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Kämpfe in Syrien und im Irak
Warum Amerikas Syrien-Strategie scheitert

In Syrien und im Irak tobt in unveränderter Härte und Brutalität ein Krieg aller gegen alle: Truppen des Diktators Assad kämpfen gegen die eigene Bevölkerung und bewaffnete Milizen der innersyrischen Opposition. Der IS, der sogenannte Islamische Staat, zieht gegen die Kurden ins Feld, die durch die US-Luftwaffe unterstützt werden. Dennoch scheint das Eingreifen der USA nicht sonderlich erfolgreich zu sein.

Von Clemens Verenkotte | 11.07.2015
    Aleppo nach einem Bombenangriff durch die Assad-Armee
    Aleppo nach einem Bombenangriff durch die Assad-Armee (KARAM AL-MASRI / AFP)
    Mittwochnacht dieser Woche, in Karm al Beik, im südöstlichen Stadtgebiet von Aleppo: Rettungskräfte suchen fieberhaft nach Überlebenden, im Schein ihrer Helmleuchten tasten sich die Männer über zerborstene Betontrümmer an die vormaligen Hauseingänge vor, rufen in handbreite Spalte ins Innere.
    Wie die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, seit Beginn des Bürgerkriegs die wohl zuverlässigste Nachrichtenquelle, später mitteilen wird, kamen 15 Menschen bei dem Abwurf einer Fassbombe ums Leben - jener mit Sprengstoff gefüllten Ölfässer, die Hubschrauber der syrischen Luftwaffe von Staatschef Bashar al Assad aus großer Höhe abwerfen. Unter den Todesopfern vier Kinder und zwei Frauen. Über 11.000 Menschen sind nach Angaben von Amnesty International seit 2012 durch Fassbomben des Regimes getötet worden. - Assad war und ist nicht das Ziel des militärischen Eingreifens der USA und ihrer arabischen Verbündeten in den syrischen Bürgerkrieg. Was im September des letzten Jahres, unter dem Eindruck des raschen Vordringens der Terrororganisation IS auf die kurdische Grenzstadt Kobane begann, richtet sich unverändert ausschließlich auf eben den IS. Im Wesentlichen, so bilanziert Yezid Sayigh vom renommierten Carnegie Middle East Center in Beirut gegenüber dem ARD-Studio Kairo, hätten die USA bislang nichts Entscheidendes erreicht:
    "Offen gestanden glaube ich, dass sich bei nahezu allen Parametern nichts geändert hat. Das heißt: Die US-Strategie, den IS durch den Gebrauch der Luftwaffe und die Unterstützung von lokalen Kräften zu schwächen, ist gleich geblieben. Die US-Abhängigkeit von lokalen Verbündeten, die auf dem Boden kämpfen, mit einiger Ausbildung oder Bewaffnung und der Luftangriffe der USA und anderer Alliierten, bleibt weiterhin die wesentliche Komponente. Insgesamt mit Blick auf die Strategie und Methoden und Gleichgewicht sind wir im wesentlich da, wo wir seit einem Jahr sind."
    Keine dauerhafte Wirkung
    In Syrien verfügen die USA nach Worten ihres Verteidigungsministers Ash Carter nur über einen verlässlichen, effektiven militärischen Partner, der den Krieg gegen die IS-Terrormilizen führt: Über die Kämpferinnen und Kämpfer der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten. Ohne sie würden die amerikanischen Luftangriffe auf mutmaßliche IS-Ziele - bislang mehr als 1.900 in Syrien seit dem vergangenen Spätsommer - keine dauerhafte Wirkung erzielen, räumte Carter Anfang dieser Woche ein:
    "Die Gelegenheit, dies effektiv zu tun, wurde uns während vergangenen Tage durch die wirksamen Aktionen der kurdischen Streitkräfte auf dem Boden zur Verfügung gestellt, die uns die Chance gaben, sie taktisch zu unterstützen."
    Innerhalb der letzten Wochen haben die syrisch-kurdischen Einheiten erhebliche Geländegewinne erzielt, sind weit von den kurdischen Bevölkerungsregionen entlang der Grenze zur Türkei in den Süden vorgerückt, bis auf rund 35 Kilometer von Raqqa entfernt, der syrischen Provinzstadt, die der IS als seine Kapitale betrachtet. Damit drangen die syrisch-kurdischen Kampfverbände, unterstützt von der amerikanischen Luftwaffe, die sie nach Pentagon-Angaben oftmals mit direkten Zielkoordinaten für Angriffe auf IS-Milizen versorgen - bis weit in die von Sunniten bewohnten Gegenden vor.
    Spannungen in den kurdisch-arabischen Beziehungen
    Bei den IS-Milizen in Raqqa sei zwischenzeitlich Panik ausgebrochen, wie die "Washington Post" unter Berufung auf eigene Quellen in Raqqa berichtet. In den Moscheen der Stadt seien junge Männer aufgerufen worden, sich "freiwillig" für den Kampf gegen die syrisch-kurdischen Verbände zu melden. - Die strategische Schattenseite der einseitigen Bevorzugung der Kurden in Syrien durch die US-Luftwaffe: Bei den sunnitischen Syrern werden die Ängste vor und Widerstände gegen den Vormarsch der Kurdeneinheiten geweckt - in einem Ausmaß, das sie sich eher einer IS-Herrschaft unterwerfen würden als in einem Territorium leben zu müssen, das von syrisch-kurdischen Einheiten kontrolliert wird.
    Die Kurden würden die Demografie zu ihren Gunsten verändern wollen, um Platz zur Ausrufung eines eigenen kurdischen Staates in Syrien zu schaffen, wie die "Washington Post"! syrische Oppositionsvertreter zitiert.- Einwände, die Yesid Sayigh vom Carnegie Middle East Center in Beirut so kommentiert:
    "Die Möglichkeit von Spannungen in den kurdisch-arabischen Beziehungen im Norden, bei Tal Abiad, nördlich von Raqqa, ist sehr groß. Es gibt bereits erhebliche Schwankungen in den Beziehungen zwischen den kurdischen Einheiten und ihren Streitkräften auf der einen Seite, und zahlreichen arabischen Gruppierungen auf der anderen Seite, Oppositionsgruppen, lokale arabische Klans in der Provinz Hasaka. Es ist nicht entweder so oder so. In Tal Abiad zum Beispiel haben die kurdischen Einheiten und die Einheiten der Freien Syrischen Armee zusammen gekämpft, um den IS zu besiegen."
    Alle Bemühungen der USA sind bislang kläglich gescheitert, syrische Freiwilligenverbände aufzustellen, die gegen die IS-Terrormilizen kämpfen. Statt der 5.400 Kämpfer pro Jahr, die Präsident Obama in Aussicht gestellt hatte, sind es nach Worten von US-Verteidigungsminister Carter - gerade einmal: 60. Alternativlos verfügen die USA in Syrien also nach wie vor nur über die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten, um die Luftangriffe gegen den IS in dauerhaften militärischen Erfolg umzuwandeln. Andere Partner hat das Pentagon nicht.