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Juso-Vorsitzende
"Ärgerliche Kompromisse mit der Union"

Die Bundesvorsitzende der Jusos, Johanna Uekermann, hat sich insgesamt zufrieden über die Arbeit der SPD in der Regierung geäußert. Viele Kompromisse mit der Union seien aber ärgerlich oder sogar schmerzhaft, etwa in der Asylpolitik, sagte Uekermann im DLF. Sie beklagte zudem einen Investitionsstau.

Johanna Uekermann im Gespräch mit Mario Dobovisek | 31.12.2014
    Porträtbild von Johanna Uekermann mit langen braunen Haaren und Halstuch
    Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann beklagt einen Investitionsstau in Deutschland. (picture alliance / dpa/ Armin Weigel)
    Die Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann betonte im Deutschlandfunk-Interview, 2014 seien viele sozialdemokratische Projekte angegangen worden. Als Beispiele nannte sie den Mindestlohn, die Rente mit 63, die Neuregelung bei Praktika, die Frauenquote und den Einstieg in die doppelte Staatsbürgerschaft. Es habe aber auch Kompromisse mit der Union gegeben, die "ärgerlich, manchmal sogar schmerzhaft" gewesen seien. Für ärgerlich hält die 27-Jährige, dass der Mindestlohn nicht für junge Leute unter 18 gelten wird; schmerzhaft sei die Entscheidung in der Asylpolitik gewesen, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.
    Und noch etwas ärgert die Juso-Chefin: Die Große Koalition gehe "Investitionen in die Zukunft" wie den Ausbau des schnellen Internets oder die Sanierung maroder Schulen nicht an, weil dies am Widerstand der Union scheitere. Die Große Koalition traue sich nicht an eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen heran.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Sie ließ sich Zeit, die Große Koalition. Erst kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres wurde das Kabinett vereidigt, im Januar dann begann die Regierungsarbeit. Und sie begann mit einer Affäre und einem Ministerrücktritt. Ein Tiefschlag für die GroKo, der ihr noch immer Unbehagen bereitet. Und wir wollen die Collage meines Kollegen Andreas Buhrmann um eine weitere Stimme ergänzen, nämlich um jene von Johanna Uekermann, der Vorsitzenden des SPD-Nachwuchses, der Jusos. Guten Morgen, Frau Uekermann!
    Johanna Uekermann: Guten Morgen!
    Dobovisek: Rentenpaket, Mindestlohn, Frauenquote, alles SPD-Projekte, die die GroKo in ihrem ersten Jahr bereits umgesetzt hat. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Mutterpartei?
    Uekermann: Ach, ich bin eigentlich ganz zufrieden, also es ist ganz okay, kann man sagen. Sie haben es ja angesprochen, es gab viele sozialdemokratische Projekte, die im letzten Jahr angegangen wurden, Mindestlohn wurde aufgezählt, Rente mit 63. Ich finde auch noch mal ganz wichtig zu erwähnen, dass es zum Beispiel eine Neuregelung von Praktika gibt, dass endlich Schluss ist mit der Generation Praktika. Wir haben die Frauenquote, aber auch den Einstieg in die doppelte Staatsbürgerschaft. Das sind alles wichtige Projekte, wichtige Punkte, aber wir sind eben auch in einer Großen Koalition, das heißt, man muss eben auch Kompromisse mit der Union machen. Und die sind aus meiner Sicht durchaus ärgerlich meistens, und manchmal sogar schmerzhaft.
    Dobovisek: Zum Beispiel?
    Uekermann: Ja, schmerzhaft, wenn ich zum Beispiel an die Asylpolitik denke. Das war ja ein Kompromiss, dass man Bosnien, Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten eingeordnet hat. Das geht aus meiner Sicht überhaupt nicht. Und ärgerliche Kompromisse, da denke ich natürlich insbesondere an den Mindestlohn, dass man junge Leute unter 18 ausgenommen hat, das läuft meinem Gerechtigkeitsempfinden zuwider. Ich finde, junge Leute haben genauso wie alle anderen einen Mindestlohn verdient. Da bleibt es bei meiner Meinung, die GroKo muss nacharbeiten in den nächsten Jahren.
    "Wir denken über die GroKo hinaus"
    Dobovisek: Nacharbeiten sagen Sie. Vor einem Jahr, da klang das noch ganz anders. Da haben die Jusos nämlich die GroKo mit Pauken und Trompeten abgelehnt, waren strikt dagegen. Hat sich Ihre Meinung also geändert?
    Uekermann: Grundsätzlich nicht. Wir waren dagegen, wir waren aus guten Gründen auch dagegen, wie ich finde, weil wir eben gesagt haben, mit dieser Großen Koalition ist kein Politikwechsel möglich, wir wollen eine Politik, die insbesondere auch die Interessen von jungen Menschen in den Blick nimmt. Wir wollen eine Politik, die auch in die Zukunft investiert, die eine gerechtere Steuerpolitik macht. Das hat sich ja bis heute nicht geändert. Nichtsdestotrotz bringt es aus meiner Sicht nichts, sich jetzt nur irgendwie in die Schmollecke zurückzuziehen und alles ganz schlimm zu finden, sondern wir begleiten die GroKo jetzt das ganze Jahr über schon sehr kritisch, wir freuen uns, wenn es Erfolge gibt. Wir kritisieren aber eben auch, wenn uns was zuwider läuft, und das werden wir auch die nächsten Jahre so weiter betreiben. Und eins ist mir aber auch wichtig: Wir denken aber auch über die GroKo hinaus, wir denken, was sich nach 2017 tun kann. Wir kämpfen auch für andere Mehrheiten, und wenn ich nach 2015 gucke, kämpfen wir aber jetzt erst mal, dass es insbesondere jungen Leuten auch mit der GroKo-Politik bald besser geht. Ich denke da zum Beispiel an diesen großen Bereich Ausbildung. Ich denke, da könnte die Große Koalition noch wirklich viel tun. Wir haben weiterhin ein zentrales Problem, dass junge Leute keinen Zugang zur Ausbildung bekommen, dass sie im Übergangssystem feststecken, Warteschleifen. Auch die Qualität von Ausbildungen ist nicht so gut, wie das sein könnte. Es gibt keine Mindestvergütung für Azubis. Das sind alles Punkte, da werden wir im nächsten Jahr auch drauf pochen, dass die GroKo sich dieser Punkte mal annimmt.
    Dobovisek: Sie sagen, die SPD hatte sich auch durchgesetzt in vielen Punkten, hat sich also nicht klein gemacht im Bund, wie anfänglich die Befürchtung war. Klein gemacht, so sagt es jedenfalls Angela Merkel, aber durchaus in Thüringen als Juniorpartner der Linkspartei. Sehen Sie das genauso wie die Kanzlerin?
    Uekermann: Ich sehe das überhaupt gar nicht so. In Thüringen - klar wäre es mir lieber gewesen, wenn unser Rot das größere Rot gewesen wäre und somit ein sozialdemokratischer Ministerpräsident hätte gewählt werden können. Jetzt ist es aber anders, aber ich denke mal, der Koalitionsvertrag dort zeigt, dass eben auch mit Rot-Rot-Grün eine sehr soziale, eine sehr gerechte Politik möglich ist, eine gerechtere, die vielleicht auch mit der Großen Koalition möglich gewesen wäre, insbesondere wenn ich da in den Bereich Bildungspolitik gucke. Ein kostenloses Kita-Jahr und mehr Lehrer, das sind Punkte, wo ich sage, hoffentlich läuft das weiter so in Thüringen, hoffentlich ist diese Koalition erfolgreich. Bislang sieht es ganz danach aus, und ich wünsche mir oder ich hoffe natürlich auch, dass das eine gewisse Strahlwirkung, Ausstrahlungswirkung auch auf den Bund hat, dass Thüringen zeigt, es funktioniert mit Rot-Rot-Grün, und dass so Rot-Rot-Grün auch im Bund eine realistischere Option wird.
    "Kämpfe dafür, dass Rot-Rot-Grün im Bund realistisch wird"
    Dobovisek: Ist die kategorische Ablehnung von Rot-Rot im Bund denn eigentlich eher eine Generationenfrage?
    Uekermann: Ich denke, es hängt schon auch damit zusammen. Es ist aber vor allem natürlich eine Frage, was kann man gemeinsam umsetzen, wie passt die Politik, die man machen möchte zusammen, und da ist aus meiner Sicht und aus Sicht der Jusos ganz klar, mit Rot-Rot-Grün könnte man eben eine gerechtere Politik machen. Klar gibt es auch Streitpunkte, klar gibt es Sachen, da muss auch die Linke zum Beispiel noch bei sich aufräumen, wenn ich an antisemitische Äußerungen oder so denke. So was geht einfach überhaupt nicht, da haben alle Parteien und insbesondere die Linke, glaube ich, noch einiges zu tun. Aber ich denke halt auch an Politikbereiche wie zum Beispiel Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik. Da könnte man mit Rot-Rot-Grün eine gute Politik machen, und deshalb kämpfe ich weiterhin dafür, dass Rot-Rot-Grün auch im Bund realistisch wird.
    Dobovisek: Ist die Luft inzwischen raus aus der Großen Koalition? Die vielen Projekte, die ich angesprochen habe, sind ja Projekte des ersten Halbjahrs. Seitdem gibt es hauptsächlich Streit, böse Luft. Da wird gegenseitig sich angeschossen sozusagen - ist die Luft raus?
    Uekermann: Ich denke, ein bisschen Streit und Auseinandersetzung gehört ja auch dazu, das macht Politik ja, wie gesagt, auch spannend und aus und zeigt auch, dass es unterschiedliche Parteien sind. Ich denke, dass die Große Koalition genug zu tun hätte, und ich denke, man sollte sich da auch wieder zusammenraufen. Es ärgert mich aber, dass insbesondere ein großer Bereich, der mir persönlich sehr wichtig wäre, von der Großen Koalition wahrscheinlich nicht angegangen wird, weil er eben am Widerstand insbesondere der Union scheitert. Und das ist der ganze Bereich Investitionen in die Zukunft. Ich glaube, wenn man irgendwie junge Leute auf der Straße fragt oder auch grundsätzlich Leute, dann kann Ihnen da jeder was erzählen. Die einen haben irgendwie das Schlagloch auf der Straße, die anderen haben kein schnelles Internet, die Schulen sind marode. Und da ist einfach so ein großer Investitionsstau da, der aus meiner Sicht beseitigt gehört. Natürlich gehört dazu, dass es eine gute finanzielle Ausstattung der öffentlichen Hand gibt, insbesondere der Kommunen. Und da traut sich die Große Koalition nicht ran, und das ärgert mich.
    Dobovisek: Haben wir verstanden, Frau Uekermann.