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Junk, Müll, Ramsch

Ramsch - das Wort hört man in letzter Zeit öfter in den Wirtschaftsnachrichten. Die Ratingagenturen sagen dazu "junk". Die Bedeutungen der Wörter sind jedoch leicht unterschiedlich: Im Ramsch steckt, anders als im junk, immer noch ein Fünkchen Hoffnung auf Gewinn.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 13.07.2011
    Es wird immer klarer: Müll regiert die Welt! Insbesondere Geld-Müll, der entsteht, wenn Geld, also der Wertträger schlechthin, auf irgendeine heimtückische Weise von Entwertung befallen und bis zur Wertlosigkeit zerfressen wird. Das gilt nicht nur für das papierene Wertversprechen namens Geld, sondern auch für Wertpapiere, die selber Geldversprechen sind. Alles wird zu Müll, und diejenigen, die das feststellen, die Rating-Agenturen, nennen das Ergebnis auf englisch junk. Junk kann man wegschmeißen, er ist Antimaterie des Wirtschaftslebens, Ausschuss, Dreck.

    Der deutsche Begriff Ramsch hat eine andere Grundierung, er kommt nämlich aus der Kaufmannssprache. Mit Ramsch verbindet sich nicht nur die Vorstellung des Wertlosen, sondern auch der großen Menge. Da steckt das französische "ramasser" (also: "aufsammeln, zusammenraffen") drin. Für Handelsleute ist etwas, das in großer Menge auftritt, nicht völlig wertlos, sondern bestenfalls nur billig. Man kann es "im Ramsch", das heißt: in Bausch und Bogen aufkaufen und dann weitersehen. Im Ramsch steckt, anders als im junk, immer noch ein Fünkchen Hoffnung auf Gewinn.

    Vor allem in der deutschen Buchbranche hat sich das Wort erhalten. Ein Werk, dessen Absatz so schwach ist, dass sich die Lagerhaltung nicht mehr lohnt, kann nach einer gewissen Anstandsfrist dem Autor gegenüber "verramscht" werden. Konkret bedeutet das: die Preisbindung ist aufgehoben, es wird auf niedrigstem Niveau verkauft, aber es wird verkauft.

    Diese flohmarktartige Atmosphäre ist also die Zukunft unserer Volkswirtschaften. Der Reichtum der Nationen - von Griechenland bis Irland und wer immer folgen wird - verwandelt sich in kleinteiligen Kinderkram, spekulatives Spielzeug, wertentleertes Wischpapier. Ramsch ist das Signum einer Wimmel-Welt, die sich in ihrer dekadenten Sauberhaltungs- und Entsorgungsproblematik windet; Ramsch ist der Fluch, der auf dem heutigen Zuviel-von-allem liegt.

    Nicht von ungefähr tauchte die Vokabel "Ramsch" zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf, zusammen mit der Herstellung und dem Vertrieb von Massenware. Seither hat sich Ramsch auch als ein Aspekt des Geistes- und Gefühlslebens festgesetzt. Ramsch ist gewissermaßen ein Kulturzustand; Ramsch bezeichnet dieselbe Daseinsebene wie Schrott und Kitsch: alles Abfall-Metaphern für den allgemeinen Niedergang unserer Lebenswelt, für Kaputtheit und Funktionsverlust von Dingen und für die Verseuchung der Ästhetik durch Mangel an Originalität und Authentizität. All das gehört zu der depressiven Grundempfindung, die der Begriff "Ramsch" aufruft, und während diese Empfindung für Kulturkritiker nichts Neues ist, wirkt sie auf "die Märkte" mit ihrem Wirtschaftswachstumspositivismus geradezu verheerend.