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Kahramanmaras erwartet die Patriots

In den Bergen vor der türkischen Stadt Kahramanmaras sollen deutsche Abwehrraketen stationiert werden. Das Ziel der Deutschen ist es, mit ihren Patriot-Flugabwehrraketen mögliche Angriffe von syrischen Mittelstreckenraketen abzuwehren. Nicht alle vor Ort begrüßen die Ankunft der Soldaten.

Von Gunnar Köhne | 21.01.2013
    Im alten Basar von Kahramanmaras hat das alte Handwerk überlebt: Sattler, Kupferschmiede und Scherenschleifer wie Mehmet Kölcü. Mit sicheren Bewegungen zieht der Mann lange Dönermesser und Fleischerbeile über den rotierenden Schleifstein. Schon Kökcüs Großvater war ein Scherenschleifer. Und immer schon hatte er auch Kunden aus dem nahen Syrien. Dass die Deutschen nun in seiner Heimatstadt Raketen stationieren, findet er gefährlich:

    "Wir werden doch so zum Ziel! Wer wird denn im Kriegsfall als erstes angegriffen? Natürlich der Raketenstandort. Und der ist doch nur ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt! Ich finde das keine gute Idee."

    In den Bergen vor der Stadt sollen die deutschen Abwehrraketen stationiert werden. Das Gelände wurde von der türkischen Armee weiträumig abgesperrt. Ein Vorauskommando der Bundeswehr ist bereits seit einer Woche vor Ort und bereitet die Ankunft von über 200 weiteren Kameraden vor. Sie seien sehr herzlich in Kahramanmaras aufgenommen worden, betont Oberst Marcus Ellermann, der Chef des Vorauskommandos. Ihren Auftrag sähen sie als abschreckende Maßnahme:

    "Am allerbesten wäre, wenn sie gar nicht eingesetzt werden und wir im Rahmen dieses Auftrags dazu beitragen, die angespannte Lage zu entschärfen – allein durch unsere Präsenz. Auf der anderen Seite muss man aber ganz klar sagen: Wenn das Waffensystem gefordert ist, wenn es eine Bedrohung gibt, wenn diese Stadt bedroht wird, dann würden wir unser Waffensystem auch zum Einsatz bringen."

    Kahramanmaras liegt 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Der Krieg im Nachbarland macht sich dennoch auch hier bemerkbar. Tausende syrische Flüchtlinge haben sich nach Kahramanmaras gerettet. Die 500.000-Einwohner-Stadt zählt zu den wirtschaftlich aufstrebenden "Anatolischen Tigern" – ihre Einwohner gelten als fleißig, konservativ und fest im Glauben verankert. Frauen ohne Kopftuch sind hier auf den Straßen eher die Ausnahme. Die Textilfabriken der Stadt produzieren vor allem für den europäischen Markt. Am Stadtrand schießen bunt angestrichene Neubaublöcke aus dem Boden. Die Mehrzahl der syrischen Flüchtlinge hat in den Lagern vor der Stadt Obdach gefunden. Aber auch anderswo bekommen die Syrer Hilfe. Der pensionierte islamische Geistliche Ali Demirögen betreibt in der Stadt eine Suppenküche, in der syrische Flüchtlinge eine kostenlose Mahlzeit bekommen können. Er begrüßt die Ankunft der deutschen Soldaten und ihrer Raketen:

    "Soweit ich verstanden habe, sind diese Patriot-Raketen nur gegen Raketen gerichtet, die aus Syrien zu uns herüber fliegen. Das ist normale Verteidigung und bringt uns in Kahramanmaras ja nicht weiter in Gefahr, glaube ich."

    Unter den syrischen Flüchtlingen der Stadt wird die Ankunft der Deutschen und ihrer Raketen mit Ungeduld erwartet. Ein junger Mann, der aus der Stadt Idlib in die Türkei geflohen war:

    "Natürlich bieten die Raketen den Syrern in den Flüchtlingslagern Schutz, auch in Kahramanmaras. Das war eine weise Entscheidung der Türkei, denn gemeinsam mit dem Iran und Russland will Assad in der Region einen Krieg anzetteln. Wir finden es richtig, dass die Türkei darauf nicht alleine antwortet, sondern gemeinsam mit der NATO."

    Von Abschreckung und symbolischer Bedeutung ist auch an der Universität von Kahrmanmaras die Rede. Ihre Grenzen könne die Türkei selber schützen. Immerhin sei ihre Armee die zweitgrößte innerhalb der NATO. Das syrische Regime werde aber immer unberechenbarer und habe mächtige Freunde. Der Politikwissenschaftler Fikret Birdisli:

    "Wir dürfen nicht vergessen, dass das syrische Regime von Russland, dem Iran und auch China unterstützt wird. Angesichts dieses Blocks, dem sich die Türkei gegenüber sieht, ist die Unterstützung der NATO für uns von großer Bedeutung."

    Die Mehrheit der Menschen in Kahramanmaras glaubt nicht, dass der syrische Krieg auch ihre Stadtgrenzen erreichen könnte. Dafür sollen jetzt jedenfalls die Deutschen und ihre Raketen sorgen.