Filme mit dem göttlichen Äther der Dichter

Von Cornelis Hähnel · 16.09.2013
Durch den Siegeszug des Fernsehens geriet das Kino in den 50er-Jahren in eine Krise. Die Studios suchten nach einer Lösung, mit der sie dem kleinen, begrenzten Bildschirm den Kampf ansagen konnten. Letztlich setzte sich ein neues Format durch: CinemaScope.
Das Römische Reich zu Zeiten des Kaisers Tiberius. Der junge Tribun Marcellus Galleo wurde nach Palästina strafversetzt. Sein Eintreffen fällt mit dem jüdischen Passahfest zusammen, doch sorgen diesmal nicht nur die anstehenden Feierlichkeiten beim Volk für Betriebsamkeit. Die Botschaft der lang erwarteten Ankunft des Messias macht die Runde.

"Was regt das Volk so auf? Vielleicht kommt er wirklich, der Messias.
- Ja, es ist was im Gange, das ist sicher. Dort, siehst, du? Da kommen sie mit Palmenzweigen. Und ein Mann reitet auf einem weißen Esel. Sieht du ihn?"

Und während sich vom Horizont aus eine Gruppe mit Palmenzweigen Richtung Stadttor bewegt, eilt aus der entgegengesetzten Richtung das Volk jubelnd herbei.

Der Regisseur Henry Koster inszenierte in seinem Film "Das Gewand" den Einzug Jesu Christi in Jerusalem als opulentes Treiben entlang der Bilddiagonale und betonte so bewusst die Räumlichkeit. Denn das monumentale Epos, das am 16. September 1953 in New York Premiere feierte, war der erste abendfüllende Spielfilm im neuen CinemaScope-Format.

Mit dem neuen, überbreiten Format reagierten die Filmstudios auf die aufkeimende Konkurrenz durch das Fernsehen. Das Kino war in der Krise und brauchte neue Anreize. So kaufte die 20th Century Fox 1952 dem französischen Wissenschaftler Henri Chrétien die Patente für sein bereits 1927 entwickeltes Breitwandfilm-Verfahren mit dem sogenannten "Hypergonar"-Objektiv ab, das die Grundlage des CinemaScopes bildete. Bei diesem anamorphotischen Verfahren konnten mit einer Speziallinse die Bilder bei der Aufnahme auf dem 35mm-Standardmaterial horizontal gestaucht und bei der Projektion auf das Doppelte der regulären Größe gestreckt werden.

Doch die neue Technik verlangte auch nach einer neuen, eigenen Ästhetik. Die Geschichten mussten nun eher wie auf einer Theaterbühne inszeniert werden. Henry Koster erinnert sich:

"Ich hatte einige schwierige Tage am Anfang des Filmes 'The Robe'. Man hatte mir eine Woche zur Verfügung gestellt, in der ich alles drehen konnte, was ich wollte, um mich mit diesem neuen Verfahren bekannt zu machen. Und dann stellte sich heraus, dass viele Sachen einfach nicht mehr gehen, die wir gemacht hatten, in den konventionellen Filmen gemacht hatten. Ich kann nicht mehr wild hin und her schneiden, ich kann die Kamera nicht mehr schnell bewegen, auf so einer großen Leinwand ist das irritierend und es hilft der Geschichte des Films nicht."

Jean Negulesco, Regisseur der Komödie "Wie angele ich mir einen Millionär", die als zweiter CinemaScope-Film das Licht der Leinwand erblickte, scherzte noch vor den ersten Aufnahmen spöttisch:

"Es müsste eigentlich leicht sein, für Breitwandfilme zu schreiben. Man braucht doch nur das Papier querformatig in die Schreibmaschine einspannen."

Der französische Regisseur Eric Rohmer schrieb 1954 begeistert in den "Cahiers du Cinéma":

"Was mich an dem traditionellen Bildrahmen störte, ist, dass er uns zwang, ihn vollzustopfen. Das CinemaScope bringt unserer Kunst endlich das einzige empfindsame Element, das sich ihr entzog: Luft, den göttlichen Äther der Dichter."

Doch nicht alle Filmemacher ließen ihren Bildern den neugewonnenen Raum zum Atmen, gerade Hollywood nutze CinemaScope gern für opulente Kostüm- und Geschichtsfilme mit riesigen Aufmärschen, prunkvollen Festen und beeindruckenden Massenszenen.

Zwar zeigte sich die Filmkritik anfangs skeptisch, dennoch waren 1955 bereits 62 Prozent der US-Kinos für CinemaScope eingerichtet. Henry Koster:

"Ich höre immer noch kritische Bemerkungen über die CinemaScope-Filme und Breitleinwand und die neuen Techniken, aber ich glaube auch, diese Schwarzseher und Kritiker werden zum Schluss wohl auf unsere Seite kommen und mit uns übereinstimmen, dass es doch nichts Schöneres gibt als ein Stück, ein Erlebnis, eine Unterhaltung auf einer größeren Leinwand zu erzählen als auf einer kleinen."

Und auch wenn das Interesse am CinemaScope-Verfahren in den 1970er Jahren nachließ: Es war eben jene große Leinwand, die dem Kino zu neuem Glanz verholfen hatte und die, als der anfängliche Hauch des Spektakels verflogen war, den Film als Kunstform weiter etablierte. Oder wie der Kameramann Joseph Mac Donald es ausdrückte:

"Wenn man sich CinemaScope ansieht, ist es, als ob einem die Scheuklappen vor den Augen weggenommen würden."
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