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Kampf gegen IS
Wasser für kurdische Flüchtlinge

Auf der Flucht vor der Terrormiliz Islamischer Staat sind Hunderte von Menschen im Nordirak untergekommen. Das Leben in den Flüchtlingscamps ist hart. Behörden, Hilfsorganisationen, aber auch Privatpersonen wie der Deutsche Gunter Völker versuchen, die Menschen mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Von Ulrich Leidholdt | 14.10.2014
    Zahlreiche Menschen stehen um zwei große Töpfe, aus denen Essen ausgegeben wird.
    Jesidische Flüchtlinge aus dem Nordirak werden in der kurdischen Stadt Dohuk versorgt. (AFP / Safin Hamed)
    Aufregung in der Schule am Rande von Dohuk. Hier im Norden Irakisch-Kurdistans sind 550 Flüchtlinge untergekommen, einhundert Familien, Jesiden. Vertrieben aus ihrer Heimat in Sindjar. Geflüchtet vor den Mördern des sogenannten Islamischen Staats.
    Unzählige Kinder wuseln durch Gänge und Klassenzimmer der umfunktionierten Schule. Jetzt helfen sie, einen Kleinlaster voll von Paletten mit Trinkwasser zu entladen. Gunter Völker ist vorgefahren. Ein Koloss von einem Mann, zu Hause in Thüringen, seit neun Jahren in Erbil, Hauptstadt für fünf Millionen Kurden in der autonomen irakischen Nordregion. Der gelernte Koch und Gastwirt will dem Drama vor seiner Haustür nicht tatenlos zusehen. Eineinhalb Millionen Menschen, darunter Minderheiten wie Jesiden, Christen oder Shabak, auch Kurden aus Syrien, haben sich hier in Sicherheit bringen können.
    Gunter Völker: "Der Plan ist, dass wir in Deutschland, Holland, Österreich und auch vor Ort Spendengelder requirieren, die wir hier umsetzen in Flaschenwasser, um an den Stellen, wo es gebraucht wird, zu helfen. Auf Hilferuf beziehungsweise mit Einheimischen wie unserem Wasserhändler in Dohuk, sodass nicht ein Camp tausend Flaschen hat und ein anderes gar keine."
    18 Liter Trinkwasser pro Woche
    Seit August hat er eine halbe Million Flaschen verteilt - für je sechs Cent. Familien erhalten so 18 Liter sauberes Trinkwasser pro Woche. Völker fährt regelmäßig von Erbil nach Dohuk, je Richtung gut zwei Stunden. Flüchtlinge wie Dilschar erwarten ihn sehnsüchtig.
    "Das Leben ist hart. Ohne Gunters Wasser hätten wir kaum was. Manchmal gibt's ein Stück Brot pro Nase, was ist das schon? Wir haben unseren Schlafplatz, anderen geht's noch schlechter, klar. Aber am liebsten wollen wir so schnell wie möglich zurück."
    Nicht nur in 500 Schulen, auch am Straßenrand unter Bäumen, Planen gegen die auch im Oktober noch brennende Sonne gespannt, unter Brücken und in Rohbauten campieren Flüchtlinge. Daneben wachsen Lager der kurdischen Regionalregierung und von Hilfsorganisationen. Sie kommen mit dem Ansturm so schnell nicht klar, erlebt Gunter Völker. Er handelte.
    "Angefangen hat es mit dieser Eiswasser-Challenge, wo ich gedacht habe: In der ganzen Welt kippen sich Leute Eiswasser über den Kopf und hier unten verdursten die Menschen. Als ich nominiert wurde zu der Challenge, hab ich den ersten LKW Wasser gekauft, hab den verteilt und das Video ins Netz gestellt. Und der Zuspruch war so groß, dass wir daraus diese Aktion gestartet haben."
    ...die inzwischen 35.000 Euro erbrachte. Fünf Euro per SMS garantieren schon 80 Flaschen für Flüchtlinge wie Suleiman.
    "Das ist Hilfe zum Überleben. Nachbarn und Privatleute unterstützen uns mit Matratzen, Decken und so weiter. Von internationaler Hilfe haben wir nichts gesehen."
    Suleimans Familie kam zu Fuß nach Dohuk. Für seine alte Mutter musste sie Lösegeld an die IS-Terroristen zahlen. Wie Suleiman sind viele dankbar, wenn Gunters hochbeladener LKW vorfährt. Scharen von Kindern umringen den Thüringer überall.
    Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein
    Gunter Völker: "Mein Gesicht ist bekannt, ich werde begrüßt, man freut sich und hofft, dass ich vielleicht ein bisschen mehr mit habe als nur Wasser. Man spürt Dankbarkeit. Am Anfang waren sie sehr scheu - da kommt schon wieder einer, der nur kurz da ist und uns dann vergisst. Man kommt mit Sorgen, nimmt mich mit ins Zelt, zeigt Familie. Sie kriegen gesagt, woher das Geld kommt und warum wir das machen. Sie wissen, dass wir keine Hilfsorganisation sind, sondern Privatleute, die was machen wollen ohne Bürokratie."
    Wasser für Flüchtlinge - mehr als nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber natürlich nicht ausreichend für so viele Gestrandete.
    Gunter Völker: "Es sind sehr viele Babys. Was fehlt, ist medizinische Betreuung. Es gibt in Camps medizinische Stützpunkte, aber keine Doktoren. Ich fürchte, dass im Winter und bei Regen gerade in Dohuk, wo es richtig kalt wird, die eine oder andere Decke fehlt. Wintergüter wurden aber mit Bedacht zurückgehalten für die Zeit, wo sie gebraucht werden. Es wäre dumm gewesen, bei 45 Grad Decken zu verteilen. Die wären vielleicht aus Not verkauft worden. Jetzt werden sie genommen, wofür sie gebraucht werden."
    Kurdische Behörden, Hilfsorganisationen und Privatleute wie Gunter Völker tun, was sie können. Doch das reicht erkennbar nicht. Die Menschen seien bereit zu helfen weiß Nihad Qocha, Bürgermeister der Provinzhauptstadt Erbil. Er selbst fand als Flüchtling vor Saddam Hussein lange in Deutschland Zuflucht.
    "Man darf nicht Flüchtlinge und Bevölkerung allein lassen. Es ist Aufgabe der internationalen Gremien, Hilfe zu leisten. Ich appelliere, dass humanitäre Hilfe schneller und effektiver kommt. Wir stehen kurz vor dem Winter. Wir wollen hier keine Katastrophe erleben."
    Gunter Völker hilft, das durch seine Aktion "Wasser für Flüchtlinge" zu verhindern.
    "Ich lebe nicht nur hier, ich bin wirklich aufgenommen worden. Man hat mich unterstützt und es ist für mich in der momentanen Situation sehr wichtig, etwas zurückzugeben. Das betrifft nicht nur mich, sondern alle in der Welt. Denn heute ist es Kurdistan, morgen Kobane, übermorgen ist es Syrien und irgendwann kann das auch nach Europa schwappen. Wir müssen alle zusammenhalten, damit diese Barbaren zurückgeschlagen werden."