellen Treffen im Weißen Haus lud Präsident Obama auch "J Street" ein, sehr zum Unwillen vieler etablierter jüdischer Lobbyisten. Auch das progressive "Israel Policy Forum", das während der Bush-Administration von der Liste gestrichen worden war, durfte wieder mit dabei sein. Dafür mussten einige konservative Gruppen wie die "Zionistische Organisation für Amerika" und selbst der "American Jewish Congress" ihre Plätze räumen.

    Kenneth Stein, Professor für Israelstudien, warnt allerdings davor, den tatsächlichen Einfluss einer Interessengruppe - welcher Ausrichtung auch immer - daran festzumachen, wer gerade im Weißen Haus regiert:

    "Ich kann wirklich nicht sagen, wer in Zukunft wen verdrängen wird. Die Schlüsselfrage ist aber doch: An wen werden sich die Abgeordneten und Senatoren bei den Kongresswahlen 2010 wenden? Wird es Gelder für Israel und für einen Palästinenserstaat geben? Das sind die Fragen, an denen sich entscheidet, wer wirklich die Macht und den Einfluss hat. Erst dann wird Tacheles geredet, wie wir im Jiddischen sagen."

    Jimmy Carter und Ken Stein halten es für ein positives Signal, dass Präsident Obama den Konflikt im Nahen Osten auf seine politische Agenda gesetzt hat und vor allem, dass er die Vielfalt der Stimmen, Meinungen und Ideen sucht, die sich breiten Spektrum der jüdisch-amerikanischen Organisationen sammeln.

    Bei aller Sympathie für "J Street" bleibt Obama allerdings Pragmatiker. Er braucht die einflussreichen Meinungs- und Politikmacher von Aipac, um überhaupt eine Chance auf politischen Erfolg in den Nahostverhandlungen zu haben. Und so machte er bei seiner Wahlkampftour im vergangenen Jahr denn auch einen Zwischenstopp bei Aipac, anstatt in der "J Street", der neuen, kleinen Straße auf dem politischen Stadtplan von Washington vorbeizuschauen. Das aber wird er vielleicht im Jahr 2012 tun, beim nächsten Wahlkampf.