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Justiz
Noten vor Gericht

Immer mehr Eltern gehen gerichtlich gegen die Schule vor, wenn das Kind mit schlechten Noten nach Hause kommt. Davon profitieren vor allem auf Schulrecht spezialisierte Rechtsanwälte, von denen es immer mehr gibt.

Von Nikolaus Steiner | 21.11.2013
    "Das ist das wirkliche Übel, dass die Schule immer mehr verkommt zu einer Einrichtung, in der die Juristen das Sagen haben." Klaus Wenzel vom Bayerischen Lehrerverband ist sauer. Immer mehr seiner Lehrerkollegen würden von den Eltern ihrer Schüler und deren Rechtsanwälten bedrängt, klagt er: "Wir haben im Vergleich zum Jahr 2006 viermal so viele Interventionen vonseiten der Eltern. Das heißt, viermal so viele Eltern wie vor sieben Jahren kommen jetzt mit einem Rechtsbeistand in die Schule und versuchen, ihr Recht einzuklagen"
    Die Klagepunkte sind vielfältig: keine Gymnasialempfehlung, ein schlechtes Abiturzeugnis, das Handy bei Prüfungen in der Tasche oder ein Foto aus dem Landschulheim, das - illegalerweise - in der Schülerzeitung abgedruckt worden war. Die Klagefreude der Eltern würde teilweise absurde Züge annehmen, beschwert sich Klaus Wenzel: "Und deswegen haben wir die Rechtsabteilung des BLLV erheblich aufstocken müssen! Wir hatten vor 20 Jahren nur einen einzigen Mitarbeiter und haben inzwischen allein in der Zentrale sechs Mitarbeiterinnen und dann noch mal elf in den einzelnen Regierungsbezirken."
    Die Klagelust nimmt zu
    Und das ist nicht nur ein bayerisches Phänomen: Auch in anderen Bundesländern klagen Lehrerverbände über die zunehmende Klagelust der Eltern. Davon profitieren vor allem spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien. Insgesamt ist die Zahl der Anwälte in Deutschland in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen. Um auf dem umkämpften Markt zu überleben, spezialisieren sich immer mehr Juristen auf Nischenbereiche, wie eben das Schulrecht. Philipp Verenkotte von der Kanzlei Birnbaum in Köln ist Experte im Bereich Schul- und Hochschulrecht. Er berät sowohl Eltern, die gegen die Schule vorgehen wollen, als auch Lehrer, die sich schützen wollen, und kennt somit beide Seiten: "Es ist eine Entwicklung dahin gehend spürbar, dass mehr Kanzleien auf den Markt drängen, die das Schulrecht für sich entdeckt haben, als weiteres Rechtsgebiet, wo es potenzielle Mandanten zu gewinnen gilt. Es ist auch zu bemerken, dass vonseiten der Schulen zunehmend darüber geklagt wird, dass häufiger Anwälte eingeschaltet werden."
    Allerdings hätten viele Eltern oftmals keine Vorstellung davon, was wirklich rechtlich möglich ist und was nicht, so Verenkotte: "Also auch das kriegen wir durchaus mit, dass das auch zunimmt: Verfahren, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, dass die Schulen darüber klagen, dass sie sich trotzdem darüber auseinandersetzen müssen. Also wenn man jetzt ein Abi mit 20 Punkten verfehlt hat, dann kann man auch den besten Rechtsanwalt haben, das wird nicht laufen!"
    Wenn tatsächlich Eltern mit utopischen Vorstellungen in seine Kanzlei kämen, dann würden sie natürlich beraten. Dazu gehöre aber auch, klar zu machen, dass eine Klage in manchen Fällen sinnlos ist. Dann würde seine Kanzlei durchaus auch Aufträge ablehnen, sagt Verenkotte: "Wenn die Fälle sehr deutlich sind. Also sehr deutlich, dass da keinem Interesse mit gedient ist, wenn man das macht, dann sagen wir das auch so deutlich. Und lehnen im Zweifel das Mandat ab."
    Juristische Aufrüstung
    Verenkotte berät mittlerweile auch immer mehr Lehrer in Rechtsfragen. Denn aufgrund der vielen Klagen wappnen sich immer mehr Schulen und bieten Seminare für ihre Lehrer an, um juristisch immer auf der sicheren Seite zu sein. Das heißt, die Schulrechtsanwälte verdienen ihr Geld heute sowohl mit den Klagen der Eltern als auch mit der Beratung der Lehrer. Eine lukrative Einkommensquelle für Tausende, spezialisierte Anwälte in ganz Deutschland mit steigender Tendenz. Dabei könnten viele Streitfälle schon im Vorfeld beigelegt werden. Zum Beispiel durch Schulmediatoren, die zwischen Eltern, Schüler und Lehrer vermitteln. Solche präventiven Maßnahmen, die eine intensivere Kommunikation zwischen Eltern und Lehrer mit sich bringen, wünscht sich auch Klaus Wenzel vom Bayerischen Lehrerverband:
    "Das ist mir ganz, ganz wichtig, dass die Erwachsenen sich gegenseitig vertrauen, sich gegenseitig unterstützen, dass sie kommunizieren, und zwar immer mit der Absicht, dass dieser Bildungs- und Erziehungsprozess der Kleinen gut funktioniert. Dass Kinder und Jugendliche wissen: Da sind Erwachsene, die meinen es gut mit mir. Die wollen gemeinsam, dass ich mich zu einer starken Persönlichkeit entwickle.