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Kammermusik
Die Klänge der Kindheit

Auf dieser neue Platte - einem zwischen Moderne und Hochromantik aufgespannten Porträt dreier Komponisten: George Enescu, Antonín Dvořák und Robert Schumann - ist Violinistin Caroline Goulding und Pianistin Danae Dörken ein Hörgenuss gelungen.

Von Johannes Jansen | 18.12.2016
    George Enescu, rumänischer Komponist und Violinist, Lehrer von Yehudi Menuhin. Er wurde am 19. August 1881 in Liveni geboren und verstarb am 4. Mai 1955 in Paris.
    George Enescu, rumänischer Komponist und Violinist, Lehrer von Yehudi Menuhin. Er wurde am 19. August 1881 in Liveni geboren und verstarb am 4. Mai 1955 in Paris. (picture-alliance / dpa)
    Wer den langsamen Satz aus der d-Moll-Violinsonate so nimmt, wie Schumann es verlangt, "leise" und "einfach" nämlich, kommt mit erkünstelter Naivität nicht weit. Antonín Dvořáks Romantische Stücke machen es einem ähnlich leicht und schwer zugleich, denn die Gefahr, ins Gefühlige abzurutschen oder auch ins allzu Burschikose, lauert überall. In den "Impressions d’enfance" von George Enescu wiederum verstellt das Dickicht der Noten – kaum eine davon ohne Akzent oder andere Vortragszeichen – den Blick auf die dahinter liegende kindliche Empfindungswelt.
    Gelassene Interpretation von Goulding und Dörken
    Caroline Goulding und ihre Klavierpartnerin Danae Dörken haben sich hier auf Werke eingelassen, die in dieser Zusammenstellung auch weitaus erfahrenere Künstler, als sie es sind, ins Straucheln bringen könnten. Was man aber hört, ist eine allen technischen Herausforderungen gelassen gegenüberstehende Interpretation, die sich auch klanglich wie in höheren Regionen, ja beinahe schwerelos bewegt.
    MUSIK: George Enescu, ›Ruisselet‹ (Bächlein) aus: Impressions d’enfance, op. 28, CD-Tr. 1
    George Enescu war ein Wunderkind. Schon als Fünfjähriger hat er komponiert und sein Lebtag die Klänge der Kindheit nicht vergessen: Vogelstimmen, Grillen, rauschende Bäche, Windgeräusche und auch solche Naturerscheinungen, die sich erst in der Seele zu Musik verstoffwechseln. "Mondschein durch die Fensterscheiben" heißt ein Abschnitt in Enescus "Impressions d’enfance", die nach einer sturmdurchtosten Nacht im Sonnenaufgang enden. Ein Genie war er auch als Geiger.
    Yehudi Menuhin, sein berühmtester Schüler, nannte ihn das ungewöhnlichste menschliche Wesen, dem er je begegnet sei. Mit dem "Fiedler", dem ersten Stück der "Impressions", setzte Enescu sich selbst ein Denkmal. Gewidmet ist die Suite freilich seinem ersten Lehrer, Eduard Caudella. Die Uraufführung fand 1942 statt, zusammen mit Dinu Lipatti, auch er eine Fabelgestalt nicht nur in der rumänischen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Es mit solchen Vorbildern aufzunehmen, braucht es schon eine gehörige Portion Mut.
    MUSIK: George Enescu, ›Ménétrier‹ (Fiedler) aus: Impressions d’enfance, op. 28, CD-Tr. 1
    Mit spätestens sechzehn hört das Wunderkindalter auf. Was danach kommt, ist jene mitunter quälend lange Phase, in der die Karriereleiter Sprosse für Sprosse erklommen werden muss. Katapultartige Sprünge gelingen selten. In dieser Phase befindet sich die inzwischen 23-jährige Geigerin Caroline Goulding. Für ihre Debüt-CD – damals war sie noch "sweet sixteen" – bekam sie glänzende Kritiken. Diese Platte ist ihre zweite, und ungewöhnlicherweise für eine US-Amerkanerin mit Wohnsitz in New York, entstand sie in Berlin.
    Auch Anmut kann erschüttern
    In Deutschland zu Hause ist Danae Dörken, Gouldings nur ein Jahr ältere Klavierpartnerin. Auch Danae Dörken zehrt nicht mehr von Vorschusslorbeeren, sondern genießt längst einen international gefestigten Ruf als Solistin und im Duo mit ihrer ähnlich hochbegabten jüngeren Schwester Kiveli. Im Zusammenspiel mit Caroline Goulding hält sie sich – oder ist es nur die Aufnahmetechnik? – fast zu sehr im Hintergrund, um der Geigerin und den reichen Valeurs ihrer Stradivari nichts wegzunehmen. Dem Klangzauber tut die pianistische Zurückhaltung keinen Abbruch, sondern es bestätigt sich darin nur ein Ausspruch von Erich Kästner, den man in Zeiten ellbogenstarker Klavierathletik nicht oft genug wiederholen kann: Auch Anmut kann erschüttern.
    MUSIK: Antonín Dvořák, Nr. 1 (Allegro moderato) aus: Romantische Stücke, op. 75, CD-Tr. 2
    Antonín Dvořáks Romantische Stücke, sagt Caroline Goulding, seien "Miniaturen der Verbindung von Erinnerung und Aktualität" und darum das ideale Pendant zur Suite von Enescu, der als beinahe Sechzigjähriger das Kind in seinem Kopf zum Lenker der Kreativität bestimmte – und zum Herrscher über ein Arsenal von Gestaltungsmitteln, die das Kind noch nicht besaß. Zwischen den beiden Lebensaltern stehen Caroline Goulding und Danae Dörken, vermittelnd auch im Ton zwischen Überschwang und Abgeklärtheit, der sich dann in Robert Schumanns großer d-Moll-Sonate wiederfindet.
    Die Sonate ist ein spätes Glückskind seines Kammermusikschaffens, gewidmet Ferdinand David, dem Konzertmeister des Gewandhausorchesters "als ein Erinnerungszeichen an in jugendlichem Alter verlebte schöne Stunden." In den Tönen des Hauptthemas der Sonate ist Davids Name als musikalisches Anagramm hinterlegt. Verschlüsselte Botschaften wie diese finden sich bei Schumann ja zuhauf; ins Scherzo eingeschmuggelt hat er das Zitat eines Chorals – ein letzter Gruß an das Vorbild Felix Mendelssohn Bartholdy.
    MUSIK: Robert Schumann, 2. Satz (Sehr lebhaft) aus: Violinsonate Nr. 2 d-Moll, op. 121, CD-Tr. 7
    Das war zum Ende der heutigen neuen Platte das Scherzo, der 2. Satz, aus der d-Moll-Sonate op. 121 von Robert Schumann, gespielt von Caroline Goulding (Violine) und Danae Dörken (Klavier).
    Sie hörten Ausschnitte aus einer überaus empfehlenswerten, beim Label Ars Produktion erschienenen Neuaufnahme mit Werken für Violine und Klavier von George Enescu, Antonín Dvořák und Robert Schumann.