Freitag, 29. März 2024

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Kaiser's Tengelmann-Zerschlagung
"Man muss die Frage aufwerfen, welche Rolle die Eigentümer spielen"

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow wirft den Eigentümern von Kaisers Tengelman vor, den Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf genommen zu haben, um ihr Vermögen zu sichern. Es bleibe die Frage, warum nicht frühzeitig nach einer wettbewerbskonformen Lösung gesucht worden sei, sagte Ramelow im Interview der Woche des DLF.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Volker Finthammer | 16.10.2016
    Bodo Ramelow posiert im Innenhof der Staatskanzlei in Erfurt für die Kamera
    Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow im Hof der Staatskanzlei in Erfurt. (imago / epd)
    Finthammer: Herr Ramelow, Sie sind unmittelbar nach den Gesprächen der Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu uns hier ins Studio gekommen. Da hat es einen Durchbruch gegeben. Auf den ersten Blick sieht es danach aus, als hätten die Länder sich mit ihrer Forderung durchgesetzt. Sie bekommen über 9,5 Milliarden Euro mehr aus der Kasse von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Mehr Geld gegen weniger Verantwortung – ist das jetzt der Kompromiss der Kompromisse?
    Ramelow: Es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn das so wäre, wie Sie es gerade beschreiben. Das ist die Lesart, die Herr Schäuble gerne erzählt. Tatsächlich werden uns 19 Milliarden aus dem System rausgenommen. Die Solidarpaktmittel, der sogenannte "Soli", den der Bund einnimmt und der im Jahr 2019 19 Milliarden umfassen wird, den wird Herr Schäuble ganz alleine einnehmen und für sich in seinem Haushalt behalten. Und dafür im Gegenzug werden wir 9 Milliarden, 9,4 Milliarden ab dem Jahr 2020 in den Länder-Finanzausgleich als Ausgleichsmasse bekommen. Ehrlich gesagt, mein Mathematikunterricht in Westdeutschland reicht, dass ich immer noch weiß, dass das 10 Milliarden weniger sind wie das, was vorher die Länder insgesamt zur Verfügung hatten. Es geht also um einen Abbau von Finanztransfers und gleichzeitig geht es um einen Aufbau von Eigenverantwortung, die wir auch stemmen müssen.

    Finthammer: Mit der Eigenverantwortung sieht es ja möglicherweise sogar schwierig aus, Wolfgang Schäuble hat nämlich deutlich auf den Mitspracherechten des Bundes beharrt: Wer zahlt soll auch mitreden können. Wo redet denn der Finanzminister künftig mit?
    Ramelow: Herr Schäuble kann immer schon überall mitreden. Aber Sie sollten sozusagen nicht so häufig nur mit Herrn Schäuble reden, sondern Sie sollten mit den Landesfinanzministern reden. Dann würden Sie merken, dass das, was hier in Berlin so manchmal so rund ums Bundesfinanzministerium erzählt wird, nicht den Realitäten entspricht. Ich will ein Beispiel sagen, was mich monatelang sehr geärgert hat. Wir haben Monat für Monat mit der Kanzlerin zusammengesessen, um über die Frage der Flüchtlingsunterbringung, der Flüchtlingsintegration und der Flüchtlingskosten zu reden. Und es waren die Landesfinanzminister, die mit Herrn Schäuble zusammen die Gesamtaufstellung aller Kosten und aller Haushaltstitel gemacht haben. Und Herr Schäuble hat sich einfach hingesetzt, in die Besprechung mit der Kanzlerin, und hat gesagt, er glaubt die Zahlen nicht. Und dann sage ich: Welchen Respekt hat er eigentlich vor seinen Kollegen aus den Ländern, wenn er einfach sagt: Eure Zahlen glaube ich nicht? Um nicht im Gegenzug zu sagen, welche Zahlen er denn für falsch hält – also, er behauptet einfach etwas. Und so ist es im Moment auch mit der Prüfung in den Ländern. Und der Bundesrechnungshof wird mit den Landesrechnungshöfen darüber reden, nach welchen Prüfkriterien – die dann Herr Schäuble bitte vorlegen muss – einheitlich in 16 Bundesländern nach dem selben Prüfraster geprüft wird.
    Die vier sitzen nebeneinander an einem Pult vor einer blauen Wand mit dem Bundesadler.
    Bundeskanzlerin Merkel, Finanzminister Schäuble sowie die Ministerpräsidenten Haseloff (l.)und Sellering (r.) verkünden die Einigung im Finanzstreit. (dpa-Bildfunk / Rainer Jensen)
    "Herrn Schäuble stört offenkundig die Einigkeit der 16 Ministerpräsidenten"
    Finthammer: Aber genau dieser Bundesrechnungshof hat die Tage Zahlen vorgelegt, wonach der Bund die Länder in den letzten Jahren erheblich stärker subventioniert hat, dass diese Ausgaben gestiegen sind. Mit dem Vorschlag der Länder wird sich das Pendel ja noch weiter zu Ungunsten des Bundes verschieben.
    Ramelow: Man hat fast das Gefühl, dass der Bund verarmt. Und man wundert sich, dass überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird – auch in der Form, wie Sie jetzt den Schwerpunkt Ihrer Fragestellung wählen, ist es wieder so, dass man überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, dass der Herr Schäuble zur Zeit den höchsten Steuerüberschuss seit Existenz der Bundesrepublik Deutschland hat. Und sobald wir Aufgaben wahrnehmen, stehen wir immer alleine hinterher. Und deswegen sage ich: Ja, das ist der Teil der Propaganda, den offenkundig Herr Schäuble meint zu machen. Ich glaube, wir sollten abrüsten. Wir sollten wirklich sagen: Die Tarifverhandlungen um den Länderfinanzausgleich sind vorbei. Und Herr Schäuble sollte sagen, was er wissen will, wenn er das Bedürfnis hat, aber er soll nicht nach außen immer erzählen, die Zahlen sind falsch, die Informationen sind falsch. Und ehrlich gesagt, ja, der Bundesrechnungshof sagt: Wir haben Geld bekommen, aber das Geld ist auch verwendet worden – wenn ich einfach mal darauf hinweisen darf: Flüchtlingskosten. Als ich ins Amt gekommen bin, ganz konkret, standen 25 Millionen im Haushalt. Abgerechnet haben wir 45 Millionen. Im darauffolgenden Jahr mussten wir 270 Millionen ausgeben. Und im aktuellen Haushalt haben wir 479 Millionen. Wenn Sie dann im Gegenzug wissen, dass nur 17 Prozent davon vom Bund bislang refinanziert worden sind und wir über einen langen Kampf dafür jetzt gesorgt haben, dass wir auf gerade mal 25 Prozent kommen, dann sage ich mal mit den Worten von Erich Kästner: Man soll den Kakao nicht auch nicht trinken, durch den man gezogen wird.

    Finthammer: Wenn ich Ihnen jetzt so zuhöre, sollte man ja meinen, Sie sind mit dem Kompromiss überhaupt nicht zufrieden, der da gefunden wurde?
    Ramelow: Nein, Sie haben mit Informationen gearbeitet, mit denen Herr Schäuble immer die Verhandlungen von außen mit Tretminen und Bomben versehen hat. Und zwar so, dass wir immer sonntags in der Zeitung lesen durften, wie schrecklich die 16 Ministerpräsidenten sind und das, was Herrn Schäuble offenkundig stört, die Einigkeit der 16 Ministerpräsidenten. Und darüber lohnt es sich ja mal nachzudenken, dass Horst Seehofer und ich, also die CSU und Die Linke, in dieser Frage zusammenstehen, weil wir nicht parteipolitisch agieren, sondern in der Verantwortung für unsere Bundesländer. Und noch mal: In unseren Bundesländern leben die Menschen. Und ich bin froh, dass wir jetzt zu einer vernünftigen Linie kommen. Die schafft in Deutschland ordentliche Verhältnisse bis 2030. Das ist eine lange planbare Zeit und sie hat jetzt schon Anschlussregeln für danach getroffen, damit wir nicht noch einmal in so eine hässliche Situation kommen.
    Finthammer: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Heute mit dem Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow. Herr Ramelow in dieser Woche mit einigen dramatischen Ereignissen, kommen wir gar nicht umhin, auch darüber zu reden. Fangen wir an mit dem, was jüngst in Sachsen passiert ist. Der sächsische Justizminister Gemkow hat einen Rücktritt wegen der Selbsttötung des Terrorverdächtigen Al-Bakr im Gefängnis erneut ausgeschlossen. Damit würde er sich aus der Verantwortung stehlen, jetzt gehe es nämlich darum, aufzuarbeiten was geschehen sei und dann die richtigen Schlüsse zu ziehen. Zieht der Minister aus Ihrer Sicht damit die richtigen Schlüsse?
    Ramelow: Ich bleibe mir prinzipiell sehr treu, dass ich mich zu anderen Bundesländern in solchen Fragen nicht äußere und zu Personalangelegenheiten schon gar nicht. Ich bin aber froh zu wissen, dass der meistgesuchteste Syrer – Al-Bakr –, der offenkundig einen schweren Anschlag auf uns geplant hat und wahrscheinlich, wenn alles zutrifft, hier in Berlin, also viele Menschen möglicherweise mit dem Tod bedroht hat und auch vorsätzlich Menschen zu Tode bringen wollte, dass ein anderer Syrer ihn fein säuberlich zum Paket zusammengebunden hat und die Polizei benachrichtigt hat und die Polizei dann den Zugriff machen konnte.
    Wolfgang Schäuble mit konzentriertem Blick und verkniffenem Mund vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz.
    Von Ramelow hart kritisiert: Bundesfinanzminister Schäuble. (Deutschlandradio)

    Finthammer: Ihre Parteivorsitzende Katja Kipping hat der Sächsischen Landesregierung totales Versagen vorgeworfen und sieht in der sächsischen CDU ein Sicherheitsrisiko für das ganze Land.
    Ramelow:
    Ja. Was war jetzt die Frage?
    Finthammer: Würden Sie dem zustimmen?
    Ramelow: Ich bleibe mir treu und sage: Ich werde mich zu anderen Bundesländern und Personalangelegenheiten anderer Bundesländer nicht äußern. Aber ich kann ohne zu zögern sagen, dass ich über manches in letzter Zeit verwundert bin. Ich bin am 3. Oktober in Dresden gewesen und ich habe mich gewundert über die Art und Weise, wie rund um die Frauenkirche die Absicherungen gewesen sind, wie ein großer Polizeieinsatz nicht verhindern konnte, dass Beleidigungen gegen die Bundeskanzlerin in schlimmster Weise ausgesprochen wurden und wie man ausländische Staatsgäste und Botschafter mit Affengeräuschen herabwürdigend in einer schlimmen Form dort geschmäht hat. Und da hätte ich mir mal gewünscht eine Entschiedenheit einer Polizei, die ansonsten immer in Dresden, wenn es darum geht, dass Menschen gegen Nazis demonstrieren, immer sehr schnell dabei sind mit dem Vorwurf der Aufwiegelei. Ich habe da ja meine persönlichen Erfahrungen sammeln müssen.
    Das Bild ist grob gepixelt und zeigt den Kopf al-Bakrs vor einer Häuserwand.
    Fahndungsfoto des terrorverdächtigen Syrers Dschaber al-Bakr. (picture alliance / dpa / Polizei Sachsen, Christian Zander)
    "Uwe Böhnhardt stand schon einmal im Verdacht, dass er mit dem Kindsmord in Jena direkt etwas zu tun hatte"
    Finthammer: Noch eine aktuelle Geschichte. Am vergangenen Donnerstag wurde bekannt, dass Ermittler DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen, Uwe Böhnhardt, an einem Gegenstand in der Nähe des getöteten Mädchens Peggy gefunden haben. Sie haben jetzt angekündigt einen weiteren Kindsmord in den 90er Jahren prüfen zu wollen. Können Sie uns da mehr sagen?
    Ramelow: Uwe Böhnhardt stand schon einmal im Verdacht, dass er mit dem Kindsmord in Jena direkt etwas zusammen zu tun hatte und er wurde auch als Zeuge damals vernommen. Und eine weitere Person aus Jena, die so eine Schnittstelle zwischen den NSU-Terroristen und Uwe Böhnhardt und der organisierten Kriminalität ist, diese Person hat in der Nähe des Fundortes dieser Leiche von Peggy eine Hütte. Das muss aber sauber auch kriminalistisch belegt sein. Es gibt einfach eine Fragestellung, die von Anfang an im Raum stand, nämlich in dem Camper der beiden Toten Uwes waren Kindersachen und Spielzeug, und niemand hat jemals sich erklären können, was das war, warum das da war. Und insoweit muss man jetzt nicht nur den einen Fall in Jena noch einmal neu bewerten, sondern man muss sich tatsächlich um die Frage von Kindesentführung, verschwundenen Kindern, möglicherweise auch Pädophilie und die Schnittmenge Richtung organisierte Kriminalität angucken. Aber das setzt voraus, dass wir gesichert wissen, dass diese DNA-Spur unzweifelhaft die Böhnhardt-Spur ist. Und insoweit muss man dieser Spur jetzt konsequent nachgehen. Und die Thüringer Polizei wird das auch tun.
    Zwei Frauen skandieren etwas auf einer Demonstration, dahinter viele weitere Teilnehmer mit Transparenten.
    Die transatlantischen Freihandelsabkommen CETA und TTIP stoßen auf großen Protest. (picture alliance/ dpa/ Stephanie Lecocq)
    Finthammer: Wir haben so viele aktuelle Themen in dieser Woche, dass ich Sie eins nach dem anderen fragen muss. Das Karlsruher Eilurteil zum CETA Handelsabkommen mit Kanada wurde von Ihrer Partei ob der daran formulierten Auflagen als Teilerfolg begrüßt. Als Ministerpräsident eines der wirtschaftlich stärkeren Ländern im Osten müsste Ihnen ja der Freihandel ein hohes Gut sein, um den Unternehmen mehr Chancen zu eröffnen. Ist das für Sie insofern ein angemessenes Urteil, das keine Chancen verbaut?

    Ramelow: Erst mal ist es so, dass die Frage des Freihandels sich danach definiert, ob wirklich freie Staaten und freie Länder miteinander einen freien Handel verabreden und dieser freie Handel auch zum wechselseitigen Nutzen entsteht und damit ein Mehrwert für beide Seiten entsteht. Wenn Freihandelsabkommen aber so abgeschlossen werden, dass sie einseitig Standards herabsetzen, Arbeitsrechte in dem jeweiligen Nationalstaat außer Kraft setzen oder wie es bei dem anderen parallelen Handelsabkommen, dem TTIP, immer wieder im Raum steht, dass sogar die Gerichtsbarkeiten ausgeschaltet werden, dann führt das in die völlig falsche Richtung. Ich bin ein Anhänger von freiem Handel, weil mein Bundesland lebt davon, dass wir auf den Weltmärkten mit dabei sind, 60 Firmen in Thüringen sind Weltmarktführer. Das heißt, wir sind darauf angewiesen, weltoffen zu sein und wir müssen auch mit den Weltmärkten interagieren können. Und von daher ist das Urteil jetzt genauer anzugucken, weil es ist nicht nur ein Teilerfolg, wie es meine Partei sagt, sondern es ist natürlich auch mit Restriktionen versehen. Und diese Restriktionen muss man sich genau angucken. Ich bin sehr dafür, dass wir mit Kanada, also die Europäische Gemeinschaft mit Kanada einen verlässlichen Rahmen schafft.
    Finthammer: Also Sie hoffen nicht darauf, dass das Verfahren im Hauptverfahren noch mal gestoppt wird?
    Ramelow: Na, jetzt ist es erst mal so, dass die mündliche Verhandlung und die Ausführungen dazu ja deutlich macht, auf was man achten muss. Und darauf muss man sich jetzt konzentrieren. Und man darf es nicht als Begründung nehmen, dass über diesen Weg TTIP jetzt durch die Hintertür kommt. Ich glaube, wir werden uns das insgesamt noch mal anschauen müssen. Weil ein freier Handel, der dazu führt, dass soziale Standards in Nationalstaaten kaputt gemacht werden, ein solcher freier Handel ist eher ein Schaden. Ich will ein Beispiel sagen, worum ich mir immer Sorgen mache. Wenn der Meisterbrief in Deutschland zerstört wird oder die duale Ausbildung in Deutschland zerstört wird, weil sie als Handelshemmnis bezeichnet oder begriffen wird, dann kann ich nur sagen, das würde dann an die Substanz unseres Landes gehen.
    Kaisers-Tengelmann-Zerschlagung: "Man muss man mal die Frage aufwerfen, was die Eigentümer-Familie von dieser Firma eigentlich für eine Rolle spielt"
    Finthammer: Bodo Ramelow, der Ministerpräsident von Thüringen im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Herr Ramelow, am Einzelhandel liegt Ihnen ja aufgrund Ihrer beruflichen Herkunft gewiss einiges. Sigmar Gabriel wollte mit der Ministererlaubnis für die Übernahme von Kaiser's Tengelmann 16.000 Arbeitsplätze retten. Daraus wird jetzt wohl – zumindest in dieser Form – nichts mehr. Hätte Gabriel das anders angehen müssen oder war die Ministererlaubnis von vornherein der falsche Weg?

    Ramelow: Zuerst muss man mal die Frage aufwerfen, was die Eigentümer-Familie von dieser Firma eigentlich für eine Rolle spielt. Der Schlüssel in unserem Grundgesetz – Eigentum verpflichtet – gilt auch für die Familie Haupt. Und Kaiser's Kaffee und Tengelmann haben diese Familie mal sehr vermögend gemacht. Und die 15.000 Kolleginnen und Kollegen in den Supermärkten sind jetzt die Leidtragenden von einer schleichenden Umstrukturierung des gesamten Familienvermögens. Und deswegen, bevor ich über die Rolle von Herrn Gabriel nachdenke, ob er die Ministererlaubnis hätte machen sollen oder nicht, bleibt für mich die Frage: Wenn sich die Familie Haupt es nicht mehr zutraut, Lebensmitteleinzelhandel – was mal ihr Stammgeschäft war – zu betreiben, dann bleibt die Frage, warum man nicht angeboten hat, dass tatsächlich die ganzen Niederlassungen des Unternehmens immer als Gesamtniederlassung so angeboten werden, dass es wettbewerbskonform ist. Weil das war der eigentliche Problemdruck. Wir haben im deutschen Einzelhandel eine Monopolstellung und die Bauern bei uns leiden darunter. Und deswegen ist es nicht nur eine Frage, dass jetzt 15.000 Kaiser's und Tengelmann Beschäftigte leiden, unter der Frage, wie man Milchpreise und Fleischpreise und Nahrungsmittelpreise immer weiter runterdrückt. Wie bei uns ein Kartoffelproduzent gerade ausgelistet worden ist und damit auch Arbeitsplätze in Größenordnung kaputt gemacht werden durch eine sehr dominante Stellung von Handelskonzernen, die mit dem, was ich noch kennengelernt habe, als ich angefangen habe zu lernen im Einzelhandel, gar nichts mehr zu tun haben.
    Finthammer: Das heißt, Sie hätten den EDEKA-Deal letztlich gar nicht gutgeheißen?
    Ramelow: Ich hätte mir gewünscht, wenn man viel früher – viel, viel früher – nach Niederlassungen entschieden hätte, ob es nicht lokale Anbieter gibt. Also, um jetzt keine Schleichwerbung zu machen, aber man muss gar nicht drum herumreden, es bleibt ja nur REWE oder MARKANT oder die METRO-Gruppe. Also, so allzu viel an großen Playern auf diesem Markt gibt es nicht. Und das wäre ja nicht das erste Mal, dass große Filialunternehmen veräußert werden, dass man sie im Blick haben muss mit Monopolstrukturen.
    Ein roter Kaiser's-Schriftzug leuchtet am Abend an dem Markt.
    Zum Verkauf: Kaisers's-Tengelmann-Filialen (hier ein Markt in Köln). (dpa/picture alliance/Oliver Berg)
    "Ich bekämpfe nicht die AfD, ich will die Angst bekämpfen, die Menschen haben"
    Finthammer: Herr Ramelow, bis vor gut einem Jahr konnte man noch mit Fug und Recht behaupten, es gibt eine rot-rot-grüne Mehrheit in diesem Land, auch wenn die von einer gemeinsamen Regierung noch weit entfernt war. Seit dem Einzug der AfD in die Parlamente, geht diese Rechnung allein rechnerisch schon nicht mehr auf, dennoch reden plötzlich alle davon. Ist das bei nüchterner Betrachtung nicht eine Illusion?
    Ramelow: Ganz im Gegenteil. Es ist die Frage, ob es eine Option ist. Die Illusion war es so lange, so lange die drei Parteien, die eine rot-rot-grüne Regierung hätten stellen können, gemeinsam sich überhaupt nicht die Mühe gemacht haben mal zu klären, was hat man für gemeinsame Position und was hat man für trennende. Ich werbe ja immer dafür, dass wir das Trennende endlich zwischen uns als Parteien mal klären, bevor wir in den nächsten Wahlkampf gehen. Das, was aber die AfD erst in der Form hat wachsen und werden lassen, ist ja ein Unwohlsein in der Bevölkerung. Deswegen, ich bekämpfe nicht die AfD, ich will die Angst bekämpfen, die Menschen haben. Und da gibt es eine ganze Reihe von Erfahrungen, die Familien erleben. Kinder, die in Armut groß werden. Kinder, die unter Hartz IV Bedingungen groß werden, da wird Armut ausgrenzend, gesellschaftlich ausgrenzend. Ich halte das für eine Katastrophe für unser Land. Menschen, die ihr Leben lang arbeiten – zum Beispiel in dem Unternehmen, über das wir gerade geredet haben –, relativ wenig Brutto-Einkommen hatten, das führt alles am Ende zu Altersarmut. Und wenn Altersarmut in eine Situation führt, dass man seine Gesundheit nicht mehr absichern kann, die Pflege nicht bezahlen kann, dann verstehe ich Unmut, der in der Bevölkerung wächst. Und deswegen sage ich: Eigentlich hätte ich mir gewünscht, die Bundesregierung hätte mal deutlich gemacht, dass im Zuge der Krise, die wir letztes Jahr hatten, als sehr viele Menschen als Flüchtlinge, als Notsuchende hierhergekommen sind und die Verunsicherung sehr groß wurde, wenn sich die Bundesregierung dazu klar geäußert hätte, dass die Integration dieser Menschen einhergeht mit einer Sozialstaatsgarantie, dass keiner Angst haben muss um sein eignes Leben. Weil diese Angst, die Differenz der Angst in den Seelen, füllen diese Seelenfänger, indem sie bestimmte Formen von Hassparolen auch anfüllen.

    Finthammer: Ich bleibe nochmal bei dem möglichen politischen Bündnis. Dietmar Bartsch, Ihr Parteikollege, träumt ja bereits von einen rot-rot-grünen Projekt auf Bundesebene. Nur darüber, so sagt er, sei eine gerechte Steuerreform oder eine gerechte Rentenreform überhaupt durchsetzbar. Wir hatten hier in der vergangenen Woche an dieser Stelle den SPD-Fraktionsvorsitzenden, Thomas Oppermann, und der hat darauf reagiert und gesagt, er wisse nicht, wo die Linkspartei im Augenblick in Wirklichkeit steht. Nicht bei den sozialen Themen, aber im Blick auf die NATO, auf die EU, auf Russland, da kommt so viel Gegenwind aus Ihrer Partei, da wird doch eine Koalition auf Bundesebene unter diesen Gesichtspunkten frühestens am Sankt Nimmerleinstag möglich?
    Ramelow: Solange wir das immer nur an Wochenende bei Ihnen im Radio austauschen und dann wechselseitig hören, was der andere gesagt hat, wird es natürlich kein gutes Konzept. Es ist spannend für das Radio und für die Zuhörer zu hören, was der Jeweilige sagt, mir wäre es aber lieber, die Akteure würden sich an einen Tisch setzen und dann mal das Trennende beschreiben. Ich würde gerne wissen bei der NATO-Frage: Was trennt uns da wirklich? Ist es die Mitgliedschaft in der NATO an sich oder ist es die Grundlage, dass man sagt, die NATO aus der Zeit des Kalten Krieges ist das Gegengewicht gewesen zum Ostblock. Den Ostblock gibt es aber nicht mehr, den Kalten Krieg gibt es – zum Glück – nicht mehr und die Frage einer neuen Friedensarchitektur auf der Welt haben wir nicht bearbeitet. Und deswegen komme ich nochmal für mich auf das Thema NATO und Wertegemeinschaft. Ich höre immer, das sei eine Verteidigungsgemeinschaft, die auf einem Wertekanon basiert. Wenn das die Grundlage ist, die freie Welt – so hieß das immer – wird gemeinsam verteidigt, dann frage ich, was die Wertegemeinschaft dann bitte mit Herrn Erdoğan bedeutet. Was bedeutet denn, wenn in der Türkei und in Syrien im Moment die YPG-Kämpfer in Rojava und Kobane mit NATO-Flugzeugen von Herrn Erdoğan bombardiert werden. Das sind die Einzigen, die wirklich mit der Waffe in der Hand ihre Heimat verteidigen und dem IS Paroli bieten.
    Finthammer: Ja, aber was nutzen einem die völkerrechtehrlichen Grundsätze, wenn man Zwangsbündnisse eingehen muss wegen der Flüchtlingspolitik und anderem mehr?
    Ramelow: Es geht nicht um ehrliche Grundsätze. Nein, Entschuldigung, da widerspreche ich Ihnen. Zwangsbündnisse heißt ja nicht, dass man auf einmal schweigt zu einem Werteverfall.
    Stoltenberg spricht und gestikuliert im Nato-Presseraum. Im Hintergrund sieht man unscharf den "NATO"-Schriftzug.
    In der Kritik der Linken: Die Nato (hier Generalsekretär Stoltenberg). (DPA / EPA / OLIVIER HOSLET)
    "Ich würde gerne mit der SPD und dem Bündnis Grünen reden. Ich würde es gerne ausdiskutieren: Was trennt uns wirklich?"
    Finthammer: Schweigt die Bundesregierung zum Werteverfall in der Türkei?
    Ramelow: Haben Sie irgendwann etwas gehört zu Rojava und Kobane? Haben sie was gehört zu der Solidarität mit Rojava? Ich habe davon nichts gehört. Und ich hätte mir gewünscht, wenn die NATO sich mal klar positioniert hätte, dass kein Flugzeug, kein NATO-Flugzeug diejenigen bombardieren darf, die mit der Waffe in der Hand den IS zurückgetrieben haben. Und in Kobane haben wir zugeguckt, wie die NATO-Panzer an der einen Seite standen und niemand, nicht mal Hilfskonvois aus Thüringen sind durchgelassen worden und auf der anderen Seite hat der IS die Menschen umgebracht. Und dann wundern wir uns, dass am Ende die Flüchtlinge hierherkommen?! Und dann lassen wir zu, wie Flüchtlinge hier auch noch angegriffen werden?! Deswegen würde ich gerne darüber mit der SPD und dem Bündnis Grünen reden. Ich würde es gerne ausdiskutieren: Was trennt uns wirklich. Und wenn wir das klar haben, dann könnten wir das Trennende mal festhalten und sagen: Ja, da sind wir unterschiedlicher Meinung.
    Finthammer: Aber bevor Sie sich da einig werden, würde ich doch sagen, spaltet sich doch eher Die Linke?
    Ramelow: Nein, es geht ja gar nicht um "einige werden" – Sie haben mich missverstanden. Ich habe ausdrücklich gesagt: Wir müssen das Trennende endlich mal vermessen, ein Echolot mal ansetzen und dann wirklich mal sagen: Ist es das Trennende oder wird das Trennende immer nur über uns erzählt? Und dann ist das wie so ein Spielautomat: Man wirf oben einen Groschen ein und wundert sich, dass immer dieselbe Melodie erscheint, nämlich die Melodie, dass am Ende die SPD Frau Merkel zur Spitzenkandidatin aufstellen muss und eine Politik weitergeht, bei der die Bürger nicht mehr verstehen, um was es eigentlich geht.
    Frontalaufnahme des Hauses unter wolkenlosem blauem Himmel.
    Die Parteizentrale der Linken: Das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin. (imago stock&people)
    Finthammer: Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, hat vor einiger Zeit das Wählerpotenzial für Die Linke mit Blick auf die Bundestagswahl auf bis zu 16 Prozent beschrieben, vor allem, wenn man im Westen der Republik noch stärker mobilisieren würde. Und dabei haben alle jüngeren Landtagswahlen ja gezeigt, dass Die Linke neben der Union mit die meisten Wähler an die AfD abgeben musste. Wo bitte, Herr Ramelow, soll da die Kehrtwende herkommen? Wie wollen Sie diese Menschen innerhalb kürzerer Zeit wieder erreichen?
    Ramelow: Ich frage jetzt mal ganz vorsichtig zurück, ob Sie die Berliner Wahl irgendwie nicht mitgekriegt haben, also, die Landtagswahl von Berlin? Offenkundig scheinen Wählerinnen und Wähler sehr ernst zu nehmen, ob man mit einer klaren Botschaft reingeht. Und da bin ich gerne bei Ihnen: Die Botschaft bei uns muss klar sein: Welche Funktion wollen wir uns selber geben und welche Funktion bieten wir den Wählern an. Weil ich glaube, dass viele Menschen, die uns wählen wollen, nicht einfach nur mit Phrasen abgespeist werden wollen.
    "Ich bin der Ministerpräsident von Thüringen und nicht der Parteisprecher der Linken"
    Finthammer: Diese Option scheint jetzt auch schon wieder innerhalb der Linken ein wenig verspielt zu werden. Der jüngste Coup ist ja, dass Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sich gegenseitig als Doppelspitze zur Bundestagswahl nominiert haben oder aufstellen wollen und damit die Parteichefs Bernd Riexinger und Katja Kipping mehr oder weniger eiskalt ausbooten wollen. Dazu haben Sie sich noch nicht geäußert. Ist das ein sinnvolles Vorgehen in so einer doch zerstrittenen Partei?
    Ramelow: Es gilt immer mein Satz, den ich seit zwei Jahren unisono sage: Ich bin der Ministerpräsident von Thüringen und nicht der Parteisprecher der Linken. Und insoweit äußere ich mich nicht zu Behauptungen und Unterstellungen. Ich habe von der Veranstaltung gehört und es war eine Einladung an die beiden Fraktionsvorsitzenden. Und ich halte das für selbstverständlich, dass die Parteispitzen einer Partei auch mit ihren Fraktionsvorsitzenden im Bundestag regelmäßig auch über Fragen der Wahlen, der Wahlvorbereitung und Ähnliches reden. Also, insoweit höre ich jetzt alles, was unterstellt wird, dass das ein eiskaltes Ausbooten war, aber auf die Frage: Seid ihr bereit, zu antworten: Ja, wir sind bereit, das als Ausbooten zu deklarieren, halte ich doch für ein bisschen gewagt.
    Finthammer: Herr Ramelow, seit Monaten redet die Republik über die mögliche Nachfolgerin von Bundespräsident Joachim Gauck. Anstatt einer überzeugenden Kandidatin oder eines Kandidaten erleben wir – wie wieder just in dieser Woche – ein Namedroping mit anschließendem sofortigen Rückzug der Kandidaten. Ist das Amt nicht mehr begehrt oder ist es vom Anspruch der Parteien überfrachtet?
    Ramelow: Also ehrlich: Weder noch. Weil ich habe das diese Woche, dieses Namedroping mitgekriegt und mich gewundert, weil ich ja wusste, dass Frau Käßmann nicht bereitsteht. Und deswegen war ich irritiert, als ich auf einmal hörte, man bringt sie mal wieder ins Gespräch. Ehrlich gesagt, wenn man eine Kandidatin oder einen Kandidaten finden will, muss man zu allererst mit diesem Menschen es klar haben und nicht mit der Öffentlichkeit. Und öffentlich irgendwelche Vorschläge zu machen, führt dazu, dass dieser Mensch es garantiert nicht wird. Und deswegen sage ich, es ist auch falsch. Ich sage das auch immer wieder: Ich finde es falsch, wenn wir nur einen rot-rot-grünen Kandidaten suchen würden. Wir brauchen für das Amt des Bundespräsidenten eine Persönlichkeit. Wenn es eine weibliche Person wäre, die die Kraft hat, das auszustrahlen, wäre es wunderbar. Ich fände es schade, wenn wir in der Bundesversammlung eine zugespitzte Situation hätten, dass am Ende eine Kandidatin oder ein Kandidat nur mit einer knappen Mehrheit gewählt werden würde. Deutschland bräuchte derzeit eher im Sinne von Rau, wir bräuchten einen Aufbruch "versöhnen statt spalten". Weil das, was wir gerade erleben, ist eher eine Spaltung der Gesellschaft. Und da bräuchten wir eine nachdenkliche Persönlichkeit, weil das Amt des Bundespräsidenten ist das Amt des Wortes. Und wir bräuchten gerade jemanden, der sehr klug mit Worten umgeht. Und so eine Persönlichkeit in dem Amt des Bundespräsidenten oder eine Bundespräsidentin, das wäre mir eine große Freude.
    Finthammer: Dann, Herr Ramelow, danke ich Ihnen an dieser Stelle für das Gespräch.
    Ramelow: Herzlich gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.