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Kafkas Prozess am Warschauer Teatr Nowy
In den Fängen des Staates

Eine anonyme Macht, die vom Individuum Besitz ergreift und dabei das Recht bricht - das Thema von Kafkas "Der Prozess" ist zeitlos. Theaterregisseur Krystian Lupas hat es in seiner neuen Warschauer Inszenierung mit der polnischen Gegenwart verknüpft. Den autoritären Kurs der Kulturpolitik hat er dabei am eigenen Leib erlebt.

Von Martin Sander | 16.11.2017
    Polish Law and Justice (PiS) party leader Jaroslaw Kaczynski (C) is flanked by Polish Prime Minister Beata Szydlo (L) and the Speaker of the 'Sejm'parliament, Marek Kuchcinski (R), during a news conference in Warsaw, Poland, 21 December 2016. The conference was devoted to the situation in the Polish 'Sejm' parliament.
    Theater der Macht: Krystian Lupas thematisiert den autoritären Kurs der polnischen Regierung in seiner Regiearbeit (dpa / Pawel Supernak)
    Während Herr K., der bereits verhaftete Bankbeamte, mit Frau Grubach, seiner Wirtin spricht oder auf die Zimmernachbarin Fräulein Bürstner wartet, läuft vor ihnen im Fernsehen das wahre Leben 2017: Ein polnischer Europa-Abgeordneter der regierenden Nationalkonservativen schwadroniert dort von Recht, Gerechtigkeit und Untersuchungskommissionen. Gleich zu Beginn von Lupas Prozess-Inszenierung ist klar: Kafkas Roman-Welt und die polnische Gegenwart greifen nahtlos ineinander.
    Krystian Lupa hat Kafka wahrlich nicht fürs Theater entdeckt, aber er hat die Chance genutzt, Kafkas Aktualität am Beispiel seines gerade in einen Unrechtsstaat schlitternden Heimatlandes zu neuem Leben zu erwecken.
    Neuer Theaterdirektor stoppte die Arbeit
    "Es geht um die widerrechtliche Inbesitznahme durch eine verborgene, dunkle Macht. Nennen wir das mal ein faschistisches Motiv im Menschen. Es geht um die Macht, die die Machthaber auf das Individuum ausüben, wobei sie das Recht instrumentell behandeln und so verunstalten."
    An Kafkas "Prozess" arbeitet Lupa länger als Polens Regierung an der Demontage des Rechtsstaats. Ursprünglich sollte das Stück am Teatr Polski in Breslau aufgeführt werden.
    "Kafkas "Prozess" ist ja unvollendet geblieben. Und wir wollten die weißen Flecken auskratzen. Und haben uns dabei ein wenig verloren."
    In Kafkas Problemen mit jüdischer Tradition, unglücklichen Liebesziehungen, Selbsthass und Scham, bekennt Lupa rückblickend. Doch dann gaben die polnischen Kulturpolitiker mit ihrem autoritären Kurs dem Regisseur eine neue Richtung.
    Am Breslauer Teatr Polski installierten sie nämlich im Sommer 2016 einen ihnen hörigen Theaterdirektor - in einem Wettbewerb, der nicht nur nach Meinung von Lupa manipuliert war. Der neue Direktor, Cezary Morawski, stoppte die weltweit anerkannte experimentelle Theaterarbeit des Teatr Polski zugunsten von Amüsement und Patriotismus. Lupa trat die Flucht nach vorn an und verließ das Breslauer Theater. Morawski versuchte daraufhin, Lupa einen Prozess wegen der entstandenen Unkosten anzuhängen.
    Hilfe für das Stück aus Frankreich
    2017 kam Lupa nach Warschau. Ein paar von Morawski am Teatr Polski gefeuerte Schauspieler nahm er mit. Mehrere Theater der polnischen Hauptstadt, in der die liberale Opposition noch das Ruder hält, leisteten Hilfe. Aber auch Bühnen in Frankreich und anderswo unterstützten Lupas verändertes Kafka-Projekt.
    Auf der Premierenbühne des Teatr Nowy in einem alten Warschauer Fahrzeugdepot der Müllabfuhr wimmelt es von Doppelrollen. Lupa lässt die Schauspieler nicht nur Kafka spielen, sondern auch sich selbst samt ihrer beklagenswerten Rolle in einem Staat, der die Medien, die Kunst und das Theater in erdrückende Abhängigkeit gebracht hat. Die Beklemmung ist allgegenwärtig, auch wenn Kafkas Ironie des Absurden bei Lupa immer mal wieder zum Lachen reizt. Therapie - auch für den von den Schlägen der Mächtigen gezeichneten gerade 74 Jahre alt gewordenen Regisseur?
    "Die Stimme des Künstlers wird entwertet"
    "Ich habe eine Zeit des Zusammenbruchs hinter mir. Ich hatte das Gefühl, das die Stimme des Künstlers völlig entwertet wird - so wie alles im Moment. Die Stimme des Künstlers wird entwertet, da Lügen den öffentlichen Raum beherrschen."
    In einer Szene, die nicht aus Kafkas Roman stammt, richtet sich Max Brod, Kafkas Freund und Herausgeber im Krankenhausbett auf. Er möchte nicht in diesem Augenblick sterben, nicht mit dem Gefühl, dass die Welt damit zu Ende geht, dass sich alles wieder zurückdreht. Diese Szene hat sich Lupa für sein Stück erdacht - eigentlich ein gutes Motiv zum Weiterleben.