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Kampf gegen Ebola
"Zeitfenster könnte sich schließen"

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert radikale Maßnahmen im Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika. Die Situation dort sei komplett außer Kontrolle geraten, sagte Lauterbach im Deutschlandfunk. Das Zeitfenster, in der sich die Epidemie noch bekämpfen lasse, drohe sich zu schließen.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Peter Kapern | 17.09.2014
    Porträt Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte
    Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (picture-alliance/ dpa / Maja Hitij)
    Wenn sich das Virus verändere, sei es nicht ausgeschlossen, dass sich die Epidemie in Zukunft auch über die Luft übertrage, sagte Lauterbach im Deutschlandfunk. Dies könne zu einer Bedrohung über Westafrika hinaus werden. "Daher muss unmittelbar und sehr aggressiv gehandelt werden", sagte der für Gesundheit zuständige Vize-Fraktionschef der SPD im Bundestag.
    Lauterbach: Bundesregierung wird schnell reagieren
    Lauterbach kündigte zusätzliche Hilfe der Bundesregierung an. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) würden darüber beraten. "Wir werden sehr schnell reagieren", so Lauterbach. Auch die SPD-Bundestagsfraktion werde sich mit der notwendigen Hilfe auseinandersetzen. Wie diese Unterstützung aussehen könne, sei aber noch unklar.
    Lauterbach begrüßte die Entscheidung des US-Präsidenten Barack Obama, im Kampf gegen Ebola Soldaten nach Westafrika zu schicken. Die USA verfügten über ausreichend medizinisches Spezialpersonal für einen derartigen Einsatz. Ob auch die Bundeswehr in Westafrika zum Einsatz kommen könnte, müsse noch geprüft werden, so der SPD-Politiker. "Wir sind uns der Notlage und der Eile bewusst."

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Von Tag zu Tag klingen die Nachrichten aus Westafrika dramatischer, ebenso wie die Hilferufe der Weltgesundheitsorganisation. Die Herausforderung bei der Bekämpfung von Ebola kenne in der modernen Zeit keine Parallele, so die WHO gestern. Die Organisation rechnet mit Zehntausenden neuer Fälle in den kommenden Wochen. Zur Bekämpfung der Epidemie sind nach ihrer Schätzung eine Milliarde Dollar notwendig. Vor diesem Hintergrund erscheint selbst das, was die US-Regierung nun als Hilfe angekündigt hat, als unzureichend, und doch hilft Washington mehr als jeder andere Staat.
    Die Bundeskanzlerin hat Post bekommen von Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf, einen geradezu herzzerreißenden Brief, in dem die Staatschefin die Kanzlerin förmlich um Hilfe anfleht. Die „Tageszeitung" hat das Schreiben gestern abgedruckt. Hören wir uns einen Auszug an:
    "Liebe Kanzlerin Merkel, wie Sie inzwischen wissen, hat der Ebola-Ausbruch die von uns bislang versuchten Maßnahmen der Eindämmung und Behandlung überwältigt. Ohne mehr direkte Hilfe von Ihrer Regierung werden wir diese Schlacht gegen Ebola verlieren. Eine WHO-Untersuchung rechnet mit Tausenden Fällen in den nächsten drei Wochen. Das Virus breitet sich exponentiell aus und wir haben nur ein begrenztes Zeitfenster, um es aufzuhalten. Wir müssen bis zu 1500 Betten in Ebola-Behandlungseinheiten in Monrovia bereitstellen. Wir müssen auch zehn zusätzliche Zentren in den betroffenen Außendistrikten schaffen. Dies übersteigt alles, was wir alleine schultern können. Daher rufe ich Sie und das deutsche Volk direkt auf: Erstens, dass die deutsche Regierung in Monrovia mindestens eine Ebola-Behandlungseinrichtung aufbaut und betreibt, und zweitens, dass die deutsche Regierung in mindestens zehn Nicht-Ebola-Krankenhäusern hilft, Grundversorgung und sekundäre Dienstleistungen wiederherzustellen. Noch einmal: Im Namen des liberianischen Volkes und in meinem eigenen möchte ich unsere aufrichtige Dankbarkeit für die bewährte Freundschaft und Partnerschaft zwischen unseren Ländern und Völkern ausdrücken."
    Kapern: Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf in einem Brief an Angela Merkel. Ähnliche Hilferufe gingen bei etlichen anderen Regierungen ein. – Bei uns am Telefon Karl Lauterbach, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
    Karl Lauterbach: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Lauterbach, kennen Sie den Brief? Was sagen Sie dazu?
    "Situation ist komplett außer Kontrolle geraten"
    Lauterbach: Ich habe den Brief in der Zeitung gelesen. In der Tat: Die Echtheit ist ja nicht bestritten. Der Brief ist richtig. Im Prinzip ist es so, dass die Situation dort komplett aus der Kontrolle geraten ist, und dass das Zeitfenster, wo man die Epidemie begrenzen kann, sich schließen könnte. Dazu kommt - das ist in dem Brief nicht erwähnt, aber was auch hier relevant wäre -, wenn das Virus sich verändert, dann könnte die Übertragbarkeit des Virus leichter sein, zum Beispiel auch durch die Luft. Das ist nicht komplett ausgeschlossen in der Zukunft. Dann könnte das eine viel größere Bedrohung werden, auch über diese Region hinaus. Daher muss unmittelbar und sehr aggressiv gehandelt werden.
    Kapern: Die USA schicken nun 3.000 militärische Angestellte, darunter Ärzte, Sanitäter, Ingenieure, Logistikexperten. Die sollen unter anderem Behandlungszentren aufbauen in den westafrikanischen Ländern. Die Bundesregierung stellt gut zehn Millionen Euro zur Verfügung. Müssen wir uns schämen?
    Lauterbach: Nein. Das ist ja nicht das letzte Wort. Minister Müller und auch Herr Gröhe werden jetzt natürlich darüber nachdenken, wie wir aufstocken, und wir werden uns auch als SPD-Bundestagsfraktion sehr intensiv mit der notwendigen Hilfe auseinandersetzen. Das heißt, die jetzt angekündigten zehn Millionen reflektieren den Stand von vor einigen Tagen. Es hat sich aber eine neue Lage ergeben. Wir sehen jetzt, dass das Ganze, sagen wir, sich so ausbreitet, dass man von einem exponentiellen Wachstum sprechen muss. Das heißt, aus eins wird zwei, aus zwei wird vier, aus vier wird acht und so weiter und so fort. Das bedeutet, die Geschwindigkeit, mit der das Virus sich hier ausbreitet, ist noch niemals in dieser Form in der Region beobachtet worden.
    Kapern: Und die Geschwindigkeit der Regierungsentscheidungen, Herr Lauterbach, scheint, damit nicht mitzuhalten.
    Lauterbach: Doch. Diese neuen Befunde, diese neuen WHO-Befunde und auch diese neue Lage, das ist ja die Bewertung von vor wenigen Stunden, wenn Sie so wollen, und wir werden unmittelbar jetzt reagieren. Wie gesagt: Wir werden als SPD-Bundestagsfraktion im geschäftsführenden Fraktionsvorstand das Thema unmittelbar jetzt besprechen, und auch Herr Gröhe und Herr Müller sind an dem Thema dran. Das heißt, was wir jetzt angeboten haben, ist nicht das letzte Wort, sondern wir werden die Hilfe deutlich aufstocken müssen. Die Anforderung ist richtig, aber wir werden hier wirklich sehr schnell reagieren.
    Kapern: Sie haben ja gehört, welche Bitten die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf da geäußert hat, welche konkreten Bitten. Wer aus Deutschland kann dies leisten und ist Deutschland bereit, diese Bitten zu erfüllen?
    "Wir können Präsident Obama sehr dankbar sein"
    Lauterbach: Wir müssen das prüfen. Zuständig für die Prüfung ist bei uns das Robert-Koch-Institut. Das Robert-Koch-Institut hat ja bereits Hilfe angeboten. Die konkreten Maßnahmen, da bitte ich um Verständnis, kann ich jetzt am Telefon nicht bewerten. Da möchte ich auch die entsprechenden Ministerien nicht ohne Absprache übergehen. Richtig ist der Ansatz der Hilfe, den die Vereinigten Staaten hier gewählt haben, und auch, was hier verlangt wird, dass man konkrete Stationen zur Behandlung aufbaut, unterstützt, finanziert, für die Leute, die dort arbeiten, auch den Lohn zur Verfügung stellt, dass man die Leute ausbildet, Experten von hier kommen. Das ist der richtige Ansatz und daher können wir auch sehr dankbar sein übrigens, dass Präsident Obama hier sehr rasch gehandelt hat.
    Kapern: Lassen Sie mich noch mal anders fragen, Herr Lauterbach. Können wie im Falle der USA auch deutsche Experten des Militärs hilfreich sein? Anders gefragt: Kann die Bundeswehr helfen?
    Lauterbach: Das kann ich nicht beurteilen. Die Vereinigten Staaten haben ja im Bereich der medizinischen Versorgung von Soldaten, Seuchenbekämpfung und dergleichen, riesige Stäbe und dort arbeiten auch die Zentren für Seuchenbekämpfung sehr eng mit militärischen Stellen zusammen. Ob wir dies logistisch und vom Personal her überhaupt leisten können, ist derzeit unklar und wird, ich sage mal, fieberhaft geprüft. Aber es ist auf der anderen Seite so: Das ist nicht die einzige Möglichkeit der Hilfe. Wir können ja zivile Experten anbieten. Wir können Leute ausbilden, wir können Löhne bezahlen, wir können diese Einrichtungen aufbauen. Das heißt, die Frage, ob deutsche Bundeswehrsoldaten, ob Bundeswehrpersonal zum Einsatz kommt, das ist hier zweitrangig. Das wird aber sicherlich auch zu prüfen sein.
    Kapern: Wir haben gestern mit dem Präsidenten der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" gesprochen, mit Tankred Stöbe, in Vorbereitung auf dieses Gespräch, und der hat uns klipp und klar gesagt, wir kommen bei der Bekämpfung von Ebola nicht mehr mit zivilen Hilfsmitteln klar, wir brauchen die Hilfslogistik des Militärs, also Zelte, Wasseraufbereitung, Isolierstationen und so weiter. Der scheint das also etwas anders zu beurteilen als Sie.
    Lauterbach: Nein, das streite ich ja nicht ab. Es kommt ja jetzt auch militärische Hilfe von den Vereinigten Staaten. Die Frage ist nur, muss unser Beitrag auch in dieser Form sein, oder können wir einen anderen Beitrag leisten, und da wäre eine Blitzprüfung am Telefon schlicht nicht notwendig. Wir arbeiten daran. Ich will dies nicht ausschließen, dass wir zum Schluss zu einer solchen Hilfe auch kommen werden. Aber wir müssen jetzt sauber schnell prüfen, was können wir anbieten, haben wir das Personal? Wie ich eben schon sagte, das spezialisierte Medizinpersonal im amerikanischen Militär ist weltweit ohnegleichen, und daher ist das sicherlich schon mal ein Segen, dass die Amerikaner dieses Spezialpersonal zur Verfügung stellen.
    Kapern: Ganz kurz noch, Herr Lauterbach. Wie viele Tage, wie viele Stunden müssen wir noch warten, bis die Bundesregierung einen substanziellen Beitrag zur Ebola-Bekämpfung definiert hat?
    "Wir arbeiten jeden Tag an dem Problem"
    Lauterbach: Die Bundesregierung hat ja schon reagiert, wird aber jetzt weiter reagieren. Wir arbeiten jeden Tag an diesem Problem.
    Kapern: Und wie lange wird es noch dauern?
    Lauterbach: In den nächsten Tagen werden wir hier reagieren. Übrigens wir waren auch ohne den Brief - - Der Brief ist richtig, wertvoll, ein Dokument der menschlichen Situation dort. Der Brief ist richtig und wir müssen auf den Brief auch reagieren. Aber auch ohne den Brief: Die Kontrolle ist weg. Die Seuche ist eine Gefahr für, kann zu einer Gefahr für mehr als die Region werden. Daher sind wir uns der Notlage und der Eile durchaus bewusst.
    Kapern: Karl Lauterbach war das, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Lauterbach, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Lauterbach: Ich danke Ihnen.
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.