Hitparade als Erfolgsmesser

Von Michael Kleff · 20.07.2010
Für Musikindustrie und Interpret bedeutet es etwas, Nummer 1 einer Hitparade zu sein. Die Idee der Verkaufs- und Abspielerfassung als Erfolgsindikator ist schon alt. Und die Methoden dazu unterliegen einem regelmäßigen Wandel.
Musikcharts und Hitparaden gibt es auf der ganzen Welt. Sie sind Gradmesser für die Beliebtheit eines Künstlers. Nach seinem Tod im Juni des vergangenen Jahres war zum Beispiel Michael Jackson in allen einschlägigen Hitparaden vertreten, da die Fans seine alten CDs massenweise kauften. Vor dem Siegeszug der Schallplatte wurde Ende des 19. Jahrhunderts der Erfolg eines Musikstückes noch am Verkauf von Notenblättern gemessen. Die ersten richtigen Hitparadenlisten erschienen Mitte der Dreißigerjahre. Doch sie waren zunächst nicht mehr als Werbeblätter der großen Plattenfirmen jener Zeit. Mit wirklichen Verkaufszahlen hatte erst der vor 70 Jahren im Branchenmagazin Billboard veröffentlichte Music Popularity Chart zu tun. Ein Beitrag von Michael Kleff.

Tommy Dorsey und Frank Sinatra. Mit "I´ll Never Smile Again" landeten sie auf Platz 1 des am 20. Juli 1940 erstmals veröffentlichten "Music Popularity Chart". Das Musikmagazin Billboard ermittelte diese erste Top 10 auf der Basis von Verkaufsstatistiken und Radioeinsätzen.
Der Begriff Hitparade geht auf die 1935 im NBC-Radioprogramm ausgestrahlte Sendung "Your Hitparade" zurück. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Anzahl der verkauften Notenblätter festgehalten. Das 1894 gegründete Magazin Billboard veröffentlichte diese Daten ab 1913. Mitte der Dreißigerjahre folgten Bestseller-Charts der Plattenlabels und wöchentliche Zusammenstellungen der populärsten Platten in den Musikboxen. Für den neuen Music Popularity Chart wurden ab 1940 jede Woche die Verkäufe in den größten Musikmärkten der USA wie New York, Chicago oder Los Angeles abgefragt. Joel Whitburn, Autor und Herausgeber zahlreicher Dokumentationen über die Billboard-Hitparaden:

"Die Zahlen wurden per Post oder Telefon übermittelt und dann von Billboard-Angestellten per Hand ausgezählt. Diese neue Hitparade war für die großen Plattenfirmen wichtig. Sie konnten anhand der Zahlen ablesen, wo sie standen. Victor hatte fünf Titel unter den ersten Zehn. Decca und Columbia hatten zwei. Victor hatte also in der Woche die Nase vorn. In der Folgewoche konnte es schon anders aussehen. Der Wettbewerb half, für Platten zu werben und sie zu verkaufen."

Von der neuen Billboard-Hitparade profitierten nicht nur die Musikindustrie und die Künstler. Sondern auch die damals noch unzähligen Plattengeschäfte und die Kunden.

"Die Händler sorgten dafür, dass man damalige Erfolgstitel von Jimmy Dorsey oder von Glenn Miller im Laden hatte. Und wenn jemand kam und fragte, wer hat den Song 'Nobody´s Baby' gesungen, konnte der Verkäufer unter Verweis auf die Hitparadenliste sagen, dass Judy Garland die Interpretin war. Und dass man die Platte vorrätig hat."

Inhalte und Ermittlungsverfahren der Hitparaden veränderten sich seit dem ersten Music Popularity Chart 1940 immer wieder. So veröffentlicht Billboard heute neben den Top 100 eigene Verkaufslisten für die verschiedenen musikalischen Genres von Hip-Hop bis Country. Und nach dem Rückgang der CD-Verkaufszahlen fließen auch Musikdownloads und Musikvideos in die Statistiken ein.
In Deutschland wurden die ersten Single-Hitparaden ab 1956 veröffentlicht. Seit 1977 erhebt das Marktforschungsunternehmen Media Control im Auftrag des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft wöchentlich die offiziellen deutschen Charts auf der Basis elektronisch erhobener CD-Verkäufe.

Solange es Charts gibt, gab es immer wieder auch Manipulationsversuche. In Deutschland ließ vor fünf Jahren ein Produzent über Strohmänner mehrere Tausend Singles seiner eigenen CD kaufen, um eine höhere Platzierung zu erreichen. Als in den USA Madonna oder die Dixie Chicks den Irakkrieg von Präsident Bush kritisierten, boykottierten viele Sender ihre Songs, sodass sie keine Chance hatten, sich in den Top 40 zu platzieren.

Mangels anderer Alternativen stellen die Hitparaden dennoch bislang die einzige allgemein anerkannte Klassifizierung von Musiktiteln dar. An ihrer grundsätzlichen Funktion zum einen als Trendorientierung für Käufer hat sich daher für Karl Mahlmann von der EMI in Köln seit Einführung des Music Popularity Chart nichts geändert.

"Zum Zweiten sind die Charts sicherlich für Künstler ein ganz wichtiges Kriterium für ihren Status. Also wenn jemand eine Nummer-1-Single oder ein Nummer-1-Album hat, dann bedeutet das etwas. Und zum Dritten innerhalb des Zielsystems von Unternehmen der Musikindustrie spielen die Charts auch eine gewisse Rolle."