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Kälte drinnen und draußen

Vier brechen auf ins ewige Eis, sie wollen zu Fuß zum Südpol. 730 Meilen übers Eis, das kostet 50.000 Dollar, die Ausrüstung inbegriffen, die zieht man aber auf dem Schlitten selbst hinter sich her. In Tina Uebels neuem Roman "Horror Vacui" ist es kalt. Draußen sinkt die Temperatur auf 20, 30 Minusgrade, drinnen vereisen die Herzen. Jeff und Andrew, die Expeditionsleiter von Extreme Adventures haben ihre liebe Mühe, die zahlenden Abenteurer bei Laune zu halten.

Von Eva Pfister | 08.06.2005
    Ralph aus den Niederlanden geht auf die 50 zu. Er hat unendlich viel Geld, und ebenso große Angst vor Langeweile. Michael, der erfolgreicher Geschäftsmann aus New York, braucht die Herausforderungen zur Bestätigung seines Winner-Profils. Er hat schon die "Seven Summits" bezwungen, die jeweils höchsten Gipfel der Kontinente, das haben bisher noch keine Hundert geschafft. Die einzige Frau im Team, die Amerikanerin Susan, liebt den Extremsport körperlich. Wenn sie nur noch Muskeln und Anstrengung spürt, scheint sie glücklich zu sein.
    Dann gibt es noch den Ich-Erzähler, ein Deutscher, der ein Buch des großen Antarktis-Forschers Ernest Shackleton im Gepäck mitführt, aber keineswegs besonders durch Fitness oder Erfahrung glänzt, und deswegen gerne als Pseudoshack gehänselt wird.

    Je länger der Trip dauert, desto absurder erscheint einem beim Lesen dieses Unterfangen Was suchen die vier im ewigen Eis? Frage an die Autorin Tina Uebel:

    "Ich glaube, dass wissen sie selbst nicht so genau, auch wenn sie sich Vorstellungen machen, aber sie sind ja auch alle vier Meister des Selbstbetrugs, was immer schlimmer wird. Sie suchen eine Form von Lebenssinn, von heroischer Überhöhung, davon, in ihrem Leben einen Punkt zu erreichen, der einer Form von Unsterblichkeit nahe kommt, je nachdem, wie das jetzt aussieht, also für den Michael ist das dieses Erreichen der Seven summits und die Heldenliste, die dann darüber im Internet steht, für Susan ist es im Grunde eine Perfektionierung ihrer Selbst, die sie sucht, auch in dieser extremen körperlichen Anstrengung, wo sie aber nicht merkt, das sie sich im Grunde von all ihrem Menschlichsein gerne trennen möchte. Und mein Hauptprotagonist, mein Ich-Erzähler, der sucht im Grunde nach etwas, was sein Leben zu einer Klammer zusammenfasst, wo plötzlich in seiner ganzen disparaten Wahrnehmung etwas Sinn macht, weil es eben etwas ist, etwas Großes, Wildes Heroisches – und klappen kann das eben überhaupt nicht. "
    Der Ich-Erzähler läuft auch vor Erfahrungen davon, in denen er sich als Versager fühlte, als Ehemann, Vater und als Sohn, denn zuletzt war er konfrontiert mit seiner sterbenden Mutter im Pflegeheim. Tina Uebel fügt seine Erinnerungen als parallelen Handlungsstrang in den Trip durch die Antarktis ein und beschreibt dieses "Pflegefeuer", wie sie es nennt, unbarmherzig genau in seiner grausamen Realität. Für den Ich-Erzähler ist jeder Besuch im Pflegeheim ein Horrortrip, er fühlt sich schuldig und geht anschließend joggen, um sich abzureagieren. Innerlich versucht er sich diese Erfahrung mit einem schnoddrigen Zynismus vom Leib zu halten, was Tina Uebel mit einer kunstvollen Sprache kenntlich macht, die mit Begriffen der modernen Freizeitgesellschaft völlig unangemessen auf den Tod reagiert.
    Aber je schlimmer die Strapazen werden bei der Wanderung durch das ewige Eis, desto unbarmherziger wird der Ich-Erzähler von seinen Erinnerungen und seiner Todesangst eingeholt – und dabei scheint er auch erstmals mit seiner sterbenden Mutter mitfühlen zu können

    "Je mehr er da in diesem Eis begreift, wie allein er auch ist, desto mehr spielt das für ihn eine Rolle, dass er sich immer wieder überlegt, dass er im Grunde auch demnächst weg sein wird ohne eigentlich jemals da gewesen zu sein, dass das auch etwas ist, was er sich von seinem Trip in der Antarktis erhofft, das Gefühl, wirklich da zu sein, und sei es unter dem Motto: Wenns weh tut, ist es wenigstens real.
    Aber auf der einen oder anderen Ebene haben alle vier Personen damit zu tun, dass sie vor ihrer eigenen Sterblichkeit wegrennen und das auch nicht ertragen können, sich überhaupt nur dem Gedanken zu stellen. "

    Zu Beginn fühlen sich die Vier als Helden, die Stimmung ist ausgelassen, man scherzt. Aber wenn die Kondition nachlässt, wenn ein Blizzard das Weitergehen verunmöglicht, und man im Zweierzelt in den Ausdünstungen des anderen schlaflos und hustend die hellen Nächte verbringen muss, zehrt das auch an den Nerven. Ralph wird schneeblind und hält es kaum aus, dass ihm geholfen werden muss, Michael stürzt in eine Depression, als er nicht mehr der Schnellste ist bei den Etappen, den Ich-Erzähler plagt ein Dauerhusten, der von den anderen immer gehässiger kommentiert wird. Nur Susan ist durchtrainiert und nicht aufzuhalten, sie setzt Schritt vor Schritt, ohne zu denken, aber im Bewusstsein, dass sie nur mit dieser Kraftanstrengung ihren Weg von der Provinz zur Anwältin in Chicago geschafft hat.

    Tina Uebel erzählt aus wechselnder Perspektive, oft vier Mal dieselbe Situation. Meisterhaft schildert sie die sich verändernde Atmosphäre mit den wachsenden Spannungen, den Ängsten und den immer offener ausgetragenen Aggressionen. Denn die Vier schließen im Laufe ihres Trips keine Freundschaft, im Gegenteil! Sie werden sich selbst zum Feind und einander zu Feinden. Ihre kleinen Scherze werden immer spitzer und schließlich bitterböse – ein verbaler Showdown steht am Ende. Ob sie den Pol erreichen, lässt Tina Uebel offen. Es ist anzunehmen, denn "Extreme Adventure" hält für den Notfall Rettungsflugzeuge bereit. Gescheitert sind alle Vier jedoch in ihrer Suche nach einer außergewöhnlichen Erfahrung, verbissen in ihr Leistungs- und Konkurrenzdenken, spiegelt das Eis ihnen nur die eigene Leere.

    "Eine Extremerfahrung lässt sich meines Erachtens auch nicht kaufen! Und deswegen habe ich ja noch diese Person des Jeff erwähnt, dem Führer, bei dem macht es einen großen Unterschied, weil für den ist es sein Leben, für den ist es Hingabe, der hat dafür gekämpft, während die anderen ja nur ihre Visakarte rübergereicht haben. Für den ist es etwas, was mit sehr viel Leidenschaft auch dann wichtig geworden ist, und das denke ich, ist etwas was funktioniert, in dem Moment, wo irgend ein Mensch Leidenschaft in etwas hineinsteckt, Leidenschaft, Lebenszeit, Herzblut, in dem Moment erhält es eben auch die Wichtigkeit, die es für diese vier Touristen, was die letztendlich sind, gar nicht erreichen kann. "

    In ihrem ersten Roman "Ich bin Duke", analysierte Tina Uebel das sinnentleerte Dasein von Halbwüchsigen, unbarmherzig exerziert sie die Langeweile durch bis zum bitteren Ende. Mit ähnlicher Obsession wie sie jetzt den Marsch durchs Eis beschreibt. Die innere Leere und ihre verheerenden Folgen, - das ist offenbar das Grundthema der Zeitdiagnostikerin aus Hamburg:

    "Es ist definitiv mein Thema, ich habe zwischendurch noch einen anderen Roman geschrieben, auch wieder etwas ganz anderes, aber es kreist alles um diesen Themenkomplex, ich halte das, auch wenn es eine persönliche Frage ist, auch für eine gesellschaftlich wichtige Frage, weil mir wirklich scheint, dass wir dabei sind, jeden Begriff von Seele abzuschaffen, ich glaube nicht an eine unsterbliche Seele, aber ich glaube an eine sterbliche Seele, sehe aber diese Bedürfnisse nach Seele verschwinden in diesem allgemeinen großen Amüsierbohei und Konsumbohei, das stattfindet, wo eben auch nicht mehr das Bewusstsein da ist dafür, dass sich eine Leere auftut, die gefüllt werden will – und ich halte das deswegen für eine ganz wichtige Frage, denn wir leben ja auch in einer Zeit, wo so viele Sinnstifter verlorengegangen sind. Religionen spielt wenig Rolle, politische Utopien sind ganz abgeschafft, Familien als Sinnstifter, gar als Sippe über Generationen ist auch nicht mehr funktional. "

    Mit diesem Sinnvakuum müssen die Menschen klarkommen, was ihnen deswegen so schwer fällt, so Tina Uebel, weil sie gemeinerweise als Säugetiere mit Bewusstsein ausgestattet sind.
    Dass man vor der inneren Leere gerade in eine Landschaft der äußeren Leere flieht, ist paradox, und Tina Uebel spielt in "Horror Vacui" dieses Paradox mit vergnügtem Sarkasmus durch.

    Dennoch ist zu spüren, dass sie selbst von der Faszination der Antarktis nicht unberührt ist. Ist sie denn auch zum Südpol marschier t?

    "Ich war in der Antarktis, ich bin aber nicht mit Skiern zum Südpol gegangen, ich bin mit einem Eisbrecher drum herum geschippert, was auch sehr faszinierend war, ich bin auch viel gelaufen, und diese Antarktis war eine überwältigende Erfahrung. Ich habe nicht deswegen darüber geschrieben, ich reise viel und es ist das erste Mal, dass eine Reise in einen Roman einfließt, aber es war wirklich eine übergroße Erfahrung, an der im Grunde Worte und Bilder und Dias fast scheitern, es gibt einfach keinen Vergleich zu so etwas Gigantischem wie die Antarktis, - ich bin also bestimmt nicht immun, sehe es kritisch, aber ich hab auch Form von Verständnis dafür. "

    "Horro Vacui"
    Von Tina Uebel
    (Verlag Kiepenheuer & Witsch)