"... dann bezogen wir dagegen Stellung."

Von Wolfgang Stenke · 04.06.2011
Gedacht war es, durch politische Aufklärung an der Entwicklung demokratischer Verhältnisse mitzuwirken. Doch durch andere Umstände und kritische Moderatoren ist ein prägendes Format entstanden, das nicht immer in das Bild konservativer Medienpolitiker passte. Meinungsfreudig bis zur offenen Polemik werden noch immer kontroverse Themen aufgegriffen.
"Panorama", das erste politische Magazin des deutschen Fernsehens, versprach dem Publikum: "Zeitgeschehen – ferngesehen". Konzept und Sendungstitel hatte Redaktionsleiter Rüdiger Proske von der BBC geborgt. Am 4. Juni 1961 ging "Panorama" beim NDR in Hamburg erstmals auf Sendung.

"Wir waren uns sehr schnell einig, dass wir nicht regierungsfromm sein würden, sondern dass wir eben ein kritisches unabhängiges Magazin sein wollten."

Gert von Paczensky, der erste Moderator von "Panorama".

"Und wir hatten nicht sozusagen ein programmatisches Ziel, wir werden immer gegen Adenauer anrennen, sondern wir waren eben ganz normale, wie wir’s in der Zeitung auch gemacht haben würden, wenn uns irgendwas auffiel als nicht richtig oder als unangenehm, dann bezogen wir dagegen Stellung."

Paczensky und die Panorama-Kollegen der ersten Stunde kamen von der Zeitung. Sie wurden aus der Redaktion der "Welt" gedrängt, die sich Anfang der 60er Jahre auf Geheiß des Verlegers Axel Springer von einem liberalen zu einem rechtskonservativen Blatt wandelte. Das entsprach nicht den politischen Vorstellungen dieser Journalisten.

"Ich gehöre ganz ohne Frage, genau wie Paczensky (...) zu jener Generation, die aus dem Kriege gekommen war und zunächst einmal ein ganz zentrales Engagement hatte, nämlich hier eine funktionierende Demokratie aufzubauen."

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem der Bundesrepublik hatten seine alliierten Schöpfer die Aufgabe zugedacht, durch politische Aufklärung an der Entwicklung demokratischer Verhältnisse mitzuwirken. Und so wurden die Redaktionen dieser Sender zum Sammelbecken einer kritischen Intelligenz. Mit dem Aufbau eines Regierungsfernsehens wollte Bundeskanzler Adenauer das neue Medium in den Griff bekommen. Das Bundesverfassungsgericht vereitelte dieses Unternehmen 1961. Die technischen Vorbereitungen für den Fernsehkanal waren aber so weit gediehen, dass zunächst die Sender der ARD die neuen Frequenzen nutzen konnten. Nur mit einem zusätzlichen UHF-Konverter war dieses Programm zu empfangen. Dort liefen die ersten Ausgaben von "Panorama". Ein Jahr später wechselte die Sendung ins reguläre "Erste". Hier hat sie bis heute ihren Platz. – Die Moderatorin Anja Reschke:

"Wissen Sie, Panorama sendet seit 50 Jahren. Und in all dieser Zeit haben wir immer wieder Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft aufgedeckt."

In den frühen Panorama-Jahren war dieser Magazin-Journalismus, den mit anderen Akzenten später auch "Report" und "Monitor" pflegten, ein überaus explosives Geschäft. Ob die Mitarbeiter sich mit der Aufarbeitung von NS-Verbrechen oder den Affären um den CSU-Politiker Franz-Josef Strauß befassten, immer geriet "Panorama" in die Schusslinie der Mächtigen. – Gert von Paczensky:

"Das schaukelte sich langsam hoch und in der Tat, unsere ersten größeren Kräche waren mit Strauß. (...) Aber wir erregten besonders den Zorn von Adenauer und von seinem Pressechef. (...) Und der Streit hat schließlich zu meinem Rauswurf geführt."

Legendär wurde die kurze Halbwertzeit des Panorama-Personals. Die Liste der Entlassenen liest sich wie ein Who is Who der bundesdeutschen Publizistik. Nach Proske und Paczensky kamen Eugen Kogon und Joachim Fest an die Reihe. Konservative Medienpolitiker machten Druck in den Aufsichtsgremien, um die unbequeme Redaktion auf Linie zu bringen. Die reagierte mit Protest: 1974 zum Beispiel weigerte sich Panorama-Chef Peter Merseburger, eine Sendung über den Abtreibungsparagrafen 218 zu moderieren, nachdem Kirchenvertreter die Absetzung eines Films von Alice Schwarzer mit der Darstellung eines Schwangerschaftsabbruches durchgesetzt hatten. – Merseburger nach der Sendung im Interview:

"Ich halte es geradezu für grotesk, wenn einige, die für die Absetzung plädiert haben, behaupten, hier habe eine junge Gruppe Ärzte den Gesetzgeber unter Druck setzen wollen. Das tut die katholische Kirche Tag für Tag."

Streitbar ist das Fernsehmagazin immer noch. Obwohl nach der Einführung des Privatfernsehens die Zeichen auf "Politainment" stehen. Panorama und die anderen Politikmagazine kämpfen mit Talkmastern wie Kerner, Beckmann und Co. um Quoten und Sendeplätze. Schlechte Zeiten für Information und Aufklärung.