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Justiz Thüringen
Debatte um Ermittlungen gegen Künstler

Stellt die Künstlergruppe "Zentrum für Politische Schönheit" eine kriminelle Vereinigung dar? Deswegen wurde jedenfalls gegen sie ermittelt - von der Thüringer Staatsanwaltschaft. Diese Ermittlungen wurden zwar eingestellt, aber die Kritik bleibt.

Von Henry Bernhard | 18.04.2019
Morius Enden und Jenni Moli, Mitglieder des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit, stehen am 22.11.2017 in Bornhagen im Eichsfeld (Thüringen) in einem verkleinerten Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Höcke.
Auslöser der Ermittlungen: Die Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmal in der Nachbarschaft des thüringischen AfD-Politikers Björn Höcke (picture alliance / Swen Pförtner)
Die Stelen aus grauem Sperrholz waren das eine. Neben dem Imitat des Holocaustmahnmals behauptete das Zentrum für politische Schönheit damals in einem Video:
"Der Shooting-Star des Rechtsextremismus im braunen Haus. Deshalb haben wir den zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz Thüringen gegründet. Weil das Bundesamt für Verfassungsschutz Björn Höcke nicht beobachtet, läuft hier seit der Dresdner Rede eine der aufwendigsten Langzeitbeobachtungen des Rechtsradikalismus in Deutschland."
Eine Künstlergruppe als kriminelle Vereinigung?
Außerdem forderten sie Höcke auf, vor den Stelen niederzuknien und sich für seine Dresdner Rede, in der er das Holocaustgedenken verächtlich gemacht hatte, zu entschuldigen. Es gab viel Zustimmung zu den Stelen, aber auch viel Ablehnung der angeblichen Überwachungsaktion. Björn Höcke äußerte sich wenige Tage später vor seinen Parteifreunden:
"Liebe Freunde, wer so etwas tut, der ist kein Künstler; wer so etwas tut, ist noch nicht mal ein Krimineller; wer so etwas tut, ist in meinen Augen ein Terrorist! Und deswegen ist diese Künstlergruppe auch keine Künstlergruppe; sie ist eine kriminelle Vereinigung, ja, sie ist eine terroristische Vereinigung!"

Kurz darauf verkündete das Zentrum für politische Schönheit, dass die Überwachungsgeschichte reine Erfindung war, dass alle gezeigten Fotos aus offen zugänglichen Quellen stammten. Dennoch hagelte es Anzeigen und Ermittlungsverfahren. Es ging um Nötigung, um mögliche Verletzung der Privatsphäre etc. Alle Verfahren wurden später entweder eingestellt oder von den Künstlern gewonnen.
Flyer, die das Gesicht Björn Höckes zeigen, liegen auf einem Tisch.
Kunstaktion des Zentrums für Politische Schönheit am Wohnort Björn Höckes: Flyer mit dem Gesicht des AfD-Politikers (imago / Steve Bauerschmidt)
Bis auf eines, von dem sie nichts wussten: Ein Staatsanwalt in Gera, zuständig für den Staatsschutz, für politische Verfahren, eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen möglichen Verstoßes gegen §129 Strafgesetzbuch - Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das aber kam erst vor zwei Wochen ans Licht, als zufälliges Ergebnis einer Routineabfrage der Linken-Landtagsfraktion bei der Staatsanwaltschaft. Der Aufschrei ging durch ganz Deutschland: Eine Künstlergruppe wird als kriminelle Vereinigung verfolgt, mit weitreichenden Ermittlungsbefugnissen. Ein Skandal!
Keine Weisung an Staatsanwälte
Der Justizminister Dieter Lauinger von den Grünen geriet unter Druck. Er gab an, vor den Presseveröffentlichungen nichts vom Ermittlungsverfahren gewusst zu haben und verteidigte zunächst ungeschickt formuliert gar die Ermittlungen. Nun rudert er zurück.
"Ich habe nicht gesagt: Die Staatsanwaltschaft hat richtig gehandelt! Das ist immer so eine Verkürzung der Darstellung. Ich habe gesagt: Die Einleitung eines Verfahrens ist dann rechtsstaatlich notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft Verdachtsmomente einer Straftat hat."
Verfahren ist einzustellen
Außerdem räumt er ein: "Es gibt zwei Kritikpunkte, die ich nachvollziehen kann: Das ist zum einen die Dauer des Verfahrens - wenn ich so ein Verfahren einleite, muss ich es eigentlich auch zum Abschluss bringen, beziehungsweise, wenn sich keine Anhaltspunkte ergeben, es dann auch einstellen. Und was ich auch sage: Ich kann auch verstehen, dass man kritisiert, ein Verfahren nach Paragraf 129 einzuleiten. Das ist sicher was, was juristisch hochstreitig ist."
Lauingers Problem: Er hat sich verpflichtet, keine Einzelanweisungen an Staatsanwälte zu geben, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Und so haben sich vergangene Woche der unter Beschuss stehende Staatsanwalt Martin Zschächner, sein vorgesetzter Oberstaatsanwalt, der Thüringer Generalstaatsanwalt und der Justizminister zusammengesetzt - zu einem kollegialen Rechtsgespräch.
"Nach übereinstimmender Einschätzung des Leiters der Staatsanwaltschaft Gera und des Generals waren die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens gegeben."
Henry Bernhard: "Das heißt, sie haben keine Weisung gegeben, sondern nur böse geguckt dabei!?"
"Nein, ich habe weder eine Weisung gegeben noch böse geguckt! Ich habe mir von denen erzählen lassen, wie ihre Einschätzung ist. Und es wurde völlig nüchtern auf die Sache geschaut. Und rechtlich war die nach Übereinstimmung von zehn Juristen, die da am Tisch saßen, so zu bewerten, dass dieses Verfahren einzustellen ist!"
Viele offene Fragen - und viel Misstrauen
Die schnelle Einstellung wiederum weckt den Argwohn von CDU und AfD: Sie vermuten politischen Druck. Eingestellt wurde das Verfahren nun allerdings nach 16 Monaten, in denen der Staatsanwalt keinerlei Ermittlungen unternommen hat. Für Stefan Pelzer vom Zentrum für politische Schönheit eine skandalöse Einsicht. Er will wissen, was und wann der Justizminister von dem Verfahren wusste.
"Wir erwarten lückenlose Aufklärung, wie es dazu kommen konnte. Wir erwarten auch Aufklärung, wie Martin Zschächner, der Staatsanwalt, der einen rechten Hintergrund hat, überhaupt in das Amt eines Anklägers kommen konnte, der dann auch noch für die Verfolgung politisch motivierter Kriminalität zuständig ist!"
Auch für Steffen Dittes von der Linken-Landtagsfraktion ist die Geschichte noch nicht zu Ende.
"Und da geht es natürlich auch um das Ziel, Wiederholungen in der Zukunft auszuschließen. Und das sind so Fragen: Warum wird so ein Verfahren überhaupt eröffnet, dann nicht weiter ermittelt und dann 16 Monate offen gehalten? Welches Ziel wurde dabei verfolgt? Einfach, um da die Ermittlungsbefugnisse noch immer zur Hand haben zu können? Und dann natürlich die Frage, ob Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft auch auf politischen Zuruf in die Gänge gesetzt worden ist?"
Die parlamentarischen Anfragen an den Justizminister laufen.