Später Prozess

Von Otto Langels · 11.05.2007
Seine Opfer nannten ihn den "Schlächter von Lyon": Klaus Barbie, Gestapochef der Stadt in den Jahren 1942 bis 1944. Am 11. Mai 1987 begann in Lyon der Prozess gegen den ehemaligen SS-Führer, auf dessen Befehl Tausende französischer Widerstandskämpfer und Juden verfolgt und ermordet worden waren.
"Eine beklemmende Stille trat ein, als der Gerichtspräsident den Angeklagten in den Saal holen ließ. Man führte einen kleinen, alten Mann in dunklem Anzug herein. Der Mann, der wegen seiner Greueltaten während des Krieges als 'Schlächter von Lyon' bezeichnet wird, hat lebhafte dunkle Augen. Leute, die Barbie begegnet waren oder die ihm gar ausgeliefert waren, sagen, diesen Blick kann man nie vergessen."

Der Rundfunkkorrespondent Hans Joachim Kruse berichtete am 11. Mai 1987 aus Lyon vom Prozessauftakt gegen Klaus Barbie, den ehemaligen Gestapo-Chef der ostfranzösischen Stadt. Die Anklage warf ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 177 Fällen vor.

Barbies Karriere hatte 1935 begonnen: Nach einer Begegnung mit Heinrich Himmler tritt der damals 21-Jährige in die SS ein und wird kurz darauf Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes. Anfang der 40er Jahre geht er im besetzten Amsterdam mit äußerster Brutalität gegen jüdische Bürger und so genannte "Feinde des Reiches" vor. Im November 1942, nachdem deutsche Truppen in die von der Vichy-Regierung verwaltete unbesetzte Zone Frankreichs einmarschiert sind, kommt Barbie nach Lyon. Auf seinen Befehl werden mindestens 14.000 Widerstandskämpfer und Juden festgenommen, gefoltert, deportiert und ermordet; unter ihnen der Führer der Résistance, Jean Moulin. Am 6. April 1944 macht der SS-Führer von einer besonders "erfolgreichen" Razzia Mitteilung:

"In den heutigen Morgenstunden wurde das jüdische Kinderheim in Izieu ausgehoben. Insgesamt wurden 41 Kinder im Alter von 3 bis 13 Jahren festgenommen. Ferner gelang die Festnahme des gesamten jüdischen Personals, bestehend aus 10 Köpfen. Der Abtransport erfolgt am 7.4.44."

Die Kinder werden nach Auschwitz deportiert, keines von ihnen überlebt das Vernichtungslager.

Als Frankreich von den Alliierten befreit wird, kehrt Barbie nach Deutschland zurück. Nach dem Ende des NS-Regimes taucht er zunächst unter und ist dann als Informant für den amerikanischen Geheimdienst tätig. Mit dessen Hilfe emigriert er 1951 nach Bolivien, wo er sich unter dem Namen Klaus Altmann in La Paz niederlässt.

Barbie handelt mit Waffen, berät die Militärregierung und lebt unbehelligt, bis ihn 1972 die als Nazi-Jägerin bekannt gewordene deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld aufspürt.

"Das erste Mal, wo ich wirklich in die Sache hineingekommen bin mit der Affäre Klaus Barbie, war mit den Müttern, deren Kinder aus Izieu deportiert wurden, und wir zusammen demonstriert haben mit einer Mutter in München vor dem Gerichtsgebäude, um das Verfahren gegen Klaus Barbie wieder aufnehmen zu können, und mit der anderen, Frau Halaunbrenner, eine Frau, die ziemlich herzkrank war, und die dann bereit war, mit mir nach Bolivien, nach La Paz zu reisen, um dort zu demonstrieren und die Auslieferung des Henkers ihrer Kinder zu fordern."

Die deutsche Justiz und die französische Regierung verlangen daraufhin wiederholt die Auslieferung Barbies, vergeblich. Erst 1983, als in Bolivien eine demokratisch gewählte Regierung im Amt ist, wird Klaus Barbie festgenommen und nach Frankreich ausgewiesen, wo ihm der Prozess gemacht wird.

"Der Angeklagte wurde um Angaben zur Person gebeten. Ich heiße Klaus Altmann, sagte Barbie, Beruf Kaufmann, zuletzt wohnhaft in La Paz, Bolivien. Sofort gab es einen heftigen Wortwechsel über die Identität, unter der Altmann alias Barbie hier beim Prozess in Lyon aufzutreten gedenkt. Der Auftakt dieses Prozesses, bei dem es um grauenhafte Verbrechen geht, wirkte gespenstisch."

Nach dem Auftritt am ersten Prozesstag lehnt Barbie es ab, weiter an der Verhandlung teilzunehmen.

"Den Richtern und Geschworenen des Gerichtshofes von Lyon teile ich mit, dass ich illegal hier bin als Opfer einer Entführung, mit der sich zur Zeit das Oberste Gericht in Bolivien befasst. Aus diesem Grunde habe ich vor, nicht mehr vor diesem Gericht hier zu erscheinen. Und ich bitte Sie, Herr Präsident, mich in die Haftanstalt St. Joseph zurückbringen zu lassen."

Nach 36 Verhandlungstagen verurteilen die Geschworenen Klaus Barbie wegen der Deportation von mindestens 843 Juden und französischen Widerstandskämpfern zu lebenslanger Haft. Damit endet ein später Versuch, die Vichy-Vergangenheit und die Frage von Widerstand und Kollaboration juristisch aufzuarbeiten.

Im September 1991 stirbt der "Schlächter von Lyon" im Gefängnis an Krebs.