Freitag, 19. April 2024

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Kammermusik
Doppelter Franz

Das Ensemble Anima Eterna Brugge hat Franz Schuberts berühmtes Oktett und Franz Berwalds nahezu unbekanntes Septett auf CD eingespielt. Das eine schlank und transparent, das andere warm und silbrig. Erfrischend temporeiche und feingearbeitete Interpretationen, meint unsere Kritikerin.

Am Mikrofon: Mascha Drost | 21.07.2019
    Das Ensemble Anima Eterna Brugge posiert mit Instrumenten vor einer Steinwand
    Das Kammermusikensemble Anima Eterna aus der belgischen Stadt Brügge (Jan Landau)
    Großes bricht sich nicht selten über einen Umweg Bahn – und wenn es ein Komponist wie Franz Schubert ist, der sich auf den Weg macht, dann wird aus diesem Umweg selbst etwas Bahnbrechendes. Den Weg zur großen Sinfonie wollte sich Schubert mit seinem Oktett für Bläser und Streicher freimachen, das aber weit mehr wurde als nur eine Vorstudie - eines der bedeutendsten Kammermusikwerke überhaupt.
    Musik: Franz Schubert, Oktett F-Dur, D 803, 1. Satz Adagio – Allegro
    Selbst einen - zumindest klanglich - schlanken Komponisten wie Franz Schubert kann man anscheinend noch auf Diät setzen: Kein Gramm zuviel hat das Oktett bei den Musikern der Anima Eterna Brugge. Diese fast schon drahtige Figur steht dem Allegro des ersten Satzes ausgezeichnet – die Struktur tritt, wie auch jede einzelne Stimme, klar hervor, der Klang ist wendig, angeschärft, ohne ins Ruppige abzugleiten.
    Entschlacken, aber nicht künstlich aufrauen, das ist das Konzept auch bei den anderen Sätzen wie dem zauberhaften Adagio, das sich so gern in seine jenseitige Innerlichkeit verspinnt, hier aber ein sehr diesseitiges Lächeln aufsetzt.
    Musik: Franz Schubert - Oktett F-Dur, D 803, 2. Satz
    Über dem Abgrund, der sich immer wieder in Schubert Musik auftut, wird hier sehr leichtfüßig balanciert – aber deshalb scheuen die Musiker der Anima Eterna Brugge noch lange nicht den Blick hinein in die Tiefe. Sie lenken geradezu die Aufmerksamkeit darauf, wie hier am Ende des zweiten Satzes von Schuberts Oktett.
    Leichtfüßige Balance über dem Abgrund
    Das Werk hielt den Komponisten während seiner Arbeit an dem Stück derart gefangen, dass sich Freunde schon über seine abweisende Art beschwerten – selbst für engste Freunde fiel nur ein knapper Gruß ab, dann war die Aufmerksamkeit wieder ganz bei der Partitur. Drei Jahre musste sich Schubert allerdings gedulden, bis das Werk 1827 im Wiener Musikverein uraufgeführt wurde. Mit den himmlischen Längen, die nicht nur die nachfolgende große C-Dur Sinfonie auszeichnen, sondern in nur etwas knapperer Form auch das Oktett, konnte sich das Publikum nicht ganz anfreunden. Tatsächlich hat sich Schubert hier auf eine reizvolle Gratwanderung begeben – und die Möglichkeiten des Dramatischen offensichtlicher ausgetestet als es manchem lieb war. Gerade im letzten Satz, dessen Einleitung nicht nur über das kammermusikalisch Gewohnte hinausging. Eine unheimliche Szenerie tut sich da auf, von den Musikern der Anima Eterna spannungsvoll ausgeleuchtet.
    Musik: Franz Schubert - Oktett F-Dur, D 803, 6. Satz
    Auch wenn Schubert schnell wieder so tut, als sei nichts gewesen – die düstere Stimmung dieses Anfangs wird immer wieder aufblitzen in diesem großangelegten Schlusssatz des Oktetts. Den Mitgliedern der Anima Eterna Brugge kommt es aber auch hier weniger auf den einzelnen Effekt an. Organisch fließt die Musik, stimmungsvoll, aber die Empfindung ist nie zu dick aufgetragen. Diesem berühmten Oktett eine Rarität eines kaum gespielten Komponisten an die Seite zu stellen, hat seinen Reiz – aber auch seine Tücken, denn dem alles durchdringenden, durchsichtigen Klang der Anima Eterna ist nicht jedes Stück gleichermaßen gewachsen. Schubert in jeder Faser durchhörbar zu machen, ist das eine. Aber sich Franz Berwalds Septett auf die gleiche Weise zu nähern, wäre nicht ohne Risiko gewesen.
    Zauberhaufter Mischklang
    Und so ist der Ensemble-Ton hier wärmer und gesättigter, ohne jedoch seine silbrige Leichtigkeit einzubüßen.
    Musik: Franz Berwald – Grand Septet in B-Dur, 1. Satz
    1828, dem Sterbejahr Schuberts, beendete Berwald sein Septett; Vorbild war ihm allerdings ein anderer, kurz zuvor verstorbener Wiener, Ludwig van Beethoven. Von ihm hat Berwald die erprobte Besetzung übernommen: Klarinette, Fagott, Horn, Geige, Bratsche, Cello, Bass.
    Franz Berwald, der bedeutendste schwedische Komponist der Romantik, gehört zu den ewig im Schatten Stehenden. Und dies zeitlebens, weil seine Musik als zu arriviert und sein Auftreten als zu arrogant empfunden wurde und auch heutzutage. Von der Musik leben, konnte Berwald erst als älterer Herr, als Kompositionsprofessor in Stockholm. Davor leitete er in Berlin ein Institut für orthopädische Gymnastik, und er war Leiter eines Sägewerks und einer Glashütte. Berwald hatte aber nicht nur Sinn für unorthodoxe Lebensläufe, sondern auch für formale Experimente. So ist der zweite Satz seines Septetts eigentlich ein Doppel – ein langsamer Satz mit eingebautem Scherzo.
    Musik: Franz Berwald – Grand Septet in B-Dur, 2. Satz
    Als unterkühlt hat man Berwalds Musik seinerzeit kritisiert – aber entweder war jener Kritiker selbst ein Eisblock oder dieser innige zweite. Satz aus Berwalds Septett ist an ihm vorübergegangen. Ätherisch gestaltet Anima Eterna Brugge das Adagio, silbrig im Klang und das Vibrato weniger sparsam dosiert als bei Schubert. Was aber beide Werke verbindet, ist der zauberhafte Mischklang aus Bläsern und Streichern.
    Virtuose Spielfreude
    Hier zeigt sich, dass es sich bei den Musikern um ein fest eingespieltes Ensemble handelt; nahtlos gestalten sich die Übergänge, wird in einer Sprache artikuliert, deutlich und mit einer hörbaren Vorliebe für Akzente. Dazu kommt eine virtuose Spielfreude, die vor allem im Finale hemmungslos ausgelebt wird – da schmettern die Hörner, und die Streicher dürfen sich auf verwegene Achterbahnfahrten begeben.
    Musik: Franz Berwald – Grand Septet in B-Dur, 3. Satz
    Kammermusik mit Operncharakter: Blitzschnell wechselt Franz Berwald im Finale seines Septetts die Szenen, und die Musiker der Anima Eterna Brugge erweisen sich als ideale Darsteller. Das Septett in B-Dur des schwedischen Komponisten Franz Berwald findet sich neben dem Oktett Deutschverzeichnis 803 von Franz Schubert auf der neuen Aufnahme des Ensembles, erschienen beim Label ALPHA.
    Anima Eterna Brugge
    Franz Schubert - Oktett F-Dur, D 803
    Franz Berwald – Grand Septet in B-Dur
    ALPHA