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Kampf dem Käfer

Baumgerippe, abgestorbene Äste und braune Nadeln - wer durch die Fichtenwälder Sachsen-Anhalts und Niedersachsens streift, dem bietet sich zurzeit ein grausames Bild. Dank des trockenen Sommerwetters hat sich der Borkenkäfer massenhaft vermehrt und sorgt für ein regelrechtes Waldsterben.

Von Susanne Arlt | 28.08.2008
    Friedhart Knolle ist in diesem Sommer oft unterwegs im Harz. Der Sprecher des Nationalparks will Besucher und Einheimische darüber aufklären, wie schlimm es um den Waldbestand im Harz wirklich steht. Wer zurzeit durch die Fichtenwälder in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen streift, dem biete sich ein grausiges Bild. Statt sattgrüner Tannen kriegt der Besucher viele dürre Baumgerippe zu sehen. Abgestorbene Äste hängen staksig vom Stamm, braune Nadeln liegen auf dem Boden.

    Ursache dafür ist der achtzähnige Fichtenborkenkäfer. Der Baumschädling ist nur fünf Millimeter groß, aber er hat es in sich, wenn seine Population überhand nimmt. Im Vergleich zum Vorjahr, sagt Friedhart Knolle, zählen wir in diesem Sommer dreimal so viele Tiere. An vielen Bäumen hängen seit dem Frühjahr schwarze Plastikkästen. In den Fallen hängen Säckchen mit einem Sexuallockstoff.

    "Das ist Methode 'Diskothek', sage ich mal, Anlockung durch ein bestimmtes Parfum. Das funktioniert bei allen Lebewesen und dann fallen die Käfer runter, sie sehen hier so eine kleine Fangleiste, und ich ziehe das mal hier so raus, hier sind ein paar hundert Tiere drin. Das wimmelt nur so von Borkenkäfern in dieser Leiste. Das ist eine Methode, die nicht sonderlich effektiv ist, die nur wenige Prozent der Käfer fängt, das wird immer wieder überschätzt. Die wirklich effektive Methode ist, den Baum leider zu fällen und die Rinde zu verbrennen."

    Braune Flecken im Fichtenwald sind das Ergebnis. Hunderte Borkenkäfer-Weibchen bohren sich derzeit in die Rinde der Wirtsbäume und legen dort ihre Eier ab. Wenn die Larven schlüpfen, fressen sie sich nach außen und unterbrechen den Saftstrom der Fichte. Der Nährstofftransport kommt zum Erliegen, der Baum stirbt ab. Einige wenige Käfer ertränkt eine gesunde Fichte in ihrem giftigen Harz, aber bei vielen Hunderten Käfern ist selbst der gesunde Baum überfordert.

    Normalerweise befallen die Käfer nur kranke Bäume. Doch jetzt verursacht ein Bündel von Ursachen den Anstieg der Käferpopulation. Zum einen begünstigen die von Menschenhand angelegten Monokulturen die Ausbreitung des Schädlings. Unter natürlichen Bedingungen wachsen Fichten erst in Höhen ab 800 Metern.

    Aber auch die globale Erwärmung, die trockenen und zu warmen Winter und Stürme wie Kyrill und Emma hätten viele Bäume geschwächt, sagt Andreas Pusch, Leiter des Nationalparks.

    "Die ist schon besorgniserregend, vor allem Dingen auch für unsere Nachbarn in den Wirtschaftswäldern. Aber für uns im Nationalpark ist eine besondere Situation bei dieser Massenvermehrung. Wir werden erstmalig der Öffentlichkeit viele alte abgestorbene Bäume im Anblick zumuten, das unterscheidet uns ganz wesentlich von den Waldbildern im Wirtschaftswald. Und das war eben auch neu. Weil wir uns unter Naturschutzaspekte auf die Fahne geschrieben haben, Natur Natur sein lassen."
    Für die meisten Harzbesucher ist dieser Anblick recht gewöhnungsbedürftig. Statt nur kahler Flächen sieht der Wanderer im Harz jetzt auch jede Menge toter Fichten kreuz und quer im Wald stehen. Da bedarf es noch viel Überzeugungsarbeit, weiß der Sprecher des Nationalparks Friedhart Knolle. Dabei seien die toten Bäume kein Hinweis auf einen toten Wald. Im Gegenteil:
    "Jetzt müssen wir sehen, dass wir den Käfer mit seiner Selbstreinigungskraft als Chance nutzen, so schnell wie möglich den Fuß in die Tür zu bekommen als Förster und Naturschützer. Und der Fuß in der Tür ist die Buche, und wenn wir helfen, die Buchen wieder zu pflanzen und neu zu etablieren unter dem Schirm der strebenden Fichte, dann haben wir gewonnen."

    Die Naturschützer und Förster des Nationalparks wollen nämlich nicht Natur konservieren, sondern die natürliche Entwicklung schützen. Erst wenn die Fichten verschwinden, die nur durch Menschenhand schon ab Höhen von 500 wachsen konnten, haben die Buche oder der Bergahorn wieder eine Chance. Die Tannen können den jungen Laubbäumen bei ihrem Wachstum sogar helfen. Unter den absterbenden Fichten herrscht ein wärmeres Klima, eine Art Gewächshauseffekt entsteht. Die Temperatur steigt um bis zu drei Grad Celsius an. Die junge Buche nutzt die Wärmekammer. Fällt der nächste Sturm die Fichte, dann schafft es der Laubbaum von selbst und eine weitere Kernzone entsteht. Der Wald, sagt Friedhart Knolle, habe eine reale Chance zu überleben, nur eben die Fichte nicht. Dafür entsteht Im Harz mit Hilfe des Borkenkäfers die Wildnis von morgen.