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Kamasutra literarischer Mitteilungsformen

Zwei Männer und eine Frau sind die Hauptfiguren in dem Roman "Tagebuch einer Ehebrecherin" des amerikanischen Schriftstellers Curt Leviant. In der klassischen Dreiecksgeschichte geht es um Sex, um das Darüberreden und um eine verhängnisvolle Intrige.

Von Ursula März | 20.01.2012
    Casanova hatte bekanntlich zwei Passionen. Die zweite bestand daran, über seine Erfahrungen und Erlebnisse auf dem Gebiet der ersten intensiv Mitteilung zu machen. Casanovas Leben als Schürzenjäger ist nicht zu trennen von seinem Fleiß als Memoirenautor. Der berühmteste Venezianer des 18. Jahrhunderts darf, was die gegenseitige Stimulierung von Körperlust und Redelust betrifft, als historisches Vorbild gelten.

    Um nichts anderes geht es in dem Roman "Tagebuch einer Ehebrecherin" des amerikanischen Schriftstellers Curt Leviant. Es geht um Sex, um das Darüberreden und um eine verhängnisvolle Intrige, die sich allein der Gesprächsgier der drei Hauptfiguren verdankt: zwei Männer und eine Frau. Eine klassische Dreiecksgeschichte also. Sie spielt in der Gegenwart der amerikanischen Ostküste, genauer gesagt im gehobenen Mittelschichtmilieu von Long Island, einer Szenerie, der die amerikanische Literatur eine lange Reihe von Romanen über die Ruhestörung der Libido, ja geradezu ein Romangenre verdankt.

    Bei einem Klassentreffen sehen sich zwei alte Schulfreunde wieder, der Psychoanalytiker Charlie Perlmutter, zeitlebens ein gehemmter Frauenversteher, und der Fotograf Guido Veneziano-Tedesco, den schon sein Nachname als Casanovanachfahre auszeichnet. Guido, schön, viril, charmant, charismatisch, ließ zeit seines Lebens nichts anbrennen. Charlie scheute von Jugend an das Feuer. Guido verführt, wie andere atmen, wickelt Frauen um den Finger, bevor Charlie bemerkt hat, dass sie sich im Raum befinden. Diese Rollenverteilung trainierten die beiden schon auf dem Pausenhof der jüdischen Jungenschule in Brooklyn. Dass Guido dem Freund die Jugendgeliebte ausspannte, die erste, die dieser überhaupt errungen hatte, gehört zum Drehbuch der Männerfreundschaft. Dass Charlie die Schmach auch nach Jahrzehnten nicht vergessen und vergeben hat, entspricht dem Skript seiner Psyche. Er lauert auf Rache und er bekommt sie.

    Guido überfällt Charlie bei dem Klassentreffen mit dem hemmungslos-emphatischen Bericht über seine derzeitige Affäre. Zum allerersten Mal, erzählt Guido, habe er nicht nur Sex, sondern wahre Liebe kennengelernt, Liebe zur Cellistin Aviva. Nun fasst Charlie den perfiden Plan, in diese Liebe einzudringen. Unter einem Vorwand stattet er eines Tages der schönen Aviva einen Besuch ab, bringt sie, was ihm als Psychoanalytiker nicht schwerfällt, dazu, ihm ihr Herz auszuschütten und schließlich zu öffnen.

    Dies ist der episodische Kern des Romans, dessen Charakter sich indes als Exzess des Erzählens und Erinnerns, des intimen Plauderns und rhetorisch aufwendigen Verschweigens, darbietet, in Exkursen und unentwegten Wiederholungen aus verschiedenen Perspektiven, von verschiedenen Stimmen und in verschiedenen interpretatorischen Varianten, in direkter, indirekter und personaler Rede. Curt Leviants "Tagebuch einer Ehebrecherin" ist, so könnte man sagen, eine Art Kamasutra literarischer Mitteilungsformen - gespickt mit Anmerkungen des Autors und mit Zitaten, ergänzt um ein alphabetisches Brevier am Ende des eigentlichen Romantextes.

    Verliebt ins symbolische Handeln ihrer Redelust entgleitet den drei Protagonisten mehr und mehr die Realität und deren Bedrohlichkeit in Gestalt des Ehemannes von Aviva. Er ist weniger ein Mann der Rede, sondern der handfesten Tat - und der Leser, der sich amüsiert damit abgefunden hat, Teilnehmer eines literarischen Ironieunternehmens mit postmodernen Anklängen zu sein, wird am Ende der Dreiecksgeschichte überrumpelter Zeuge eines blutigen Gattinnenmordes. Nach über 500 Seiten kippt die rhetorische Ausschweifung in die reale Tragödie. Diese Romanidee ist nicht ganz neu, sie verlangt auch einige Geduld der Lektüre - aber Curt Leviant bestreitet sie mit einiger Raffinesse und einer eleganten Rückbindung an das 18.Jahrhundert, in die Epoche der feudalen Ausschweifung des Liebens und Redens.

    Curt Leviant: "Tagebuch einer Ehebrecherin". Roman. Aus dem Amerikanischen von Pociao. Graf Verlag, München 2011. 589 Seiten. 24,99 Euro