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Kalifornische Rockband Dawes
Kurzgeschichten von der Westküste

Trotz meist hörbarer Einflüsse von The Eagles bis Neil Young stößt die Band Dawes ihre Fans gelegentlich auch vor den Kopf. Verlässliche Konstante hingegen sind die Texte von Taylor Goldsmith, der ein brillanter Geschichtenerzähler in der großen amerikanischen Tradition ist.

Von Fabian Elsäßer | 14.03.2021
    Ein Mann mit Gitarre steht auf einer Bühne. Neben ihm sitzt ein Mann mit Bass, dahinter ein Mann am Schlagzeug.
    Er beherrscht auch Rockstar-Posen: Taylor Goldsmith von der Band Dawes. (Jacob Blickenstaff )
    Musik: "I cant’t think about it now"
    Diese perlenden Gitarren, der mehrstimmige Gesang, die Pausen mit dem Hall drauf, diese sanft pulsierende Bass-Drum: So klingt die Westküste der USA. Beziehungsweise so pflegte sie zu klingen, als Bands wie die Doobies Brothers, die Eagles oder America die Radiowellen und Verkaufslisten beherrschten. Und auch bei Crosby, Stills & Nash mit oder ohne Young oder Fleetwood Mac ab ihrer Poprockphase hört man diese Stilmittel. Ein Sound, der nach Weite und Leichtigkeit klingt, leicht melancholisch mitunter, bis hin zu – für europäische Ohren - hemmungsloser Gefühlsduselei. Diesen Klang erweckt die Band Dawes aus Los Angeles seit ihrem Debütalbum im Jahr 2009 wieder zum Leben beziehungsweise entwickelt ihn auf den nachfolgenden Veröffentlichungen kontinuierlich weiter.

    Etwas unordentliche Musik

    Gitarrist, Sänger und Haupt-Komponist Taylor Goldsmith bekennt sich klar zu den genannten Bands als Vorbilder, schränkt aber auch ein:
    "Die Doobie Brothers kenne ich gar nicht richtig. Ich kenne vielleicht zwei Songs von ihnen. Aber die Eagles mag ich sehr, die sind fantastisch, sind aber auch ein Beispiel für eine sehr einstudierte Band. Die verwenden viel Zeit für Soli, aber es fühlt sich nicht so frei an. Aber ich mag sie trotzdem, und eine andere meiner Lieblingsbands ist Steely Dan. Es stört mich also gar nicht, wenn etwas perfektionistisch ist, aber das sind halt einfach nicht wir. Wir haben es probiert, aber wir sind besser, wenn wir die Musik etwas unordentlicher lassen. Ich spiele sicherlich eher wie Neil Young, nicht wie Walter Becker."
    Was Goldsmith mit "unordentlich" wohl meint, ist diese Grundportion an Ungeschliffenheit, die auf den Alben von Dawes unterschwellig immer spürbar ist, trotz aller Country-Seligkeit und Vokalharmonien. Das macht die Neil Young-Referenz nachvollziehbar. Besonders deutlich wird dessen Einfluss auf Goldsmiths Gitarrenspiel im Song "If I wanted someone" vom zweiten Dawes-Album "Nothing is wrong", das 2011 erschien und die Band erstmals in die Billboard-Charts brachte.
    Musik: "If I wanted someone"
    "If I wanted someone" zeigt ein recht typisches musikalisches Baumuster der Dawes: auf recht einfache, zugängliche Versmelodien folgt ein strahlend-mehrstimmiger, eindringlicher Refrain, hier und da hört man vielleicht noch eine Spur mehr, aber nie wirken diese Songs überladen oder glattgeschliffen. Das kommt der Aufführungspraxis der Band entgegen: wenn Dawes auf Tournee sind, verändern sie die Songliste regelmäßig, manchmal von einem Abend zum anderen. Viele Bands scheuen dieses Risiko und studieren stattdessen vor dem Tourstart ein festes Set ein, das dann über Monate beibehalten oder an dem allenfalls mal die Reihenfolge geändert wird.

    Mut zu unkomfortablen Konzerten

    Goldsmith, positiv denkender und freundlich formulierender US-Amerikaner, der er ist, wertet das nicht ab, legt aber doch Wert darauf, dass seine Band es anders macht.
    "Ich finde, es gibt heutzutage zwei Sorten von Live-Musik. Da sind einerseits Künstler wie Coldplay, die eine sehr durchdachte und eingeübte Show liefern, was unglaublich ist. Aber da ist auch alles genau aufeinander abgestimmt: das Licht, die Kleidung, die Leinwand im Hintergrund, die Position für die einzelnen Musiker. Das mag ich, aber es gibt halt auch diese andere Richtung. Selbst wenn wir uns große Lightshows und Leinwände leisten könnten, wäre es immer noch wichtig für uns, jeden Abend eine andere Setlist spielen zu können. Wir wollen das auch noch weiter ausbauen. Denn die Bands die wir immer geliebt haben, haben das auch so gemacht. Manchmal spielen wir Sachen, die wir während der ganzen Tour nicht gespielt haben. Aber genau das macht uns besser – je unkomfortabler es für uns wird."
    Unkomfortabel wurde es 2016 auch für die zu diesem Zeitpunkt schon deutlich gewachsene Dawes-Fangemeinde. Denn das fünfte Studio-Album "We’re all gonna die" wirkte wie ein Bruch mit allen vorhergegangenen.

    Bruch mit liebgewonnenen Hörgewohnheiten

    Musik: "One of us"
    "One of us" ist nur einer von vielen Songs auf dem 2016er-Album "We’re all gonna die", mit dem Dawes auf einmal deutlich anders klangen. Das Schlagzeug patscht und scheppert, der Bass bekommt durch Effektgeräte eine bisher ungehörte Dominanz, ja eigentlich wirkt das gesamte Klangbild blechern und verzerrt: sogar bis hin zu Taylor Goldsmiths Gesang. Adieu Countryrock, hallo Lo-Fi-Lärm. Diese akustische Abkehr vom Gewohnten sei aber nicht geplant gewesen, beteuert Goldsmith.
    Goldsmith: "Wir dachten, das klingt immer noch nach uns, weil es ja dieselben Leute schreiben. Aber als die Platte rauskam, war es für unsere Fans sehr polarisierend. Viele mochten es, ein paar haben gesagt: das gefällt mir gar nicht, ich hasse es, ich will, dass Ihr wieder so klingt wie auf "All your favorite bands". Ich finde, das ist die beste Reaktion, die man für ein Album bekommen kann. Wenn man sein Publikum auch mal herausfordert und es fragt: kommt ihr mit unserer Veränderung klar? Das hält den Dialog zwischen Künstler und Publikum am Leben. Wie bei einem T-Shirt. Wenn Du es nach fünf Jahren noch mal anziehst, denkst Du Dir: Mann, kauf Dir mal ein neues. Man muss wachsen. Keiner wacht mit Mitte 30 auf und sagt, ich mag mich wirklich sehr und will mich nicht mehr verändern."
    Musik: "When the tequila runs out"

    Champagner statt Tequila

    "When the tequila runs out" der Song belegt aufs Neue, wie sich das Album "We’re all gonna die" regelrecht auflehnt gegen das frühere Material der Band Dawes. Es fängt schon mit dem seltsam zerhackten Gitarrenriff an, geht mit dem sägenden Fuzz-Bass von Wylie Gelber weiter und hört mit dem weinerlich überdramatisierten Gesang von Taylor Goldsmith noch immer nicht auf.
    Spaß macht der Song dennoch, eben weil er so anders ist, vor allem aber einmal mehr: wegen des Textes. Goldsmith schildert präzise den Verlauf einer US-amerikanischen Privatparty, angesiedelt vermutlich im Millieu der besserverdienenden Kreativ-Berufler. Wenn der Tequila alle ist, trinken wir halt Schampus. Am Ende springen alle in den Pool und seine Ex samt neuem Freund liegt komatös am Boden. Goldsmith liefert verlässlich Verse, die Altbekanntes und oft Besungenes – Beziehungskisten eben – in unerwartet-eleganten Sprachbildern schildern. In "Roll with the punches" beschreibt er die Trennung eines Paares als symmetrical separation – das alte Leben wird aufgeteilt und jeder muss mit seiner übriggebliebenen Hälfte zurechtkommen. Im dazugehörigen Musikvideo zersägen hingegen recht unsubtil Handwerker den Hausstand.

    Perspektivwechsel als Songschreiber

    Musik: "Roll with the punches"
    Auch "Roll with punches" stammt vom 2016 erschienenen Dawes-Album "We’re all gonna die". So umstritten es wegen des Sounds unter Fans der ersten Stunde auch sein mag, zeigt es neben musikalischer Weiterentwicklung auch eine auf Textebene. Goldsmith wechselt hier häufiger von der Haltung des Ich-Erzählers in die des Beobachters.
    Goldsmith: "Heute tue ich das. Aber auf den ersten drei bis vier Alben habe ich schon viel über mich selbst geschrieben, auch wenn ich viel ausgeschmückt und übertrieben habe. Und jetzt bin ich halt verheiratet und bekomme ein Kind, und das ist sicherlich auch wert, beschrieben zu werden. Ich schreibe auch über solche Sachen. Aber jeder Schreiber muss sich entwickeln. Joni Mitchell zum Beispiel: die ersten Platten sind sehr persönlich, aber spätestens ab The Hissing of Summer Lawns nimmt sie alle möglichen Perspektiven ein. Und diese Fähigkeit macht gute Texter aus. Ansonsten geht einem der Sprit aus."
    Gute Geschichtenerzähler sind eben zuerst einmal: gute Beobachter.
    Musik: "From a window seat"

    Der Stammestanz der Flugbegleiterinnen

    "From a window seat" stammt vom 2013 veröffentlichten Album "Stories don’t end" der kalifornischen Band Dawes. Er enthält einen der wohl schönsten oder zumindest bildreichsten Texte von Sänger und Songschreiber Taylor Goldsmith. Bei einem US-Inlandflug schaut er sich in der Kabine um, erkennt dabei in der Notfallinstruktion der Flugbegleiterinnen einen alten Stammestanz und lernt, die Männer von den Kriegern zu unterscheiden. Wobei das eine für ihn typische Doppeldeutigkeit ist: Warriors heißt Krieger, aber es kann eben auch eine Abkürzung von Road Warrior sein, was im US-amerikanischen Sprachgebrauch wiederum für Handlungsreisender steht.
    Goldsmith: "Yeah, it can be!"
    Und schon denkt man sich zurück bis zu Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden und kann nicht anders, als sich Goldsmith als eifrigen Leser vorzustellen.
    Goldsmith: "Lesen hat sicherlich damit zu tun. Denn alle Texter, die ich bewundere, waren große Leser: Leonard Cohen, Bob Dylan, David Bowie, John Lennon. Das hat sie stark geprägt. Neil Young zum Beispiel ist ja berühmt dafür, dass er mal gesagt hat, dass er nie ein Buch richtig gelesen hat. Ich liebe seine Worte, aber sie sind viel impressionistischer."
    Musik: "Feed the fire"
    "Feed the fire" vom 2018 erschienenen Dawes-Album "Passwords" zeigt die Band von ihrer poppigen, zurückgelehnten Seite und zugleich das gesangliche Können von Taylor Goldsmith bis in hohe Lagen, dass er sonst selten in den Vordergrund rückt. Denn er sieht sich selbst eher als Singer-Songwriter.

    Lieber doch kein "Sänger-Sänger"

    Goldsmith: "Ich singe gerne hoch und strenge mich an, aber ich wollte nie, dass es in unserer Musik darum geht. Das ist so wie bei Bob Dylan. Der kann die hohen Töne nicht mehr singen, aber eigentlich ist es ziemlich cool, wie sich seine Stimme verändert hat. Und wenn meine Stimme sich eines Tages verändert, wünsche ich mir, dass die Leute trotzdem zu den Konzerten kommen, weil sie die Songs hören wollen."
    Der Berufswunsch Musiker beziehungsweise Sänger stand für den 1985 geborenen Goldsmith früh fest, schließlich ist sein Vater Lenny auch einer und hat beispielsweise in den 80er-Jahren bei der Kult-Funkband Tower of Power gesungen.
    Goldsmith: "Das mag jetzt blöd klingen, aber ich habe nie darüber nachgedacht…Aber am Anfang wollte ich ein "Sänger-Sänger" sein, also wie die großen Soul und RnB-Sänger. Ich habe dann aber gemerkt, dass meine Lieblings-Songschreiber nicht gerade die besten Sänger waren. Ich habe Lou Reed und Elvis Costello geliebt. Gut, der ist schon ein starker Sänger, aber manchmal klingt seine Stimme echt seltsam…Ich mochte John als Sänger auch lieber als Paul, obwohl Paul technisch besser ist. Ich höre dann eher das Gefühl und die Geschichte als den eigentlichen Gesang. Und das ist ein Freifahrtschein: niemand geht zu einem Paul Simon-Konzert und erwartet, dass er als Siebzigjähriger so singt wie in seinen 20ern. Wohingegen großartige Sängerinnen wie Tina Turner oder Mariah Carey ihr ganzen Leben lang so gut sein müssen, weil die Leute ihnen deswegen zuhören."
    Musik: "Living in the future"

    Kein Platz für zwei Gitarren

    "Living in the future" aus dem Jahr 2018 ist eines der rhythmisch komplexesten Stücke der Dawes. Das dazugehörige Album "Passwords" markierte das vorläufige Ende einer Entwicklung: denn damit wie auch schon mit dem vorausgegangenen Werk "We’re all gonna die" wollte die Band ihren Sound reichhaltiger gestalten und die Möglichkeiten der Studiotechnik ausloten. Das im Lockdown-Jahr 2020 erschienene nächste Album "Good luck with whatever" klingt abgespeckter, führt direkt zurück zu den Arbeiten der frühen Zehner-Jahre. Was alle Alben verbindet, sind die stets hörbaren Bezüge zu den Vorbildern von Dawes, also The Band, Eagles, Dylan – und die Tatsache, dass man sich manchmal mehr gitarristisches Gewicht wünschte. Taylor Goldsmith verfügt über eine beeindruckende Gitarrensammlung, aber er hält sich klanglich zurück, benutzt wenig Verzerrung, auch wenn er Soli spielt.
    Goldsmith: "Das ist nichtmal absichtlich. Das liegt sicherlich oft daran, dass ich mich so sehr aufs Singen konzentriere. Beim Song "Between the zero and the one" von unserer letzten Platte habe ich einfach nur versucht, all diese Wörter rauszubekommen. Da hatte ich wenig Raum, um viel Gitarre drumherum zu spielen. Außerdem ist Lee so ein fantastischer Keyboardspieler, der so viel schöne Sachen hinzubringt, dass es sich einfach schon komplett anfühlt. Das sind halt wir vier: Bass, Schlagzeug, Gitarre, Keyboard. Wir brauchen keine weitere Gitarre, die dem Klavier in die Quere kommt. Und die Gitarre ist schon da, aber sie teilt sich den Platz mit dem Klavier. Das machen viele unserer Lieblingsbands so. Und in anderen Songs von uns wie "I can’t think about now" ist viel mehr E-Gitarre im Vordergrund."

    Der Dawes-Plan für Band-Demokratie

    Die Besetzung von Dawes ist seit dem Debüt im Jahr 2009 erstaunlich konstant geblieben: Taylor Goldsmith, Gitarre und Gesang, Wylie Gelber am Bass, Lee Pardini an den Keyboards und Goldsmiths jüngerer Bruder Griffin am Schlagzeug. Und das, obwohl ganz offenbar Taylor tonangebend ist.
    Goldsmith: "Es ist sehr demokratisch. Sie vertrauen mir. Ich habe noch nie einen Song angebracht, über den sie gesagt haben: den mögen wir nicht. Wir bringen es immer in eine Form, die uns allen gefällt und zu der wir stehen können. Und dafür braucht es nie viel, weil wir uns alle vertrauen. Ich spiele ihnen den Song auf der Akustikgitarre vor und dann sagen sie mir, wie sie ihn gerne spielen möchten. Manchmal interpretieren sie es auf völlig andere Weise. Das funktioniert zu fast 100 Prozent."
    Insofern wirkt der Titelsong des Album "All your favorite Bands" – mögen all Deine Lieblingsbands zusammenbleiben wie ein persönlicher Wunsch, obwohl doch ganz klar ist, dass sie es nicht werden.
    Goldsmith: "It’s clear that they won’t!!"
    Musik: "All your favorite bands"
    Goldsmith: "Man kann Bands schwer zusammenhalten. Deshalb stellen wir unsere Beziehung untereinander auch über alles andere. Egal ob es über die Geldverteilung oder den Umfang einer Tour geht, wir müssen immer als Quartett miteinander verbunden sein. Erstmal als Menschen, nicht als Musiker."

    Der glücklichste Mensch im Musikgeschäft

    Dawes spielen, 2020 aus bekannten Gründen natürlich nicht, in der Regel vor 1000 bis 1500 Zuschauern, ihre Alben erreichen Mittelfeldplätze in den Billboard-Charts, und anders als viele ihrer Freunde mussten sich die vier Musiker auch im Lockdown keine Brotberufe suchen. Es reicht also auch im Jahr 2021 trotz Covid-19 -zum Leben, sich in der Tradition handgemachter amerikanischer Musik zu bewegen, Musik um Geschichten herum zu stricken. Und das kann die Band, die hier und da so klingt, wie Crosby, Stills, Nash und Young heute vielleicht klingen würden. Das muss man auch erst einmal schaffen.
    Goldsmith: "Natürlich setzt man sich immer wieder neue Ziele. Aber wenn man mir 2008 gesagt hätte, dass ich so weit komme, dann hätte ich das nicht geglaubt. Ich bin so dankbar dafür. Wir arbeiten sehr hart und wir sind ganz offensichtlich nicht die größte Band der Welt. Aber die Tatsache, dass wir sieben Alben lang wir selbst sein konnten, ohne dass Fans oder Plattenfirmen Forderungen stellen, fühlt sich unglaublich an. Ich halte mich für einen der glücklichsten Musiker in der gesamten Branche."
    Musik: "Good luck with whatever"