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Kamerun
Autofahren als Abenteuer

Anders als in Deutschland beschweren sich Autofahrer in Kamerun so gut wie nie über Straßenbaustellen. Der Grund ist simpel: Es gibt keine. Dementsprechend groß fallen auch manche Schlaglöcher aus. Wie man da als asphaltverwöhnte Europäerin wohl durchkommt? Ein waghalsiger Selbstversuch.

Von Isabell Ullrich | 15.02.2015
    Kevin: "Oh, hier geht's ja richtig schön runter, mit solchen Gräben drin. Uh, jetzt muss ich hier rüber, oder? - Kevin: Kuck mal, die beiden Reifen kannst du sehen. Einen hier, einen da."
    Autorin: "Ja. Uh, das ist echt knapp, da ist in der Mitte eine Riesen-Kante, auf der Seite eine Mauer und auf der anderen Seite ein Graben. Ah! Jetzt hänge ich!"
    Kevin: "Erster Gang. Und mit Gas."
    Autorin: "Wow, dein armes Auto! Das hat aber nicht gut geklungen."
    Kevin: "Ich höre das ungefähr 200 Mal am Tag."
    Meinen ersten Fahrversuch auf kamerunischen Straßen im Auto meines Freundes Kevin Nyongo würde ich als semi-erfolgreich bezeichnen. Allerdings hat mich Kevin auch auf eine der zerfurchtesten Lehmpisten mitgenommen, die sich durch die hügeligen Stadtviertel von Bamenda ziehen. Die Stadt im Hochland des englischsprachigen Teils von Kamerun hat aber auch ein paar geteerte Hauptstraßen. Dank der Wasserströme in der Regenzeit und der vielen, vielen Verkehrsteilnehmer ist von dem Straßenbelag aber stellenweise nicht mehr viel übrig. Die Taxifahrer, die mit ihren liebevoll bemalten, alten Toyotas den kompletten öffentlichen Nahverkehr stellen, scheint das kaum zu stören. Und ich bin zuversichtlich, dass ich das mit ein paar Anweisungen eines professionellen Fahrlehrers auch ganz schnell lernen kann.
    Das Fahrschulauto - immerhin die Sicherheitsgurte funktionieren
    Das Fahrschulauto ist weiß, verziert mit Rostflecken und Aufklebern mit Verkehrsschildern drauf, und es hat ziemlich abgefahrene Reifen. Das erste Mal in Kamerun sehe ich aber immerhin funktionierende Sicherheitsgurte. Joy Ngarka, der Fahrlehrer, macht mich kurz mit den wichtigsten Bedienelementen vertraut – Kupplung, Bremse, Handbremse – und schon geht's mit dem ersten Gang in den wuseligen afrikanischen Stadtverkehr. Von der Fahrschule sind es nur ein paar hundert Meter bis zu der Kreuzung, die ich als Zentrum des Verkehrschaos mit den wohl meisten Schlaglöchern bezeichnen würde. Sie heißt nach der dort angesiedelten Busgesellschaft 'Amour Mesam'. Und obwohl ich weiß Gott nicht ängstlich bin, habe ich Respekt davor, sie zu passieren. Ich frage Joy, ob man einfach um die Schlaglöcher herumfahren kann
    Okay. Also wir sind jetzt hier auf einem Teil der Straße angekommen, der ist zu schlecht für den ersten Gang. Das heißt, man muss also immer mit halb gedrückter Kupplung fahren, um durch die Schlaglöcher irgendwie durchzukommen und vor allem auch durch den Verkehr, der sich hier immer wie eine gelbe Schlange aus lauter Taxis durch die Menge zieht aus Motorradfahrern, die noch zwischendrin herumfahren, Leuten die Karren schieben und Fußgängern, die natürlich auch noch was verkaufen wollen an der Seite. In die Autos rein am besten.
    Fahrlehrer: "Nein einfach geradeaus durch. Wenn es zu viele Schlaglöcher sind, musst du die Kupplung halb durchgedrückt lassen. Das verringert dann die Geschwindigkeit des ersten Gangs noch einmal. Im ersten Gang wäre es zu schnell, das würde uns zu sehr durchschütteln, aber mit halb gedrückter Kupplung geht es geschmeidig."
    Das wichtigste in diesem Gedränge nebst der unbedingten Rücksicht auf Fußgänger, so erklärt mir Fahrlehrer Joy, ist es, nicht anzuhalten, sondern im Fluss zu bleiben. Und tatsächlich fährt es sich damit entspannter als es aussieht, solange jeder flexibel auf seine Umwelt hinter, vor und neben dem Fahrzeug reagiert. Zum Beispiel wenn man einen langsamen Laster überholen will, aber nicht sieht, dass einem etwas entgegenkommt:
    "Einfach rechts blinken ... äh, links! Jetzt fahr zu! Du musst schnell sein! Genau so."
    Und auch das bedenkliche Quietschen der Pedale hält hier niemanden davon ab, auf den besseren Fahrbahn-Abschnitten zu beschleunigen. Gegenüber jeder Straße, die mehr als ein paar Prozent Gefälle hat, befindet sich auch immer ein Sandplatz, in den man sein Fahrzeug lenken kann, falls die Bremsen nicht mehr funktionieren. Diese Maßnahme scheint aber die einzige zu sein, für die Land und Stadt Geld haben. Deshalb treffe ich an der chaotischen Amour-Mesam-Kreuzung Agosto in seinem Blaumann neben einem großen Haufen lehmverkrusteter Wackersteine.
    "Mein Name ist Ngu Agosto Atschiri, aber die Leute in Bamenda nennen mich nur "Zuständig". Weil sie sagen, dass ich für ihre Stadt zuständig bin. Wenn irgendwo Schlaglöcher zu reparieren sind, kommen die Leute zu mir und sagen: Hilf uns bitte an diesem oder jenem Ort. Und wenn sie mich so fragen, dann gehe ich hin."
    Agosto pflastert die Schlaglöcher mit Wackersteinen aus, um sie zu ebnen. Er kauft die Steine auf eigene Kosten und leiht sich ein Fahrzeug, um sie zu den löchrigsten Straßenabschnitten zu transportieren. Vor Ort lädt er seine quietschende Schubkarre voll, schlängelt sich damit seelenruhig und ohne jegliche Warnhinweise durch den Verkehr. Mitten auf der Straße beginnt er dann, die dicken Steine ins Zentrum des Lochs und dann wie ein Mosaik ringsherum immer flachere Steine anzulegen und sie im Zweifel mit Hammer und Meißel zurecht zu klopfen. 29 Jahre lang widmet er sich schon dieser Sisyphusarbeit.
    "Was mich dazu gebracht hat, war ein Erlebnis, als ich einmal krank war. Sie haben mich ins Krankenhaus gebracht, aber als das Taxi so in das Schlagloch geprescht ist, dachte ich, ich müsste sterben. Da habe ich bemerkt, dass solche Schlaglöcher nicht nur die Fahrzeuge zerstören, sondern auch einen Menschen auf dem Weg ins Krankenhaus töten können. Da habe ich entschlossen, sie aufzufüllen."
    Spenden von armen Leuten
    Hierzulande wird der Straßenbau aus der Staatskasse bezahlt. Kamerun dagegen ist arm - nicht nur der Staat, sondern auch die Menschen. Trotzdem fallen am Ende des Tages viele kleine aber bereitwillig gegebene Spenden auf Agostos Teller, mit dem er nach getaner Arbeit durch die gelben Taxikaravanen geht. Auf einen Lohn von der Stadt oder der Regierung darf er indessen nicht hoffen. Er ist ja schon froh, wenn sie ihn nicht wieder wegen Schwarzarbeit einsperren.
    "Als ich mit dieser Arbeit angefangen habe, war der frühere Regierungsabgeordnete entschieden gegen mich. Er hat mich sogar von der Polizei festsetzen lassen. Daraufhin sind die Taxifahrer in Streik getreten. Die ganze Stadt war lahmgelegt deswegen. Da hat der Polizeikommissar persönlich gesagt, er sehe dass der Stau sich auflöst und die Straße frei wird, wenn ich meine Arbeit mache, und dass er kein Interesse daran hätte, mich länger festzuhalten. Also hat er mich heim geschickt zu meiner Arbeit und gesagt, dass es okay ist, was ich mache."
    Dank Agostos Werk geht es um die Amour-Mesam-Kreuzung jetzt nicht mehr ganz so holprig zu. Und ich resümiere auf der Rückfahrt zur Fahrschule, dass es auch irgendwie ohne Straßenschilder und staatliche Bautrupps geht, wenn alle ein bisschen aufeinander achten und Eigeninitiative zeigen.