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Juristen im Dritten Reich
Die Rechtfertigungen des Unrechts

Viele Juristen haben die Taten des Hitler-Regimes mit ihren Auslegungen gerechtfertigt. Die Philosophin Herlinde Pauer-Studer hat sich diese Schriften mit Julian Fink angeschaut und Originaltexte von Rechtsgelehrten veröffentlicht, die sich dem Nazi-Regime nicht nur loyal zeigten, sondern auch an der rechtlichen Umgestaltung des Staates beteiligt waren.

Von Annette Wilmes | 07.07.2014
    Joseph Goebbels und Adolf Hitler in der Ausstellung "Entartete Kunst"
    Joseph Goebbels und Adolf Hitler konnten für die Legitimierung ihrer Verbrechen auf die Unterstützung einiger Juristen zählen. (dpa/picture alliance/Ullstein)
    Gleich nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler verkehrten die Nationalsozialisten den Ausnahmezustand zum politischen Dauerzustand. Es waren Gesetze, die es dem NS-Regime ermöglichten, ohne parlamentarische Kontrolle zu regieren: die Reichstagsbrandverordnung, die bürgerliche Grundrechte stark einschränkte und das Ermächtigungsgesetz, das die politischen Parteien abschaffte. Namhafte Juristen rechtfertigten den Übergang von der Demokratie der Weimarer Republik in den autoritären Führerstaat. Wie das funktionierte und von welchen Motiven diese Juristen sich leiten ließen, erläutert die Herausgeberin Herlinde Pauer-Studer in ihrer ausführlichen Einleitung über das Rechtsdenken im Nationalsozialismus.
    "Die Juristen sind weit gegangen. Sie haben, wenn Sie die Texte von 1933, 1934 bis in die Phase bis '38, '39 anschauen, haben die Juristen eindeutig argumentiert: antisemitisch argumentiert, für die Rassengleichheit argumentiert, gegen den Grundsatz universeller Gleichheit. Die Nürnberger Gesetze wurden von den Juristen vorbereitet und nachträglich auch von den Juristen gutgeheißen. Die Nürnberger Rassengesetze werden als die Verfassungsgesetze des Dritten Reiches postuliert."
    Die Originaltexte haben Herlinde Pauer-Studer und Julian Fink in sechs Kapitel unterteilt, die chronologisch aufeinander aufbauen, aber auch bestimmten Themen zugeordnet sind, wie "Grundsätze des NS-Rechts", "Der Übergang zum nationalsozialistischen Staat", "Staat, Verfassung und Gemeinschaft" oder "Gesetzgebung der Judenverfolgung". Zu den bekanntesten Texten gehört Carl Schmitts "Der Führer schützt das Recht", mit dem er die Morde an dem SA-Stabschef Ernst Röhm und weiteren SA-Funktionären rechtfertigte. Ermordet wurden auch Regimekritiker, darunter der frühere Reichskanzler Kurt Schleicher und seine Frau, insgesamt etwa 200 Menschen.
    Hitler als "oberster Gerichtsherr"
    Hitler selbst hatte die blutigen Taten als Niederschlagung eines Putsches, des sogenannten Röhm-Putsches, dargestellt und nachträglich mit einem "Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934" legalisiert. Carl Schmitt schrieb in seinem Text von Hitler als "oberstem Gerichtsherr", der im "Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums" unmittelbar Recht schafft. Das Führerprinzip wird zur Rechtsquelle, das kommt nicht nur in Carl Schmitts Aufsatz, sondern auch in den Texten anderer bedeutender Juristen zum Ausdruck.
    "Die Juristen waren bemüht, die, sagen wir, teils vulgäre Ideologie zu übersetzen in Rechtsbegriffe und Rechtskategorien. Das waren Juristen, die in führenden Positionen in Ministerien waren. Das waren Juristen, die an Universitäten unterrichtet haben. Das waren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens."
    Wie der bekannte Staatsrechtler Carl Schmitt, damals Professor in Berlin und von Göring zum Preußischen Staatsrat ernannt, wie Ernst Rudolf Huber, Professor in Kiel, dann in Leipzig und Straßburg oder Otto Kollreuter, Professor in Jena und nach 1933 in München.
    "Und was diese Übersetzung in Rechtskategorien mit sich gebracht hat, war, dass dem Regime damit eine Fassade von Legalität verliehen wurde."
    Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus, die Rolle der Juristen in Justiz und Wissenschaft, haben bisher meist Juristen, Historiker oder Politologen untersucht. Herlinde Pauer-Studer nähert sich der Thematik als Philosophin aus einem anderen Blickwinkel. Die "Moralisierung des Rechts" ist für sie der Ausgangspunkt des nationalsozialistischen Rechtsdenkens. Moral muss von Recht getrennt sein, um als Korrektiv von juristischen Entscheidungen gelten zu können. Pauer-Studer schreibt in diesem Zusammenhang von der "kritischen Funktion der Moral". Die NS-Juristen indes setzten damals gültige moralische Grundsätze mit Rechtsprinzipien gleich. "Sittliche Pflicht", "Anständigkeit", "Ehre" und "Treue" wurden für sie zu Rechtsbegriffen. Besonders deutlich wird dies bei der Umformung des Strafrechts. Hitler selber hatte eine Kommission zur Reform des Strafrechts eingesetzt. In der saßen führende Juristen, Universitätsprofessoren und hohe Beamte unter der Leitung des Justizministers Franz Gürtner.
    "Und diese Kommission hat gearbeitet an einer Verschiebung des Strafrechts: hin von einem tatgebundenen Strafrecht zu einem Willensstrafrecht, wo der Wille des Täters, der böse Wille des Täters das Subjekt des Strafens ist. Und diese Verschiebungen muss man alle sehen und erkennen, um zu verstehen auch, welchen Beitrag hier die Juristen geleistet haben."
    Den Gegner "vernichten"
    Nulla poena sine lege - Keine Strafe ohne Gesetz - das Analogieverbot, Kernelement des liberalen Strafrechts, galt nicht mehr. Besonders interessant ist ein Aufsatz aus dem Jahr 1935 von Roland Freisler, der damals noch Staatssekretär im Justizministerium war und erst später als Präsident des Volksgerichtshofs mit seinen Todesurteilen Angst und Schrecken verbreitete. Das Willensstrafrecht ist für ihn ein "Kampfrecht", das den Gegner bestraft oder - wie er schon damals schreibt - "vernichtet".
    Im Buch sind aber nicht nur die Texte überzeugter Nationalsozialisten abgedruckt. Einige Juristen versuchten, den NS-Staat normativ zu zügeln und den Auswüchsen des SA- und SS-Terrors Grenzen zu setzen. Das sei naiv gewesen, meint Pauer-Studer, sie hätten den unbedingten Machtwillen Hitlers übersehen, der keineswegs gewillt war, sich gesetzlichen Beschränkungen zu fügen.
    Eines haben alle Autoren gemeinsam, sie waren keine Demokraten und standen der Weimarer Republik skeptisch oder auch mit offener Verachtung gegenüber. Die meisten der Originaltexte sind einer breiten Öffentlichkeit bislang nicht bekannt. Zum Teil überrascht ihre vermeintliche Normalität. Zum anderen ist erschreckend, wie leicht es den Juristen fiel, ein totalitäres Regime zu rechtfertigen. Herlinde Pauer-Studer hat das Buch geschickt aufgebaut. In ihrer gut strukturierten Einleitung zitiert sie bereits aus den Texten. Das verlockt immer wieder dazu, im Original weiterzulesen. Kurzbiografien der 24 Autoren und ein Namensregister runden den Band ab.
    Herlinde Pauer-Studer, Julian Fink (Hg.): "Rechtfertigungen des Unrechts. Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus in Originaltexten", Suhrkamp Verlag, 563 Seiten, 22,00 Euro. ISBN: 978-3-518-29643-1.