Vor 50 Jahren

"Die Reifeprüfung" kommt in die deutschen Kinos

"Die Reifeprüfung": Dustin Hoffman blickt interessiert auf das Bein von Anne Bancroft.
"Die Reifeprüfung": Dustin Hoffman blickt interessiert auf das Bein von Anne Bancroft. © picture alliance / dpa / Bert Reisfeld
Von Hartmut Goege · 06.09.2018
Als "Die Reifeprüfung" in die Kinos kam, war die Empörung groß. Collegeabsolvent Benjamin begann eine Affäre mit der älteren Mrs. Robinson - damals ein Tabubruch. Mike Nichols' Film war aber viel mehr als nur eine Gesellschaftssatire.
Wenn der 20jährige Benjamin Braddock, untermalt von dem sanften Gesang von Simon & Garfunkel, in der Eingangssequenz auf einem Laufband eines Flughafen-Terminals langsam auf den Ausgang zusteuert, ahnt der Zuschauer etwas von seiner Suche nach Orientierung. Sein Blick ist starr an der ihn begleitenden Kamera vorbei auf ein imaginäres Nichts – in eine ungewisse Zukunft gerichtet.

In Mike Nichols' Oscar-prämierter Gesellschaftssatire "Die Reifeprüfung" geht es nicht nur um große Gefühle auf der Schwelle zum Erwachsenenwerden, sondern auch um die Doppelmoral der Gesellschaft. Benjamin, gespielt von Dustin Hoffman, fällt nach seinem glänzenden College-Abschluss in eine tiefe Leere und braucht Zeit für sich. Doch von seinen reichen Eltern fühlt er sich bevormundet, weil sie für ihn eine Party veranstalten, auf der er herumgereicht und mit beruflichen Ratschlägen überschüttet wird. Bis ihn Mrs Robinson, attraktive Freundin der Eltern, bittet, sie nach Hause zu fahren. Ihre erotische Zielsetzung ist klar, Benjamin aber ist in der Situation überfordert.
"Ja, um Gottes Willen, Mrs Robinson. Ich bin in Ihrem Haus. Sie haben mich hierher gelotst. Sie geben mir was zu trinken. Sie stellen Musik an. Sie breiten Ihr Privatleben vor mir aus und erzählen mir, dass Ihr Mann nicht vor Stunden nach Hause kommt." – "Und?" – "Mrs. Robinson, Sie versuchen mich zu verführen!" - "Oder nicht?"

Tabubruch im Hollywood-Kino

Doch aus sexueller Neugier lässt sich der gehemmte Benjamin später doch auf eine Affäre mit der frustrierten und gelangweilten Ehefrau ein. Das war ein Tabubruch im Hollywood-Kino. Nie zuvor war im puritanischen Amerika das erotische Interesse einer reifen Frau an einem Jüngling so offen thematisiert worden. Die Dialoge spiegeln amüsant Benjamins tollpatschige Unerfahrenheit wider und zeigen, wie brav und folgsam er bisher den Erwachsenen gegenüber auftrat.

"Benjamin?" – "Ja?" – "Ich zieh´ mich jetzt aus, wenn´s recht ist!" – "Klar! Soll ich, ich meine, soll ich einfach hier so stehen? Oder stehe ich Ihnen vielleicht im Wege?" – "Warum schaust Du nicht zu?" – "Oh bitte, danke!"
Der zentrale Konflikt entsteht, als Mrs Robinson, gespielt von Anne Bancroft, ihm während eines Schäferstündchens in einem Hotelzimmer das Verspechen abnimmt, von ihrer Tochter Elaine Abstand zu halten. Doch Benjamin bricht es und verliebt sich in Elaine.

Gegen überkommene Moralvorstellungen

Regisseur Mike Nichols erzählt seine Story vor allem über die Bildebene. Blicke und Gesten werden in unterschiedlichen Perspektiven eingefangen und Dialoge spärlich gesetzt. Als "Die Reifeprüfung" am 6. September 1968 erstmals in Deutschland aufgeführt wurde, traf der Film wie in Amerika auf eine gesellschaftliche und politische Umbruchsituation: Die Jugendlichen revoltierten gegen überkommene Moralvorstellungen. Diese Stimmung prägt auch der Soundtrack von Simon & Garfunkel, die mit ihrem Filmsong "Mrs. Robinson" einen ihrer größten Hits landeten.
Ursprünglich war Robert Redford für die Rolle des Benjamin Braddock vorgesehen. Doch Nichols ahnte, dass niemand dem blendend aussehenden Redford einen an sich selbst zweifelnden College-Jüngling abnehmen würde. Seine Wahl fiel deshalb auf den noch unbekannten Theaterschauspieler Dustin Hoffman, der beim Film-Casting genau die Unsicherheit mitbrachte, die Nichols für die Rolle vorschwebte. Denn zu Beginn seiner Karriere war Hoffman mit wenig Selbstvertrauen ausgerüstet. Er fand sich immer klein und unattraktiv, wie er in einem Interview 2013 zugab.

"I just was considered, you know, short, unattractive…So that feeling about myself stuck."
Dustin Hoffman erwies sich für Mike Nichols als Glücksgriff. "Die Reifeprüfung" entwickelte sich zum Kultfilm, der vor allem durch die turbulente Schlusssequenz bis heute präsent ist: Benjamin rettet Elaine vor einer voreiligen Hochzeit und entführt sie am Traualtar, gegen den Willen der Eltern. Am Ende wird der Soundtrack des Filmanfangs wieder eingespielt. Beide sitzen in einem Bus mit einem glücklichen Lächeln, das allmählich in Nachdenklichkeit übergeht. Ein neuer, diesmal gemeinsamer Schritt in eine ungewisse Zukunft beginnt.
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