Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Kammeroper Schloss Rheinsberg 2016
"Zauberflöte" als Muppetshow

Das barocke Schloss im brandenburgischen Rheinsberg ist eng verbunden mit dem Flöte spielenden Kronprinz Friedrich, dem späteren preußischen König. Ein Musikzentrum ist es bis heute - allerdings für junge Sänger, die beim Festival Kammeroper erste Bühnenerfahrungen sammeln. Zudem gibt es neue und manchmal recht schräge Regiekonzepte.

Von Irene Constantin | 09.08.2016
    Das Kammeroper Ensemble bei der "Amadigi"-Aufführung in Rheinsberg
    Bühne für neue Stimmen und neue Konzepte: das Festival Kammeroper in Rheinsberg (Kammeroper/Mundt)
    Musik: Mozart
    Nach einem guten Dutzend Rheinsberger Mozart-Inszenierungen 2016 nun die ultimative Zusammenfassung: "Mozart in 90 Minuten". Auch das Orchester sehr zusammengefasst – ein Klavier. Sibylle Wagner fitzelte sich zunächst gewandt vom "Figaro" zur "Cosí", häkelte ein Rezitativ aus "Don Giovanni" an das Zankduett zwischen Marzellina und Susanna – nach welchem sich die Sopranistinnen Amelie Müller und Silvia Aurea di Stefano plötzlich in Dorabella und Fiordiligi verwandelten. Guglielmo schmachtete die beiden mit Cherubinos Lieblingshit an, während sein Konkurrent Giovannis Canzonette gewählt hatte. Nach der Pause die "Zauberflöte" als Muppetshow mit handgebastelten Klappmaulpuppen. Als Bariton Sebastian Kunz Paminens Bildnis in Form eines aufgeputzten rosa Strickstrumpfs anzuschmachten hatte, konnte er vor Lachen kaum noch singen. Monostatos erschien als schwarze Socke und Papagena sang in Basslage. Die dritte Abteilung schließlich schien vollends von Monty Python zu stammen – Titus rückwärts in achtfacher Geschwindigkeit als Pantomime, zuvor Jodeleinlagen nebst Ballett. Britischer Humor eben. Der junge Sänger Christopher Holman aus dem ostenglischen Scarborough hatte das Ganze musikalisch arrangiert und das Rheinsberger Publikum war durchaus amüsiert.
    Zwischen Comedy und Intervention
    Mit dieser Mozart-Comedy war Frank Matthus‘ Konzept, Formen aufzubrechen, Oper neu darzubieten fraglos aufgegangen:
    "Mozart ist so ein Spielbaustein am Anfang gewesen. Unser großes neues Projekt dieses Jahr war eine Alcina-Aufführung, die wir mit neuen Klängen von Moderne bis Jazz intervenieren. Das ist ein Versuch in diese Richtung, wir sind da etwas defensiver gewesen. Es wird aber im nächsten Jahr wieder eine Uraufführung geben und auch im übernächsten Jahr plane ich dann etwas vielleicht noch konsequenter in die Richtung, die ich da einfach meine."
    Möglicherweise erschien die Idee zu "Alcina" ganz brauchbar. Das künstlerische Ergebnis der Interventionen des Kompositeurs und Conferenciers Mark Scheibe war es nicht. Was er mit seinen bis auf wenige Ausnahmen banalen Musikfloskeln und den noch schlimmeren Zwischentexten beisteuerte, war bis zum Fremdschämen peinlich. Sehr bedauerlich, da die eigentliche Oper hervorragend musiziert und gesungen wurde.
    Musik: Händel, Alcina
    Test für junge Stimmen
    Mit der Kammerakademie Potsdam spielte ein international renommiertes Originalklang-Orchester, von Attilio Cremonesi subtil und sehr lebendig geleitet. Ein sprechender Gestus, ein Atmen mit den Sängern, farbige Rezitative, frische Tempi – ein Händel der Freude machen konnte – und das Festival zierte. Clara Corinna Scheurle als Ruggiero, Jessica Veronique Miller in der Rolle seiner Braut Bradamante und auch Linard Vrielink, Oronte, sangen stilistisch und stimmlich auf demselben hohen Niveau. Lisa Algozzini, US-amerikanische Gesangsschule und eine Spur dramatischer, passte im musikalischen Gestus trotzdem gut in die Titelpartie der Zauberin Alcina. Attilio Cremonesi:
    "Es ist teilweise so, dass ich bei dem Vorsingen die Sänger selber kennengelernt habe und zugehört habe und … wo ich das Gefühl hatte, ich trage die Entscheidung mit, einfach diese Sänger dabei zu haben. Eine ganz junge, aber tolle Besetzung."
    Ein junger russischer Sänger, so Cremonesi, habe besonders viel in dieser Produktion gelernt. Isabel Ostermanns sehr stimmige Inszenierung arbeitete bewusst mit der lässig sportiven Körpersprache der jungen Darsteller, kostete die Gefühlsverwirrungen der Zauberoper aus, trieb ihr Spiel mit Verkleidungen und Verwechslungen, mit Liebe, Hass und Unsicherheit.
    Musik: Puccini, Tosca
    "Tosca" im Barockgarten
    Das Hauptstück des Festivals 2016 war die "Tosca"-Produktion im Heckentheater. Frank Matthus will es künftig nicht mehr allein als pittoreske historische Gartenarchitektur nutzen, sondern als richtiges Theater. Eine Art transparenter Pavillon war ein gut geeignetes Einheitsbühnenbild für die zwar politisch akzentuierte, ansonsten erfreulich unaufgeregte Puccini-Inszenierung von Brian Deedrick. Interessant war vor allem die Frage, wie die junge Rheinsberger Besetzung mit den drei großen Hauptpartien umgehen würde. Jared Ice als Scarpia fand die singschauspielerische Balance zwischen Unsicherheit, Machtrausch und erotischer Gier sehr genau; in Stimme und Spiel ein gefährlicher Gewaltbürokrat. Yulia Yurenkova begann mit etwas flackernder Aufgeregtheit, steigerte sich aber zu einer leidenschaftlich innigen Interpretation der Tosca. J. Warren Mitchell als Cavaradossi war die Sensation des Abends. Glänzende Höhe mit lyrischem Glanz, technisch perfekt, scheinbar mühelos in der Variation vokaler Farben. Kein begnadeter Schauspieler, aber welcher Cavaradossi ist das schon.
    An der technischen Perfektionierung der am Premierenabend anfälligen Mikroporte darf durchaus noch gearbeitet werden, auch der Orchesterklang verteilte sich qualitativ ziemlich unterschiedlich im Auditorium. In den vorderen Reihen klangen die Brandenburger Symphoniker unter der Leitung von Gordon Gerrard leicht und durchsichtig.
    Dass die Rheinsberger Sänger Werke der Gewichtsklasse "Tosca" oder "Traviata" souverän bewältigen, war am Ende erwiesen. Für einen echten Qualitätssprung des gesamten Festivals bedürfte es unbedingt mutigerer inszenatorischer Zugriffe. Vor allem aber sind zukünftig interessante neue Musiktheaterwerke vonnöten.