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Kampf gegen IS-Terror
"Die amerikanische Bevölkerung unterstützt so was nicht"

Die Folgen des Irakkriegs holen die Amerikaner wieder ein - und jetzt hadern sie nach Ansicht des früheren US-Botschafters in Deutschland, John Kornblum, mit ihrer Strategie im Kampf gegen islamische Terroristen in der Region. Kornblum sagte im Deutschlandfunk, es fehlten klare Worte des US-Präsidenten. Zwei Dinge seien in der Debatte überraschend.

John Kornblum im Gespräch mit Bettina Klein | 26.08.2014
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, wartet auf klare Worte des US-Präsidenten zur Strategie gegen die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Nordirak. (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Zum einen hätten die Amerikaner nicht so schnell erwartet, dass sie im Irak wieder militärische Präsenz zeigen. Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) seien Luftangriffe momentan nicht aktuell, sagte Kornblum im Deutschlandfunk. Vielleicht seien sogar die berichteten Überwachungsflüge nicht aktuell. "Dahinter steckt eine sehr, sehr aufgeregte Diskussion", sagte der frühere Diplomat und verweist auf den Irakkrieg und den Abzug ausländischer Truppen vor drei Jahren. "Nachdem man versucht hatte, sich rauszuziehen, ist es jetzt für die Vereinigten Staaten sehr schwierig, sehr klar und direkt zu sagen, jetzt treten wir wieder ein."
    "Was jetzt notwendig ist, und das ist das, was jetzt bemängelt wird in Washington, sind ein paar klare Schritte und klare Worte des Präsidenten", sagte Kornblum. "Die Amerikaner erwarten immer, wenn es eine Krise gibt, dass der Präsident klar, unmissverständlich und vielleicht sogar tatkräftig was sagt, und das fehlt im Moment." US-Präsident Barack Obama habe momentan auch keinen Rückhalt in der Bevölkerung und im Kongress für ein entschiedenes militärisches Vorgehen gegen die Terrormiliz. "Dass die Amerikaner jetzt wieder Kampftruppen in den Irak schicken, halte ich für fast ausgeschlossen. Ich glaube nicht, dass die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten das ertragen würde."
    Eine weitere Überraschung dominiere derzeit die Debatte in Washington, sagte Kornblum, und zwar die Frage: "Sollte man nicht doch mit Assad irgendwie mehr zusammenarbeiten? Er ist keine moderate Kraft, aber er ist ein Gegner von dieser ISIS-Gruppe." Ein gemeinsamer Kampf gegen die Terrormiliz IS sei jedoch unrealistisch, da der syrische Präsident Baschar al-Assad für mehrere hunderttausend Tote während des andauernden Bürgerkriegs in seinem Land verantwortlich sei. "Aber dass das überhaupt erwähnt wird, das zeigt, wie unklar und wie schwierig die Lage im Moment ist."
    John Kornblum, geboren am 6. Februar 1943 in Detroit (Michigan), war zwischen 1997 und 2001 Botschafter der USA in Berlin. Seine Großeltern waren 1882 aus Ostpreußen in die USA ausgewandert, er studierte Deutsch und Politikwissenschaften. Er war in verschiedenen diplomatischen Positionen in der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen DDR aktiv. Zwischen 1970 und 1972 nahm er an den Verhandlungen zum Viermächteabkommen über Berlin teil.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Am Anfang hieß es, nur Hilfsflüge sollen mit Militär begleitet und geschützt werden, außerdem amerikanische Staatsbürger vor Ort im Irak. Dann sollte der Staudamm in Mossul zurückerobert werden. Inzwischen hat aber seit Beginn des Einsatzes das US-Militär rund 100 Angriffe im Nordirak geflogen. Und die nächste Frage lautet nun: Wird es auch Angriffe gegen Syrien beziehungsweise den Islamischen Staat dort geben? Am Telefon ist der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum. Wir erreichen ihn an diesem Morgen in den USA. Ich grüße Sie, Herr Kornblum.
    John Kornblum: Ja, guten Morgen.
    Klein: Beginnen wir mit den aktuellen Meldungen. Nach Informationen nicht genannter Regierungsmitarbeiter werden Erkundungsflüge in Syrien zunächst einmal geprüft. Was heißt das?
    Kornblum: Das heißt, das stimmt genau, was Sie gesagt haben, dass solche Flüge geprüft werden. Aber dahinter steckt natürlich eine sehr, sehr aufgeregte und auch etwas desorganisierte Diskussion über die ganze Gegend und was man da machen muss.
    "Die amerikanische Bevölkerung unterstützt so was nicht"
    Klein: Rechnen Sie denn damit, dass im Ergebnis dieser Flüge auch Luftschläge geflogen werden könnten in Syrien?
    Kornblum: Na ja, das ist natürlich genau die Frage. Ich würde sagen, das ist im Moment nicht aktuell. Vielleicht sind sogar die Flüge nicht aktuell. Aber der Hintergrund ist, dass eine wirklich sehr heiße Debatte ausgebrochen ist in Washington, und nicht nur zwischen Republikanern und Demokraten, sondern auch Hillary Clinton hat sich zu Wort gemeldet, sehr kritisch über Obama, und die Vereinigten Staaten und natürlich auch der ganze Westen stehen vor einer Reihe von sehr schwierigen Herausforderungen. Nachdem man versucht hatte, sich aus der Gegend rauszuziehen, ist es jetzt für die Vereinigten Staaten sehr schwierig, klar und direkt zu sagen, jetzt treten wir wieder ein. Die amerikanische Bevölkerung unterstützt so was nicht, der Kongress unterstützt es bestimmt auch nicht, und so ist die Lage für Obama wirklich sehr schwierig.
    Klein: Und man muss auch sagen, Obama muss einsehen, dass es so einfach doch nicht ginge, allein mit dem Rückzug aus dem Irak und der Vermeidung eines weiteren militärischen Engagements in der Region.
    Kornblum: Ja, natürlich. Das wird auch behauptet. Aber noch dazu seine Zögerung, aktiv in Syrien zu werden, auch natürlich die Probleme in Gaza. Es sind ein Haufen jetzt von Streitpunkten und in den meisten Fällen kommt der Präsident nicht sehr gut raus.
    "Eine Gesamtstrategie ist in diesem Fall kaum möglich"
    Klein: Was, wenn die USA eine Strategie für den Nahen Osten hätten? So fragte jüngst ein Politikwissenschaftler und Buchautor relativ vergnüglich und markiert damit natürlich ein ernstes Problem. Zunächst mal würde es völlig anders aussehen, als was wir heute haben. Ist das das eigentliche Problem, dass keine Strategie für die gesamte Region vorhanden ist, noch immer nicht in Washington?
    Kornblum: Nein! Ich glaube, solche Buchautoren sind immer sehr klug, wenn sie keine Verantwortung tragen. Ich würde das überhaupt nicht so sehen. Die Lage ist seit vier, fünf Jahren in Bewegung. Zuerst haben wir das alle begrüßt, dass es den Arabischen Frühling gegeben hat. Dann haben wir gesehen, dass der Arabische Frühling doch nicht so demokratisch und schön war. Wir haben alle gejubelt, als Gaddafi weg war. Jetzt gibt es auch wieder fast einen Bürgerkrieg in Libyen. Eine Gesamtstrategie ist in diesem Fall kaum möglich. John Kerry hat auch versucht, sechs Monate lang Frieden zwischen Israel und Palästina zu bekommen, und hat es auch nicht getan. Ich glaube, was notwendig ist - und das ist, was natürlich bemängelt wird jetzt in Washington -, sind ein paar klare Schritte und klare Worte vom Präsidenten. Die Amerikaner erwarten immer, wenn es eine Krise gibt, dass der Präsident klar, unmissverständlich und vielleicht sogar tatkräftig was sagt, und das fehlt im Moment. Obama ist sogar auf Urlaub im Moment, wird dafür auch sehr kritisiert. Aber vielleicht hat er im Endeffekt recht. Sehr klar und tatkräftig kann man über die Lage im Moment nicht sprechen.
    "Es gibt im Moment keine Schwarz-Weiß-Lösungen"
    Klein: Aber muss die Strategie möglicherweise lauten, dass man auch neue Verbündete, neue Allianzen schafft in der Region und nicht jedes einzelne Land gesondert betrachtet, weil ja offensichtlich die Gruppierungen von Extremisten, auch wenn sie unterschiedliche Namen haben und natürlich auch jeweils etwas unterschiedlich strukturiert sind, letzten Endes doch miteinander zusammenhängen und gesamt betrachtet werden müssen als eine Bedrohung durch Extremisten innerhalb der Region und man muss sich möglicherweise mit den moderaten Kräften verbinden. Muss da vollkommen neu gedacht werden?
    Kornblum: Nein, vollkommen neu nicht. Ich glaube, dass man diese Entwicklung schon gesehen hatte. Aber wieder: es fehlt eine Option. Zum Beispiel: Es gibt jetzt in Washington eine große Debatte, sollte man nicht doch mit Assad irgendwie mehr zusammenarbeiten. Er ist keine moderate Kraft, aber er ist ein Gegner von dieser ISIS-Gruppe. Aber dann hat der Verteidigungsminister Hagel gesagt, das ist Wahnsinn, wir können nicht mit diesem furchtbaren Diktator zusammenarbeiten, er ist auch eine Ursache des Problems. Sie sehen: Es gibt im Moment keine Schwarz-Weiß-Lösungen. Man hat natürlich Kontakte mit allerlei Kräften in der Gegend. Es ist nicht möglich, zu glauben, dass das nicht der Fall ist.
    Klein: Denken Sie denn, dass eine Zusammenarbeit mit Assad tatsächlich ausgeschlossen wird, oder was läuft da hinter den Kulissen ab nach Ihrem Eindruck?
    Kornblum: Ich weiß es nicht. Ich glaube, es wird ausgeschlossen. Da ist zu viel passiert. Assad ist, wenn Sie wollen, zuständig für mehrere Hunderttausend Tote in seinem eigenen Land. Ich glaube nicht, dass man politisch dazu kommen würde, mit Assad zusammenzuarbeiten. Aber dass das überhaupt erwähnt wird das zeigt, wie unklar und wie schwierig die Lage ist im Moment.
    "Ernten die schlechte Politik der Bush-Jahre"
    Klein: Luftschläge in Syrien werden nun doch erwogen, nachdem alle Welt das ja vor genau einem Jahr bereits erwartet hat, allerdings damals zur Unterstützung der syrischen Rebellen und um den Machthaber Assad loszuwerden. Muss man im Nachhinein sagen, dass es auf jeden Fall eine falsche Entscheidung war, vor einem Jahr oder vor zwei Jahren, die syrischen Rebellen nicht zu unterstützen, mal abgesehen von Luftschlägen?
    Kornblum: Ja, das kann sein. Ich meine, wenn Sie mich persönlich fragen, würde ich ja sagen. Aber Sie dürfen nicht vergessen: Das englische Parlament hat das sehr überraschenderweise abgelehnt. Es hat in Europa überhaupt keine Unterstützung dafür gegeben. Und dem Präsidenten wurde zu verstehen gegeben, wenn er eine Abstimmung in unserem eigenen Kongress durchführen würde, dann würde er sie wahrscheinlich verlieren. Das heißt, die politische Opposition war sehr stark damals, und wir ernten jetzt natürlich die schlechte Politik, wie ich meine, der Bush-Jahre, wo man sehr stark militärisch engagiert war und sehr magere Ergebnisse erreicht hatte. Und jetzt, wo es wirklich schwierig ist und wo ein militärisches Engagement vielleicht besser wäre, ist die politische Unterstützung nicht da. Aber nicht nur in den Vereinigten Staaten, auch in Europa zum Beispiel.
    Klein: Dennoch wird Obama die USA und möglicherweise darüber hinaus Menschen in der Welt darauf vorbereiten, dass sich das Land doch in einen neuen Krieg mit dem Irak - von Syrien müssen wir noch gar nicht sprechen - begeben wird.
    Kornblum: Na ja, ich glaube, ich persönlich meine, man wird die Luftanschläge erweitern. Man will wahrscheinlich die sogenannten Berater schicken, die immer eine Rolle hier spielen. Dass die Amerikaner jetzt wieder Kampftruppen nach Irak schicken, halte ich für fast ausgeschlossen. Ich glaube nicht, dass die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten das ertragen würde.
    "Sehr viel hängt davon ab, wie die Lage sich entwickelt"
    Klein: Aber "mission creep", die schleichende Ausweitung von Militäreinsätzen, wie sie befürchtet wird, wäre das der Bevölkerung zu vermitteln?
    Kornblum: Das kann ich nicht sagen. Es kommt darauf an. Ich meine, im Moment zum Beispiel - leider ist das so in der Politik -, Tragödien spielen eine Rolle. Die Enthauptung des amerikanischen Journalisten Foley diese Woche hat natürlich zu einer Welle von Verärgerung und Opposition gegen diese ISIS-Leute in Irak geführt und hat, leider muss man das sagen, die Arbeit des Präsidenten etwas einfacher gemacht, weil es so eine negative Welle gab. Aber ob das anhält, kann man nicht wissen. Sehr viel hängt davon ab, wie die Lage sich entwickelt in Irak, in Syrien, aber auch natürlich in Gaza. Es sind eigentlich nur Krisenherde da, und deshalb ist die berühmte Gesamtstrategie hier kaum zu vermitteln.
    Klein: Schauen wir noch auf das, was in Deutschland im Augenblick am stärksten diskutiert wird, und das ist die Frage der Bewaffnung der Kurden. Ein Argument dagegen wird gebracht, dass die Bewaffnung zumindest indirekt dazu führen könnte, dass Waffen auch in die Hände der PKK, also der türkischen Kurden-Organisation gelangen könnten. Andere einzelne Stimmen hier sagen, man soll die PKK direkt bewaffnen. Aus Ihrer Perspektive, was davon ist richtig und sollte man vermeiden, dass Waffen in die Hände der PKK gelangen, die ja auch in den USA, genauso wie in Europa, als Terrororganisation eingestuft wird?
    Kornblum: Ja, hier stoßen wir wieder in eine sehr lang anhaltende Wunde. Wir haben lange, lange Jahre, ich persönlich auch in meiner aktiven Zeit, mit unseren türkischen Freunden gearbeitet, erstens die PKK ruhiger zu machen sozusagen, auf der anderen Seite eine offenere Haltung der Türkei zur Kurdenfrage zu machen. Allmählich ist das auch gelungen, uns auch gelungen. Aber jetzt einen großen militärischen Einsatz mit der PKK, was bestimmt politisch sehr positiv sein würde, hat auch schwierige Konsequenzen gehabt, auch mit einer türkischen Regierung, die im Moment nicht gerade kooperativ ist.
    Klein: Die Einschätzung von John Kornblum, dem ehemaligen US-Botschafter in Deutschland, zur aktuellen Entwicklung im Irak und in Syrien. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Kornblum.
    Kornblum: Ja, ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.