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Junior-Ingenieure aus der neunten Klasse

Bundesweit fehlen mehr als 35.000 Ingenieure. Aber wo die Fachkräfte suchen? Am besten schon in der Schule, sagten sich die Lehrer des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums in Wismar. Mit Förderhilfen haben sie jetzt die erste Junior-Ingenieur-Akademie Mecklenburg-Vorpommerns gegründet.

Von Melanie Last | 02.12.2010
    "Wir hatten die Aufgabe, unser Traumhaus zu skizzieren oder aus dem Internet rauszusuchen. Worüber wir uns beide gleich einig waren, war, dass wir eine WG machen. Highlight war natürlich gleich der Partyraum mit dem Billardtisch und der Couch."

    Erstes Schulhalbjahr: erstes Semester. Dritte Stunde: Architektur. Die Bauingenieurs-Schüler Kenny und Lucas präsentieren ihrer Klasse den dreidimensionalen Entwurf ihres Traumhauses. Mit einem speziellen Computerprogramm haben sie virtuell Wände hochgezogen, Räume eingerichtet, Holzböden verlegt. Mit einem Beamer projizieren sie ihr Traumhaus an die Wand des Klassenzimmers. Geschickt manövrieren sich die beiden Jungs per Mausklick durch ihre eigens entworfenen vier Wände.

    "Das Ganze ist im Stil von einem dänischen Haus. Rein geografisch für eine Küste konstruiert, dass dieser Item mit den großen offenen Fenstern halt zur Küste zeigt, dass man da schön auf den Strand runtergucken kann. Da habe ich mehrere Tage dran gebastelt."

    ... erklärt Kenny unter den anerkennenden Blicken seiner Lehrerin und einer Architektin. Der 15-Jährige hat sich für die Junior-Ingenieur-Akademie selbst beworben. Er ist einer von 18 Schülern, die angenommen wurden – für das "Studium in der Schule".

    "Allein bei Architektur, da ist ja auch eine praktische Anwendung bei vielen Sachen, wo viele sagen: Hä, wozu brauche ich das? Letztes Jahr angewandte Mathematik, da kam dann öfter die Antwort: Ja, das braucht man für Statik zum Beispiel bei der Architektur. Und jetzt wird es natürlich interessanter, weil man weiß, wofür man das macht. Ich finde, das ist die wichtigste Voraussetzung: es zu verstehen und wofür man das macht."

    Trockene Matheformeln, bloße Zahlen werden hier in der Akademie zum Beispiel zu lebendigen virtuellen Häusern. Das soll den Neuntklässlern Lust auf einen Ingenieursberuf machen, sagt Mathematiklehrerin Manuela Walter. Sie hat das Programm für die insgesamt viersemestrige Akademie ausgearbeitet.

    "Die, die dafür Interesse haben und sonst vielleicht abwandern in die Biologie direkt oder in die Chemie direkt oder bei den Mädchen in die Medizin, Psychologie – gerade die guten Naturwissenschaftler gehen ja oft in den Bereich und es sind ganz, ganz wenig im Bereich der Technologie- und Ingenieurwesen – das wir sie auf den Weg ein bisschen bringen. Und: Wir wollen – dadurch, dass wir mit der Hochschule gut zusammenarbeiten – auch erreichen, dass sie vielleicht mit dem Zertifikat eine etwas größere Chance haben, angenommen zu werden."

    Viel Programm steht in den kommenden zwei Jahren an. Wie funktionieren Solaranlagen? Wie werden technische Geräte, große Maschinen programmiert? Wie werden Kunststoffe chemisch hergestellt ? Begleitet werden die Junior-Akademiker des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums von den Professoren der Hochschule Wismar. Oder, wie im ersten Semester, von der Architektin Heidi Wollensak.

    "Kenny und Lucas haben ihr Haus von innen heraus entwickelt. Das ist ja eine Herangehensweise."

    Geduldig regt sie die Neuntklässler immer wieder zu neuen Ideen an.

    "Ich kann jetzt aber auch von außen herangehen und sagen zum Beispiel: das energiesparendste Haus überhaupt ist eine Kugel. Und dann gehe ich von außen nach innen: Wie kann das funktionieren? Wie packe ich ein Bad in eine Kugel?"

    Heidi Wollensak ist eine von vielen Unternehmern aus der Region, die ehrenamtlich an der Junior-Ingenieur-Akademie mitarbeiten.

    "... weil ich meinen Beruf liebe. Es ist einfach der Wunsch, das jungen Menschen ein bißchen näher zu bringen, ihnen vielleicht eine Entscheidungshilfe zu geben. Dass sie sehen können, ob das ihnen Spaß machen würde, kreativ zu arbeiten oder nicht."

    ... und dass auch manchmal trockenes Handwerkszeug dazugehört, sagt die Architektin und erklärt zwei Schülerinnen, wie sie den Grundriss ihres Traumhauses im richtigen Maßstab aufs Millimeterpapier zeichnen.

    "Wenn ich jetzt also den Meter im Maßstab 1:50 zeichne, dann muss ich die 100 Zentimeter durch 50 dividieren."

    Bis Mitte Januar sollen die Traumhäuser der jungen Akademiker fertig entworfen, skizziert, per Computerprogramm flauschig-gemütlich oder praktisch-modern eingerichtet sein. Nicht jeder soll danach den Wunsch haben, Architekt werden zu wollen. Die 15jährige Saskia Fraaß überlegt aber schon einmal.

    "Ich wollte als kleines Kind immer Architektur machen, weil wir auch selbst ein Haus gebaut haben. das fand ich total spannend. Wenn mein Onkel und mein Vater dann neue Sachen eingebaut haben, dann wollte ich das auch immer gleich ausprobieren. Und jetzt kann ich halt feststellen, ob das wirklich was für mich ist. Und wenn nicht, dann eben nicht."

    Hier wird also nicht nur die Lust auf einen Ingenieursberuf geweckt. Auch der hohen Abbrecherquote der Studierenden wird vorgebeugt – die Junior-Ingenieur-Akademie am Gerhart-Hauptmann-Gymnasium in Wismar.