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Kalte Progression
Laumann: "Ein großes Ärgernis"

Durch notwendige Lohnerhöhungen, die zum Ausgleich der Preissteigerungsrate benötigt werden, dürfe nicht die Steuerprogression steigen, sagte Karl-Josef Laumann, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, im DLF-Interview. Vor allem nach vielen Jahren der äußerst mäßigen Lohnanhebungen sei die Eindämmung der Kalten Progression wichtig.

Karl-Josef Laumann im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 04.10.2014
    Karl-Josef Laumann im April 2014 bei einer Rede in Düsseldorf
    Karl-Josef Laumann (CDU) (dpa / picture-alliance / Matthias Balk)
    Bei den Koalitionsverhandlungen sei die Kalte Progression fast keinem wichtig gewesen - weder SPD noch der CDU-Führung, bedauerte Karl-Josef Laumann (CDU).
    Dabei gehe das Thema alle an:
    "Einkommenssteuer zahlen die Menschen unabhängig von ihrem Arbeitsverhältnis. Das heißt, Arbeitnehmer zahlen genauso Einkommmenssteuer wie zum Beispiel mittelständische Handwerksmeister auch."
    Es sei ein großes Ärgernis, dass der Staat sich an Lohnerhöhungen bereichere, die gebraucht werden, um den Lebensstandard der Leute zu halten.
    Für finanzierbar hält Laumann eine Eindämmung der Kalten Progression durchaus:
    "Wir haben Höchsteinnahmen bei der Steuer durch die gute Beschäftigungslage."
    Zudem sprach sich Laumann generell für mehr innerparteiliche Debatten aus.
    "Politik macht ja eigentlich nur Spaß, wenn auch über Sachfragen debattiert wird. Und wir leben, finde ich ich, in einer Zeit, die nicht besonders politisch ist. Darunter leiden auch die beiden großen Volksparteien ein bisschen."
    Ein Parteitag, der in der Sache gar nicht mehr streite und nur noch dafür da sei, einen neuen Vorstand zu wählen und Satzungen genüge zu tragen, sei unbefriedigend.

    Hier das vollständige Interview mit Karl-Josef Laumann.
    Jürgen Zurheide: Es passiert in diesen Tagen etwas Ungewöhnliches in der CDU. Es gibt nämlich auf dem Parteitag, dem Bundesparteitag in Köln im Dezember eine heftige Diskussion. Es gibt eine Diskussion, die Angela Merkel, die Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende, so nicht haben wollte. Sie wollte nicht über die kalte Progression und deren mögliche Abschaffung diskutieren, aber ein paar andere wollten es, nämlich die CDA auf der einen Seite und die Mittelstandsvereinigung auf der anderen Seite. Und insofern wird es eine solche Diskussion geben, und ich würde mal sagen: Ausgang offen. Diskussionen auf Parteitagen, nicht nur bei der CDU, auch bei anderen, sind ja oft anders, das sind eher so Messen, das sind diejenigen, die immer nur die Führung unterstützen. Jetzt wird diskutiert werden. Darüber wollen wir sprechen mit Karl-Josef Laumann, den wir nun am Telefon begrüßen.
    Herr Laumann, hat die Kanzlerin Sie schon zurechtgewiesen, dass Sie da solche unbotmäßigen Anträge stellen?
    Laumann: Nein, das hat sie nicht. Es ist ja so, dass in der CDU ja auch die Vereinigungen relativ selbstständig sind. Wir haben Antragsrechte, wir leben damit auf Parteitagen, das war immer schon so. Und den Vorschlag, den wir ja nun machen, dass wir sagen, wir müssen uns etwas einfallen lassen, dass die Menschen von den Anteilen der Lohnerhöhungen, die gebraucht werden, um die Preissteigerungsrate auszugleichen, dass dadurch nicht die Steuerprogression steigen darf. Das ist ja im Grunde ein vernünftiger Vorschlag, und der ist ja auch in der CDU oft debattiert worden. Das Problem ist nur gewesen, dass es bei den Koalitionsverhandlungen für die Bildung der jetzigen Bundesregierung, ich würde mal sagen, keinem wichtig war, dass es gemacht wurde, weder der SPD, noch der CDU-Führung.
    Zurheide: Das ist ja erst mal – wir werden gleich über die Inhalte noch reden. Aber es ist ja erst mal auch ein ungewöhnliches Bündnis, die CDA zusammen mit dem Mittelstand, also die Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Wirtschaftsflügel – das ist für Sie auch eine neue Übung, oder?
    Laumann: Ja, vor allen Dingen, weil wir nun in den letzten Jahren auch eher gegeneinander angetreten sind.
    Zurheide: Zum Beispiel beim Stichwort Mindestlohn.
    Laumann: Es war vollkommen klar, dass beim Mindestlohn die Wirtschaft anders denkt als die Arbeitnehmerseite – im Übrigen haben wir uns da durchgesetzt. Aber in dieser Frage sind natürlich die Interessen vollkommen gleich. Denn es handelt sich ja im Grunde genommen um ein Problem innerhalb unseres Einkommensteuersystems, und Einkommensteuer zahlen natürlich die Menschen unabhängig von ihrem Arbeitsverhältnis. Das heißt, Arbeitnehmer zahlen genauso Einkommensteuer wie zum Beispiel mittelständische Handwerksmeister auch. Und es ist schon ein großes Ärgernis, dass der Staat sich an Lohnerhöhungen, die gebraucht werden, um den Lebensstandard der Leute zu halten, im Grunde bereichert. Schauen Sie, es ist ja auch deswegen in den letzten Jahren ein Thema geworden, weil wir ja auch jetzt ganz viele Jahre in Deutschland haben, wo wir äußerst mäßige Lohnerhöhungen haben.
    Dass wir heute wirtschaftlich so gut da stehen, dass wir den Beschäftigungsrekord haben, hängt ja auch damit zusammen, dass in Deutschland die Gewerkschaften, aber man muss auch sagen, die Unternehmen, eine Lohnpolitik gemacht haben, die eher auf Beschäftigungssicherung und Beschäftigungsmehrung ausgelegt war als auf Lohnerhöhungen. Und wenn dann von diesen schmalen Lohnerhöhungen eben noch so viel an Steuern weggeht, dann ist das natürlich auch eine Frage der Tarifautonomie. Warum soll man eigentlich noch in einer Gewerkschaft bleiben, wenn der größte Teil der Lohnerhöhung für die Steuer drauf geht.
    Steuerbremse ein großes Anliegen
    Zurheide: Das wird niemand bestreiten, der die Fakten kennt. Auf der anderen Seite kennen Sie auch das Gegenargument, und das wird ja auch in Ihrer Partei immer bemüht: Es kostet eine Milliarde – wie wollen Sie das bezahlen?
    Laumann: Ja gut, aber auf der anderen Seite ist es so: Wenn ich mir mal bei den Steuerschätzungen die Schwankungen anschaue, dann sind die auch in der Größenordnung von zwei bis drei Milliarden sogar. Meine politische Erfahrung ist, dass dafür, wofür man Geld da haben will, auch Geld da ist. Und wir haben Höchsteinnahmen bei der Steuer durch die gute Beschäftigungslage, und deswegen glaube ich schon, dass diese Debatte jetzt nicht zu einer Unzeit geführt wird. Im Übrigen sagen wir ja in unserem Papier auch ganz eindeutig, was wir auf dem Parteitag einbringen werden, dass natürlich die schwarze Null, das heißt also, dass der Staat keine neuen Schulden macht, genauso wichtig ist wie das Einhalten der Steuerbremse. Aber diese Steuerbremse ist ein großes Anliegen, glaube ich, auch in der Bevölkerung. Und ich finde, es muss hoch auf der Skala bleiben von den Dingen, die man doch in diesem Land verändern will.
    Zurheide: Jetzt haben Sie die schwarze Null schon angesprochen. Wenn man die Berliner Politik sieht, übrigens dann bis hin zu Sozialdemokraten, wo man sich dann manchmal wundert, die verteidigen die schwarze Null dann alle als das Größte überhaupt und als das wichtigste politische Spiel. Jetzt will ich hier nicht der ungehemmten Schuldenmacherei das Wort reden, aber angesichts der Lage bei der Infrastruktur und anderen Dingen kann man ja auch schon mal fragen, sind da die Prioritäten immer richtig. Also, wenn es bei Ihnen hart auf hart kommt, diese eine Milliarde oder schwarze Null – wenn es denn doch beides möglicherweise nicht geht, wofür entscheiden Sie sich dann?
    Laumann: Dann bin ich für die schwarze Null.
    Zurheide: Okay. Also in dem Moment, sagen Sie, geht es nicht. Aber Sie haben die gute Hoffnung, dass das nicht passieren wird, und jetzt spreche ich es dann noch mal an, Stichwort Infrastruktur, da erleben wir in diesen Tagen ja eine neue Qualität der Debatte, wenn wir auch sehen, was bei der Bundeswehr passiert. Da kommt Frau von der Leyen und sagt auf einmal, sie braucht mehr Geld. Also da werden Sie ja einen harten Konkurrenzkampf ausfechten – bei der Bundeswehr sagt übrigens eine Mehrheit der Bevölkerung, wenn man dem glauben soll, ja, ja, dann müssen wir da auch mehr tun –, bei den Brücken müssen wir mehr tun. Sie kennen das alles. Halten Sie das durch?
    Laumann: Das glaube ich schon, weil das Problem Bundeswehr ja ein ganz anderes ist. Aus dem Verteidigungsetat sind jedes Jahr Milliarden an die Staatskasse zurückgeflossen, weil bestimmte Bestellungen, die bei der Rüstungsindustrie gemacht worden sind, gar nicht pünktlich geliefert worden sind. Das ist eher, glaube ich, da ein Beschaffungsproblem.
    Wollen keine schleichenden Steuererhöhungen
    Zurheide: Also sagen Sie da, wenn Frau von der Leyen jetzt sagt, sie braucht mehr Geld, die soll erst mal mit ihrem Etat klarkommen?
    Laumann: Ich bin erst mal der Meinung, dass sie sehen soll, dass das Geld, das in ihrem Etat ist, auch abfließt. Und das scheint ja wohl in der Rüstungspolitik eines der Probleme zu sein, mit denen man sich da herumschlägt. Aber noch mal: Es geht ja einfach, finde ich, darum, dass in der CDU die Frage wach bleibt, dass wir uns nicht damit abfinden wollen, dass Lohnerhöhungen, die gebraucht werden, um den Lebensstandard zu sichern, die Steuerprogression erhöhen. Und das ist ja eigentlich auch nichts Neues, denn ich bin ja nun schon etwas länger dabei. Alle, was weiß ich, fünf, sechs, sieben oder zehn Jahre hat die Politik ja immer auf dieses Phänomen auch irgendwie reagiert, indem man dann die Steuertarife wieder, oder die Steuerkurve, besser gesagt, in der Steuerprogression auch dieser Frage angepasst hat. Was wir wollen, ist ja, dass es im Steuertarif einen Automatismus gibt, und wir wollen keine Steuererhöhungen, aber wir wollen auch nicht, dass die Steuern schleichend erhöht werden.
    Zurheide: Wenn wir jetzt noch mal die andere Seite des politischen Spektrums auch beleuchten, Ihren Koalitionspartner in Berlin, die sind ja durchaus dafür, dass man da was tut. Nur die Sozialdemokraten sagen, na ja, angesichts der Probleme, die ich da gerade auch angesprochen habe, Stichwort Infrastruktur, kriegen wir das nicht hin, wenn wir nicht für die Gerechtigkeit auf der anderen Seite sorgen, also bei den Spitzenverdienern vielleicht ein bisschen was tun. Jetzt will ich nicht die Spitzenverdiener bemühen, weil Sie da wahrscheinlich sagen werden, machen wir nicht, aber ich will mal auf einen anderen Punkt hinweisen: Die OECD hat in diesen Tagen gerade noch mal gesagt, in Europa – man kann es kaum glauben – würden fast 1.000 Milliarden insgesamt mehr an Steuereinnahmen reinkommen, wenn man – ich sage es holzschnittartig –, Google und Co., Google, Apple und andere, endlich das zahlen lässt, was eigentlich ihr gerechter Anteil wäre. Haben Sie Sympathie für so was?
    Laumann: Für so was kann man immer Sympathien haben, denn die Frage von Steuergerechtigkeit ist ja im Steuersystem auch ganz wichtig, einmal, dass Menschen auch die Steuern wirklich bezahlen, die sie bezahlen müssen, und sich nicht davor drücken. Und das gilt, finde ich, im Bereich der Einkommensteuer genauso wie bei allen anderen Steuern. Und natürlich muss nach der Rechtslage, die wir haben, es eben auch so sein, dass alle ihren Beitrag zur Finanzierung der staatlichen Infrastruktur zu leisten, egal, ob es Firmen sind oder Privatpersonen.
    Zurheide: Also sagen Sie, durchaus offen dafür, dass man bei Google und Kompanie was tut, und dass die Europäische Gemeinschaft nicht nur dieser zahnlose Tiger ist.
    Laumann: Also ich kann jetzt diese Frage rechtlich nicht beantworten. Ich bin nur der Meinung, dass jeder seinen Beitrag zur Finanzierung unseres Landes leisten muss.
    Zurheide: Das heißt, so etwas, wenn man da für Gerechtigkeit sorgt, wäre das für Sie nicht automatisch gebrandmarkt als Steuererhöhung. Denn das ist ja eine Tabu-Debatte.
    Laumann: Ja gut, also es wird mit uns keine Steuererhöhungen geben, aber dass alle ihren Beitrag leisten müssen zur Finanzierung unserer Infrastruktur, das ist doch ohne Frage, und ich muss ja zugeben, die Frage der Besteuerung von Google und anderen sind mir jetzt nicht im Detail bekannt und deswegen will ich da jetzt auch nicht konkret etwas zu sagen.
    Mehr innerparteiliche Debatten notwendig
    Zurheide: Okay, dann lassen wir das mal stehen. Letzter Punkt, Sie haben es ganz am Anfang angesprochen, innerparteiliche Debatten. Ich will da noch mal drauf zurückkommen. Meine Beobachtung ist, und das gilt jetzt nicht nur bei der CDU, bei allen anderen: Parteitage werden, möglicherweise auch durch uns Journalisten, immer nur danach bemessen, wie schneidet der oder die jeweilige Spitzenfrau oder der Spitzenmann ab, dass wir da ein Stück mehr innerparteiliche Debatten wieder kriegen – halten Sie das auch für notwendig?
    Laumann: Ja, das halte ich für zwingend notwendig, denn Politik macht ja eigentlich nur Spaß, wenn auch über Sachfragen debattiert wird. Und wir leben, finde ich, zurzeit in einer Zeit, die nicht besonders politisch ist. Darunter leiden nach meiner Meinung auch die beiden großen Volksparteien ein bisschen. Wenn wir uns mal unsere Mitgliederentwicklung anschauen, die ja eher nach unten als nach oben geht. Wir sind in den Parteien auch so langsam ein Stück überaltert. Das ist eigentlich, finde ich, schade, und deswegen, finde ich, müssen auch die Parteigliederungen, aber auch die Vereinigungen, einen Beitrag leisten, dass auch in der Sache debattiert wird. Und ein Parteitag, der in der Sache gar nicht mehr streitet, der nur noch dafür da ist, dass man einen neuen Vorstand wählt und dass man den Satzungen Genüge tut – ich finde, das ist es auch nicht, und deswegen sollte man auch mal einen Antrag, den wir jetzt gestellt haben, wie viele andere Anträge auch gestellt werden, sehen auch als einen Beitrag der lebendigen Kultur und der lebendigen Debattenkultur innerhalb einer Partei.
    Zurheide: Da ist zu viel alternativlos?
    Laumann: Nein, das will ich nicht sagen, aber ich glaube schon, wenn ich mal an die letzten Jahrzehnte zurückdenke – ich bin ja nun auch schon ein paar Jahre dabei –, es hat schon politischere Zeiten in der Bundesrepublik Deutschland gegeben, wie wir sie zurzeit haben, und ich finde, Demokratie lebt auch von einem Stück Lebendigkeit, und Parteitage, finde ich, sollten auch diese Lebendigkeit dokumentieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.