Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Kampf gegen Desinformation
Ein Problem, viele Lösungen

Falsch interpretiert, aus dem Kontext gerissen oder frei erfunden: Wenn falsche Informationen kursieren, leidet die politische Debatte – und das längst weltweit. Was lässt sich dagegen tun? Auf dem UN-Digitaltreffen Internet Governance Forum prallen unterschiedliche Ansätze aufeinander.

Von Johannes Kuhn | 28.11.2019
Apps von sozialen Medien auf einem Smartphone
Lügen reisen im Smartphone-Zeitalter schnell und unerkannt (Yui Mok/PA Wire/dpa)
Wenn sich ein EU-Vertreter und ein russischer Abgeordneter darüber streiten, ob Moskau bei Desinformation Täter oder Opfer ist und dann ein kubanischer Regierungsberater das Stichwort "Massenvernichtungswaffen im Irak" einwirft – dann befinden wir uns auf dem Internet Governance Forum.
Die UN-Konferenz bringt Akteure aus aller Welt zusammen, und beim Thema politische Desinformation geht es entsprechend kontrovers zu. Deren digitale Verbreitung ist weltweit ein wachsendes Problem – eines, an dem auch staatliche Akteure beteiligt sind. Das nachzuweisen, sagt die brasilianische Digitaldiplomatie-Forscherin Maciel Marília, ist gar nicht so einfach.
"Was ich weltweit aus Einrichtungen und Firmen höre: Sie können die Herkunft schon mit einiger Sicherheit zuweisen. Doch das Problem ist die politische Zuweisung: Die Möglichkeit, einem Staat die Verbreitung von Desinformationen öffentlich ankreiden zu können. Denn natürlich werden solche Staaten die Verantwortung auf Dritte abschieben und nicht selber übernehmen."
In westlichen Kreisen werden Russland, Iran und China derzeit als sehr aktiv wahrgenommen. Doch längst herrscht beim Verbreiten manipulativer Informationen oder Narrative Arbeitsteilung.
Lügen reisen schnell und unerkannt
Ein auf dem Treffen genanntes Beispiel: Ein nigerianisches Unternehmen, das mit russischer Software eine Armada philippinischer Artikel- und Kommentarschreiber verwaltet. Und dann seine Dienste staatlichen und privaten Akteuren anbietet.
Solch professionelle Eingriffe sind allerdings oft überhaupt nicht notwendig. Lügen reisen im Smartphone-Zeitalter schnell und unerkannt, und das unabhängig vom Kontinent. Kudakwashe Hove vom Misa-Medieninstitut in Simbabwe.
"Es ist einfacher geworden, eine Desinformationskampagne über Soziale Medien zu initiieren. Du schickst eine Gruppennachricht über WhatsApp und die Mitglieder leiten sie weiter und weiter, weil sie so sensationell aufgemacht ist. Und dann kommen wir zu einem Punkt, an dem die Lüge einfach nur oft genug wiederholt werden muss, damit die Leute glauben, dass sie wahr ist."
Genau dieser Trend zur Verbreitung über geschützte Smartphone-Kanäle wie WhatsApp, auch Dark Social genannt, ist inzwischen auch in Europa zu beobachten. Forschern macht es das noch schwerer als bisher, die Verbreitung von Falschinformationen zu untersuchen.
Im globalen Süden dagegen ist bereits schwierig, überhaupt regionale Ansprechpartner zum Problemthema Desinformation zu finden. Kudakwashe Hove:
"Facebook hat zum Beispiel eine sehr sichtbare Präsenz im Süden Afrikas. Aber wenn wir das mit Google vergleichen, mit ihnen hatten wir nicht viel Kontakt, obwohl sie dort auch eine Zentrale haben. Und Twitter – mit denen hatten wir gar nicht viel zu tun, sie haben glaube ich nicht einmal ein Büro auf dem afrikanischen Kontinent."
Warnung vor Regulierungsideen aus dem Westen
Die Debatte in Europa und den USA bildet also nur einen Teil der Probleme ab. Zumal zum Beispiel in den Vereinigten Staaten der US-Präsident gemeinsam mit Fox News selbst es ist, der Unwahrheiten verbreitet. Die Brasilianerin Maciel Marília kritisiert deshalb das Schwarzweiß-Denken:
"Wir führend die Debatte heute nach dem Muster 'Gute Akteure gegen schlechte Akteure'. Das ist, glaube ich, nicht hilfreich. Natürlich wissen wir, dass es ein Problem mit Falschinformationen aus russischen Netzwerken gibt. Aber historisch ist das nichts Neues – die USA haben Desinformation und politische Eingriffe zum Beispiel in Lateinamerika genutzt."
Was sich Bürger gegen Desinformation wünschen, hat die Organisation Missions Publiques in Deutschland, Japan, Brasilien, Ruanda und einem Royinga-Flüchtlingscamp an der Grenze von Myanmar untersucht. Am wichtigsten ist Bildung. Antoine Vergne von Missions Publiques:
"Das heißt, sie geben nicht die Verantwortlichkeit ab an Firmen oder Staaten und Regierungen, sondern die sagen: Wir haben eine eigene Verantwortlichkeit in der Geschichte. Zweite Antwort: Tatsächlich Werkzeuge. Die sagen: Wir brauchen Fact-Checking-Tools, wir brauchen Leute, Journalisten, weil wir alleine vielleicht nicht immer durchsehen. Und das Dritte: Regulationen, also dass der Staat eingreift oder die Firmen sich vielleicht selbst regulieren."
Aktivisten warnten auf der Konferenz warnten sogar vor den Regulierungsideen aus dem Westen: Die lieferten repressiven Regierungen einen guten Vorwand für Zensur.