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Justizreform in Rumänien in der Kritik
Verheerende Wirkung auf Ermittlungen befürchtet

Seit Wochen demonstrieren zehntausende Rumänen gegen die geplanten Justizreformen. Sie befürchten, dass die Gewaltenteilung aufgeweicht und die Korruptionsbekämpfung erschwert werden könnte. Und sie fürchten, dass ihr Land einen ähnlichen Weg einschlägt wie Polen.

Von Srdjan Govedarica | 20.12.2017
    Der Vorsitzende der rumänischen Sozialdemokraten, Liviu Dragnea.
    Der Vorsitzende der rumänischen Sozialdemokraten, Liviu Dragnea. (AFP/MIHAILESCU)
    Liviu Dragnea hat ein Problem mit der rumänischen Justiz. Der sozialdemokratische Parlamentspräsident ist wegen Wahlmanipulation vorbestraft, und auch aktuell ermittelt die rumänische Antikorruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn. Der Vorwurf: Die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dragnea selbst sieht darin den Versuch der Justiz, der Geheimdienste und des Staatspräsidenten ihn und damit die Regierung zu kontrollieren und spricht von einem parallelen Staat:
    "Man redet davon, dass in Rumänien seit Jahren ein illegitimes, ein paralleles System existiert. Und dieses System tut das, was es am besten kann: Es leitet Ermittlungen ein und eröffnet Strafverfahren."
    Liviu Dragnea ist auch die treibende Kraft hinter der geplanten Justizreform, die seit mehr als sieben Wochen, immer wieder sonntags zehntausende Rumänen auf die Straßen treibt.
    Die Pläne für die Justizreform gedeihen schon seit diesem Frühjahr. Justizminister Tudorel Toader hat sie unter anderem auf Geheiß vom Liviu Dragnea ausgearbeitet und unter dem Vorwand einer wenig nachvollziehbaren Dringlichkeit einem eigens dafür geschaffenen Sonderausschuss des Parlaments übergeben. Das Ziel: Verabschiedung noch in diesem Jahr. Dan Tapalaga, Publizist Chefredakteur einer regierungskritischen Internetplattform, ist alarmiert:
    "Wenn wir die einzelnen Veränderungen in den Gesetzen zusammen nehmen, stellen wir fest, dass wir dann ein Justizsystem haben, in dem die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte massiv eingeschränkt wurde. Es ist dann eine Justiz, die nun viel anfälliger für politische Kontrolle und Einflussnahme geworden ist."
    Antikorruptionsbehörde fürchtet verheerende Folgen
    Das Gesetzespakt sieht eine Reihe von Veränderungen vor. Unter anderem sollen künftig Ermittlungen auch wegen "Nichtigkeit" eingestellt werden können - was nichtig ist, wird im Gesetz aber nicht definiert. Eine neue Ermittlungsbehörde soll zudem Richtern und Staatsanwälten auf die Finger schauen, die bislang unabhängige Staatsanwaltschaft dem Justizministerium unterstellt werden. Zusätzlich sollen Korruptionsdelikte aus dem Strafgesetz gestrichen werden. Die Leiterin der Antikorruptionsbehörde DNA Laura Codruţa Kövesi blickt mit Sorge in die Zukunft:
    "Aufgrund unserer Analyse werden diese Veränderungen eine verheerende Wirkung auf unsere Ermittlung haben, denn sie beseitigen sehr viele unserer investigativen Instrumente und Ermittlungsmöglichkeiten. So sollen die Staatsanwälte von nun an, unmittelbar nachdem gegen eine Person wegen Korruptionsverdacht ermittelt wird, diese Person darüber verständigen und sich von ihr die Teilnahme an den Ermittlungen gestatten lassen."
    Die Abgeordneten der Regierungskoalition argumentieren, dass sie mit der Justizreform eine Direktive der EU zur Stärkung der Unschuldsvermutung umsetzen. Laura Codruţa Kövesi hält das Argument für vorgeschoben. Auch Publizist Dan Tapalaga vermutet andere Beweggründe hinter den Reformplänen.
    "Im letzten Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Lage der Justiz macht Brüssel unser Parlament darauf aufmerksam, dass gegen nicht weniger als sechs Abgeordnete eine gerichtliche Verfügung vorliegt, die ihnen die ihnen die Mitarbeit in der Legislative untersagt. Und der Gipfel des Hohns: Eine von diesen sechs, die Abgeordnete Steluța Cătăniciu, ist auch noch Mitglied im Sonderausschuss für Justiz, wo sie nun herumfuhrwerken darf, wie es den von der Justiz verfolgten Kollegen passt, um ihre Straffreiheit zu sichern. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Abgeordneten, circa zwei Dutzend, die sich vor Ermittlungen durch ihre Immunität schützen."
    Schlägt Rumänien den gleichen Weg ein wie Polen und Ungarn?
    Viele Rumänen sorgen sich nun, dass ihr Land mit der Justizreform denselben Weg einschlagen könnte wie Polen oder Ungarn. Widerstand regt sich auch bei den rumänischen Staatsanwälten: Rund 2.000 von Ihnen haben in fast allen großen Städten in einer Art Schweigestreik gegen die Reform demonstriert. Auch aus Brüssel und Washington gab es scharfe Kritik an dem Vorhaben.
    Trotzdem hat das Gesetzespaket gute Chancen, noch dieses Jahr von beiden rumänischen Parlamentskammern verabschiedet zu werden. Der rumänische Staatspräsident kann das Inkrafttreten dann nur noch verzögern, aber nicht mehr verhindern. Bleibt nur noch der Gang zum Verfassungsgericht - mit ungewissem Ausgang.
    Sollte die Reform in Kraft treten, wäre die Bekämpfung von Korruption und Machtmissbrauch in Rumänien erheblich erschwert. Es scheint so, als wäre das ganz im Sinne des Parlamentspräsidenten Liviu Dragnea. Im Februar 2017 sagte er im Interview mit dem ARD-Studio Wien:
    "Ich möchte über die Zukunft Rumäniens diskutieren. Nicht über diesen, mit Verlaub, Bullshit wie Korruption und was weiß ich."