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Kammermusik von Friedrich Goldmann
Innovative Klangwelten in traditioneller Form

Die Werke des 2009 gestorbenen Komponisten Friedrich Goldmanns entziehen sich meist jeglichen Kategorien einer bestimmten Ästhetik. Charakteristisch für seine Musik ist, dass sie Ohren herausfordert. Auf CD erschienenen jetzt seine Trio-Stücke und ein Quartett.

Von Yvonne Petitpierre | 14.08.2016
    Der Komponist Friedrich Goldmann in Berlin.
    Der 2009 gestorbene Komponist Friedrich Goldmann in Berlin. (imago/Kai Bienert)
    Heute geht es um eine CD-Box mit Kammermusikwerken von Friedrich Goldmann vor, der 2009 verstorben ist. Anlässlich seines 75. Geburtstages im Frühjahr 2016 erschienen beim Berliner Label macro in Co-Produktion mit dem SWR alle Trios, die in den Jahren zwischen 1986 und 2004 entstanden sind sowie das im Jahr 2000 komponierte Quartett für Oboe und Streichinstrumente. Eingespielt sind alle Werke von verschiedenen Musikern, die eine langjährige intensive Zusammenarbeit mit dem Komponisten verbindet. Ingo Goritzki, Björn Lehmann und Solisten des Ensemble Mosaik sowie des Kammerensemble Neue Musik. Drei der Aufnahmen hat Friedrich Goldmann noch selbst produziert.
    1941 geboren, besucht Friedrich Goldmann 1959 erstmals ein Seminar bei Karlheinz Stockhausen im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse, was ihn nachhaltig prägt. Zuvor wirkt er als Mitglied des Dresdner Kreuzchors und studiert an der Dresdner Musikhochschule Komposition. Danach wechselt Goldmann nach Berlin, studiert Komposition und arbeitet am Berliner Ensemble. Künstlerische Kontakte knüpft er zu Ruth Berghaus, Heiner Müller und Luigi Nono.
    Vertreter der musikalischen Avantgarde in der DDR
    Seit 1970 gehört er zu den wichtigsten Vertretern der musikalischen Avantgarde in der DDR. An der West-Berliner Universität der Künste übernimmt er ab 1991 eine Professur für Komposition und Orchesterleitung. Als Friedrich Goldmann stirbt, hinterlässt er über 200 Kompositionen, die inzwischen alle zur Uraufführung gekommen sind. Einen Namen macht sich Goldmann auch als Dirigent von Uraufführungen von Lachenmann, Henze oder Rihm. Zu seinen bekanntesten Kompositionsschülern zählen Enno Poppe, Helmut Oehring und Steffen Schleiermacher.
    Es sind vor allem innovative Klangwelten, die Goldmann in traditionellen Formen wie Sinfonie, Konzert oder Sonate auslotet. Eine strenge kompositorische und formbildende Logik prägt seine frühen Experimente aus seriellen, aleatorischen und improvisatorischen Momenten ebenso wie seine spätere intervallharmonische, komplexe motivische Arbeit. Sein weitgehend kompromissloses Schaffen mit einer eigenen Ästhetik zeichnet auch die vorliegenden Trios, die in teilweise unter die Haut kriechender Expressivität durch die Interpreten der CD Einspielung zugänglich gemacht werden.
    Klangerweiterung im mikrotonalen Bereich
    Einen Schlüssel zu Goldmanns kompositorischer Ästhetik ist im äußerst umfangreichen Booklet anschaulich von Bruno Santos und Björn Gottstein auf den Punkt gebracht: es geht um "die Aufdeckung spezifischer Interaktionen ansonsten scheinbar unabhängiger Ebenen".
    Das älteste Trio der Einspielung für "Viola, Violoncello und Kontrabass" stammt aus dem Jahr 1986 und wurde im selben Jahr bei den Wittener Tagen für Neue Musik uraufgeführt. Um nahezu einen einzigen Ton kreist hier das Geschehen des ersten Stückes als eine Folge kontinuierlicher Zustandswechsel. Goldmann beschränkt sich hier auf ein Basismaterial, um dann Klänge in verschiedensten Qualitäten freisetzen zu können. Eröffnet wird mit einem G in der Viola, die diesen Ton zu einem Klang aufbaut und weiterentwickelt, ehe er dann durch ein Flageolett im Kontrabass übernommen wird.
    Die Klangerweiterung geschieht im mikrotonalen Bereich, wenn Viola und Violoncello jeweils in einem Vierteltonschritt nach oben und unten kreisen. Diese minimalen Bewegungsabläufe generieren ihre Kraft vor allem aus dynamischen Wandlungen und Lautstärkenveränderungen. Hören Sie zu Beginn dieses erste der vier Stücke aus dem "Trio für Viola, Violoncello und Kontrabass" von Friedrich Goldmann. Es spielen Kirstin Maria Pientka, Viola, Ringela Riemke,Violoncello und Arnulf Balhorn, Kontrabass.
    Friedrich Goldmann: Trio (Four Pieces) for Viola, Violoncello and Double Bass, Track 1
    Es ist charakteristisch für Goldmann, dass seine Musik die Ohren herausfordert, wenn weitgehend sperrige Klänge einen Kosmos entfalten, der berührt, weil er irritiert und aufhorchen lässt. Auch wenn es wohl oft um ein kalkuliertes Ausreizen einzelner Töne geht, gelingen Goldmann unter anderem über Strichtechniken unglaubliche Bögen zwischen dramatischer Spannung und schlichter Ruhe.
    Goldmanns Kompositionen entziehen sich jeglichen Kategorien einer bestimmten Ästhetik und so mögen sich für den einzelnen Hörer vielschichtig Deutungsebenen ergeben. In jedem Fall fordern seine facettenreich angelegten Beziehungen von Klängen eine besondere Wachsamkeit. Es sind vor allem aber Brüche im Umgang mit dem jeweiligen Tonmaterial, die beim Hören herausfordern.
    Dass Goldmann mit seinen Werken nicht vordergründig nach sinnlicher Seelenbeglückung sucht, belegt auch sein 1998 entstandenes und nur aus einem Satz bestehende "Trio Nr. 2 für Oboe, Violoncello und Klavier". Erneut fokussiert er den einzelnen Ton, um den sich kleine Verschiebungen drehen. Dem gegenüber stehen Kantilenen, Arpeggien und pentatonische Themen. Darüber hinaus forciert er die jeweils instrumentenspezifischen klanglichen Möglichkeiten und nutzt diese für einen dramaturgisch geladenen Ablauf. Dabei kommt es immer wieder zu Verschiebungen in der Gewichtung und es bilden sich dialogische wie diskursive Momente. Das Mit- und Gegeneinander wird hier zum gestalterischen Grundprinzip.
    Aus dem zweiten Trio hören Sie jetzt den Schlussteil des einsätzigen Werkes mit Simon Strasser Oboe, Dirk Beiße, Violoncello und Ernst Surberg, Klavier.
    Friedrich Goldmann: Trio Nr. 2 for Oboe, Violoncello und Klavier, Track 5
    Friedrich Goldmann enthielt sich grundsätzlich tiefgehenden Werkbeschreibungen, sondern forderte offene und neugierige Ohren für alles, was es zu hören gibt. Er war der Überzeugung, dass Werke für sich selbst sprechen gemäß dem Credo "Das muss man jetzt nicht verraten, da kann jeder selbst drauf kommen." Bei Goldmann gilt es, zu entdecken, gerade was die Dramaturgie der einzelnen Klänge betrifft. Sie sind immer mit eigener Energie geladenen, entfalten aber erst im Zusammenhang ihre eigene Ausdruckskraft.
    Das Spannungsverhältnis einer Dreierbeziehung zeichnet auch das "Trio für Violine, Horn und Klavier" aus dem Jahr 2004. Zahlreiche kleine Duos formieren sich hier in Prozessen der Annäherung auf der Suche nach einem gemeinsamen Klang.
    Friedrich Goldmann: Trio für Horn, Violine und Klavier, Track 7
    Mit der Vielfalt an klanglichen Kombinationsmöglichkeiten spielt Friedrich Goldmann auch in seinem "Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello" aus dem Jahr 2000, das ebenfalls in dieser Einspielung zu hören ist. Hier kommt es zu hochexpressiven Verdichtungen von Klangfarben und rhythmischen Geflechten.
    Erneut sucht Goldmann den Einzelklang aufzufächern, was er selbst als eine Obsession beschrieb. Die Konzentration auf den Einzelton mache für ihn ein plötzliches breiter und enger Werden möglich bis klar ist, so Goldmann "dass ein Einzelton also überhaupt nicht die fixe Größe ist, als die er traditionellerweise genommen wird." In diesem Quartett nutzt er dafür mikrotonale Schritte, an und abschwellende dynamische Veränderungen und spieltechnische Varianten zur klangfarblichen Veränderung von Tönen. Einzelne Motive werden verkürzt oder verlängert durch ausgeklügelte rhythmische Ketten. Am Ende bleibt die Oboe die Hauptstimme, um deren phantasievolle Schönheit sich die anderen Instrumente gruppieren.
    Erleben Sie jetzt den Schlussteil aus dem "Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello" mit Ingo Goritzki, Oboe, Benjamin Hudson, Violine, Jean-Eric Soucy, Viola und Francis Gouton, Violoncello.
    Friedrich Goldmann: Quartett for Oboe, Violin, Viola und Violoncello, Track 6
    Die Dramatisierung des Klangs, so beschreibt es Björn Gottstein in seinem Booklet-Essay zu Goldmanns musikalischer Rhetorik bleibt auch in seinem Trioschaffen bestimmend. Es gehe um eine dramatische Instanz und hier würden "die Klänge dann selbst zu Protagonisten, die sich zueinander verhalten, die in eine Konfliktsituation geraten, die in eine Spannungsverhältnis zueinander treten und die versuchen, Auswege und Lösungen zu finden".
    "Calmo, esitando un po" – "ruhig, ein bisschen zögernd", so der Titel des 2004 komponierten "Trio für Klarinette, Violoncello und Akkordeon". Dieses Trio bewahrt die solistischen Qualitäten der einzelnen Instrumente, aber erneut vor der Kulisse eines zentralen Tons, um den sich die kompositorische Struktur legt. Auch hier werden die aufgebauten Klangsituationen überraschend gebrochen, allerdings in weniger expressiver Dichte.
    Zum Abschluss folgt jetzt ein Ausschnitt aus dem letzten, von Goldmann komponierten "Trio für Klarinette, Violoncello und Akkordeon". Die Interpreten sind Christian Vogel, Klarinette, Dirk Beiße, Violoncello und Christine Paté, Akkordeon.
    Friedrich Goldmann: "Calmo, esitando un po’", Track 8
    Abschließend hörten Sie noch einen Ausschnitt aus dem Trio für Klarinette, Violoncello und Akkordeon, "Calmo, esitando und po’ ".
    Friedrich Goldmann: "Four Trios One Quartet"
    div. Interpreten
    macro CD M46
    EAN: 827170151024