Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Justizminister Döring dringt auf Regeln für Patientenverfügungen

Der schleswig-holsteinische Justizminister Uwe Döring hält gesetzliche Bestimmungen über Patientenverfügungen für geboten. Dabei müsse eine Abgrenzung zu aktiver Sterbehilfe erreicht werden, sagte der SPD-Politiker. Die politischen Beratungen darüber sollten ohne Fraktionszwang erfolgen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 03.01.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt der Justizminister von Schleswig-Holstein, Uwe Döring von der SPD. Guten Morgen!

    Uwe Döring: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Döring, wozu brauchen wir ein neues Gesetz? Wir sind doch jahrzehntelang damit umgegangen, dass Patientenverfügungen keine absolute Verbindlichkeit besitzen.

    Döring: Ja, das ist genau das Problem, ich meine, dass wir einen Anspruch haben, dass Patienten, Angehörige, Betreuer, aber auch die Ärzte mehr Rechtssicherheit brauchen bei den Entscheidungen, die sie über das Lebensende von Menschen treffen, und dadurch ist es unbedingt erforderlich, dass wir eine gesetzliche Regelung haben. Auch der Bundesgerichtshof hat im März 2003 gegenüber dem Gesetzgeber dieses angemahnt, das endlich zu regeln.

    Heckmann: Gibt es in der Praxis, oder hat es solche Fälle gegeben, wo Ärzte Probleme bekommen haben, oder auch Angehörige, die in einer gewissen Weise entschieden haben?

    Döring: Es gibt diese Grauzone. Sicherlich ist vieles im Konsens geregelt worden, was gar nicht an die Öffentlichkeit gekommen ist, aber diese Ungewissheit muss den Menschen auch genommen werden, dass sie Entscheidungen treffen, die wirklich rechtlich durchstehen.

    Heckmann: Inwiefern gehört passive Sterbehilfe zum Alltag in Deutschland, zum Alltag, über den nicht gesprochen wird?

    Döring: Ja, wir haben natürlich in vielen Fällen schwere Erkrankungen, und wir wissen, dass es einen tödlichen Verlauf nehmen wird, und da sind immer wieder die Angehörigen, die Betreuer und die Ärzte in dem Zwiespalt, dass sie entscheiden müssen, verlängern wir dieses Leben eine gewisse Zeit lang, es wird am Ende dann doch der Tod eintreten, verlängern wir damit auch Leiden, oder beenden wir das Ganze? Das ist eine ganz schwere persönliche Entscheidung, die da getroffen werden muss. Und ich denke, wir dürfen als Gesetzgeber, als Politiker die Menschen hier nicht allein lassen.

    Heckmann: Eine schwierige Entscheidung, eine schwierige Debatte auch im Bundestag, das hat die Diskussion in den letzten Monaten und Jahren gezeigt. Wie ist Ihre Position, wie kann ein Weg aus dem Dilemma gefunden werden?

    Döring: Ja, also wir haben das Spannungsfeld, dass wir auf der einen Seite sagen, wir haben das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das muss auch in dieser letzten Phase des Lebens Vorrang haben. Wir haben auf der anderen Seite den staatlichen Anspruch auf Schutz des Lebens, und wir müssen dies mit möglichst wenig Bürokratie regeln. Wir meinen, im Grundsatz Selbstbestimmung ja, aber es muss eine ausreichende Kontrolle geben, und das heißt, es müssten bestimmte Anforderungen gestellt werden an die Patientenverfügung, was die Form anbelangt, sie soll schriftlich sein, sie sollte nach ärztlicher Beratung durchgeführt worden sein, und sie muss auch einen gewissen zeitlichen Horizont haben, sie sollte also nicht älter als drei Jahre sein. Da wir in der Medizin einen erheblichen Fortschritt haben, müsste so etwas auch in gewissen Abständen wieder erneuert werden. Wenn das alles erfüllt ist, dann können eigentlich Ärzte und Betreuer oder Angehörige gemeinsam entscheiden, dass dieses gilt, dann brauchen wir keine staatlichen Eingriffe, keine gesetzliche Regelung.

    Heckmann: Jetzt ist es so, dass Studien belegen, dass Menschen ihre Meinung über lebenserhaltende Maßnahmen wie etwa künstliche Beatmung ändern, wenn sie von einer schweren Krankheit betroffen sind. Insofern, wie bindend können Patientenverfügungen sein, wie bindend kann eine Patientenverfügung sein, die immerhin dann drei Jahre alt ist?

    Döring: Deswegen ist es wichtig, dass wir hier auch so etwas wie eine ärztliche Beratung durchführen und dieses dokumentieren, damit derjenige, der diese Verfügung unterschreibt, auch weiß, auf was er sich anlässt. Und sie muss natürlich jederzeit rückholbar sein, solange der Patient das noch entscheiden kann. Aber für den Fall, und darüber reden wir ja, dass der Patient seinen Willen nicht mehr äußern kann, muss, wenn diese von mir genannten Erfordernisse, Schriftform, ärztliche Beratung, nicht älter als drei Jahre, dann muss das auch gelten.

    Heckmann: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sprechen Sie sich dafür aus, dass die passive Sterbehilfe legalisiert werden soll. Soll das gelten nur bei unumkehrbar tödlich verlaufenden Krankheiten?

    Döring: Nein, das kann auch in dem Fall gelten, in dem wir noch keinen irreversiblen tödlichen Verlauf haben, aber hierzu bedarf es, wie gesagt, der ärztlichen qualifizierten Beratung, die dokumentiert sein muss.

    Heckmann: Können Sie da Beispiele nennen?

    Döring: Ja, es gibt gewisse Verläufe von Krankheiten, bei denen man nicht weiß, bestimmte Krebserkrankungen, hat der Sterbeprozess bereits eingesetzt, oder können wir zumindest noch lebensverlängernde, möglicherweise auch lebenserhaltende Maßnahmen haben, die allerdings dazu führen, dass dieses mit erheblichen Leiden des Menschen verbunden ist. In diesen Fällen, denke ich, kann auch eine Patientenverfügung, die die Formerfordernisse hat, die ich genannt habe, dann dem Menschen helfen und sagen, ich habe mich entschieden, ich möchte auch in so einem Fall, dass das Leben von mir nicht verlängert wird.

    Heckmann: Aber wo ist da die Grenze? Kommen wir da nicht auf eine schiefe Bahn, möglicherweise doch in einen Einstieg in die aktive Sterbehilfe?

    Döring: Ja, das ist natürlich das Problem. Deswegen brauchen wir hier eine vernünftige gesetzliche Regelung, und je mehr man ins Detail geht, desto mehr merkt man, wie schwierig das ist, hier etwas zu finden, das auch allen ethischen Grundsätzen genügt, und deswegen bin ich auch dafür, dass wir das in aller Ruhe beraten und dass man das auch politisch berät ohne Fraktionszwang, weil hier, denke ich, doch sehr persönliche Entscheidungen auch im politischen Bereich getroffen werden müssen.

    Heckmann: Inwieweit besteht die Gefahr, dass der Druck auf ältere Menschen steigt, auf medizinische Behandlung zu verzichten, um niemandem auf der Tasche zu liegen? In den Niederlanden gab es ja offenbar solche Tendenzen.

    Döring: Dieses kann natürlich passieren. Deswegen haben wir auch in unseren Thesen, die wir in Schleswig-Holstein dazu aufgestellt haben, gesagt, es ist erforderlich in bestimmten Fällen, sonst wünschenswert, dass das Ganze auch nach ärztlicher Beratung erfolgt und dieses dokumentiert wird. Ein Arzt wird sicherlich sich so äußern, dass also diese von Ihnen genannten sozialen Umfelder, der soziale Druck, der möglicherweise ausgeübt wird, hier keine Rolle spielen werden.

    Heckmann: Es gibt Patientenverbände, die sagen, die Regelung der Patientenverfügung ist zwar wichtig, aber nicht der alles entscheidende Punkt. Wie viel wichtiger wäre der Ausbau der palliativ-medizinischen Versorgung, also der Schmerztherapie?

    Döring: Ja, das ist sicher ein Punkt, den wir auch mit berücksichtigen müssen, aber das schließt das andere nicht aus. Ich bin dafür, dass wir beides machen, dass wir für die Menschen, die sich anders entschieden haben, palliative Medizin vorhalten, dass wir die Hospizeinrichtungen stärken, dass wir aber gleichzeitig auch sagen, wenn ein Patient für sich entschieden hat, er möchte in bestimmten Fällen, dass die Behandlung abgebrochen wird, dass dieses auch erfolgt.

    Heckmann: Patientenverfügungen sollen in Deutschland verbindlich gemacht werden. Ein Interview war das mit dem Justizminister von Schleswig-Holstein, Uwe Döring von der SPD. Herr Döring, ich danke Ihnen für das Interview.

    Döring: Vielen Dank.