Freitag, 19. April 2024

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Kampf gegen Lärm in Berlin
Auf der Suche nach stillen Orten in der Großstadt

Lärm in der Großstadt macht krank. Der rot-rot-grüne Senat in Berlin hat deshalb einen Lärmaktionsplan verabschiedet: Berlin soll leiser werden - mit Hilfe der Bewohner. Sie wurden aufgefordert, Lärmorte zu melden - aber auch Rückzugs- und Ruheorte. Organisierte Klangspaziergänge sollen dabei helfen.

Von Claudia van Laak | 12.09.2018
    Der Brunnen am Nettelbeckplatz in Berlin-Wedding
    Ein ruhiger Ort im Berliner Stadtteil Wedding: der Brunnen am Nettelbeckplatz (imago / Schöning)
    "Kommen Sie her bitte, machen Sie einen Kreis. Schließen Sie die Augen bitte. Suchen Sie ein Geräusch, das Sie mögen und lauschen Sie."
    Klingt ein wenig esoterisch, was die italienische Architektin und Klangforscherin Antonella Radicchi da sagt. Etwa 15 Personen bilden einen Kreis, stehen auf einem ruhigen Platz im Berliner Stadtteil Wedding. Es sind Anwohner, die bei diesem Spaziergang erlauschen sollen, wo es in ihrem Kiez ruhige Orte gibt, die den Großstadtstress vergessen lassen.
    "Wir machen einen Soundwalk, erzählt die Klangforscherin, das ist eine Exkursion, deren wichtigstes Ziel ist es, der Umwelt zuzuhören, und die Qualität der Geräusche auf den Plätzen hier zu bewerten, wir wollen die ruhigen Plätze der Nachbarschaft entdecken, die bereits existierenden und die vielleicht kommenden."
    Geräuschatlas für Berlin
    Antonella Radicchi von der Technischen Universität Berlin hat dafür eine App entwickelt. Der Name: Hush City – stille Stadt.
    "Das ist eine App, erzählt sie, die es ermöglicht, ruhige Orte in der Stadt zu bewerten, in dem man verschiedene Daten sammelt. Man kann das Geräusch des Platzes aufnehmen, die App rechnet den Lärmpegel aus, dann kann man ein Foto machen und einen Fragebogen beantworten."
    Das alles geht auch ohne App, ganz analog, und deshalb laufen die Klangspaziergänger – eine rote Mappe mit Fragebögen unter dem Arm – durch den Weddinger Pankekiez, unter ihnen auch Irene Staruzelski.
    "Also hier, das finde ich einen schönen ruhigen Platz, ich höre das Geräusch von einem leichten Wind, von Bäumen, das kann ich schpn genießen, leider, der Platz, wo wir wohnen, kann ich das nicht. Wir haben eine 2-Zimmer-Wohnung, und beide Zimmer gehen auf eine laute Straße."
    Im Gänsemarsch und schweigend, den Anweisungen von Klangforscherin Antonella Radicchi folgend spazieren sie durch ihre Nachbarschaft - tauchen ein in den Lärm des Kinderspielplatzes an der Adolfstraße, kommen vorbei an einer Baustelle in der Gerichtsstraße und am Brunnen am Nettelbeckplatz.
    "So bitte hören Sie auf die Umwelt, für ein, zwei Minuten, und dann werde ich Ihnen sagen, wenn Sie den Fragebogen beantworten können. Hören Sie auf die Umwelt bitte."
    Fragebögen für den Lärmaktionsplan
    Sind die Umgebungsgeräusche lebhaft, langweilig, vertraut, freundlich, erholsam oder vielleicht nervig? Welche Geräusche tragen für Sie hier zu einem Gefühl der Ruhe bei? Welche stören? Inwieweit regen die Geräusche an diesem Ort zu Gesprächen an? All diese Fragen sollen die Klangspaziergänger beantworten. Jeder kann die App "Hush City" - Stille Stadt - der TU Berlin mit Daten bestücken – im besten Fall entsteht so eine Karte, die zu ruhigen, erholsamen Orten mitten im Großstadtlärm führt, erklärt Dorothea Salz von der Senatsverwaltung für Umwelt.
    "Wir werden das auswerten und dokumentieren und wir werden auch schauen, wie können wir solche Kriterien in die Stadtplanung mit reinbringen. Natürlich ist es für uns als Menschen insgesamt so, dass sich diese Erfahrung, dass ich Orte der Ruhe in meiner Stadt finde, und denen mich auch bewusst zuwende. Das kann helfen, auch Stress zu mindern, ganz klar."
    Doch je länger der Soundwalk dauert, umso unwilliger werden einige Anwohner. Sie sind hergekommen, weil sie sich in ihrem Zuhause massiv vom Verkehrslärm gestört und gestresst fühlen. Es wird immer schlimmer, klagt zum Beispiel Peter Müller, er könne kaum noch durchschlafen, es müsse sofort etwas passieren.
    Lärmgeplagte Berliner
    "Ich hab mich ja an die Verkehrslenkung gewandt mit einem Konzept, und die haben mich jetzt erstmal ein Jahr vertröstet, in dieser Zeit wollen sie eine Studie erarbeiten. Ich bin der Meinung, man könnte sofort Maßnahmen ergreifen, ohne Studie. Um da überhaupt mal einzusteigen."
    Anwohnerin Irene Staruzelski hatte gehofft, der Soundwalk würde an ihrem Haus vorbeiführen. Dann hätte sie den Verantwortlichen aus Bezirk und Land demonstrieren können, wie extrem die Lärmbelastung in ihrer Straße ist.
    "Ich dachte, es ist eine Aufgabe, störende Orte auszuwählen, um dann zu versuchen, diese störenden Orte zu reduzieren. Schöne Orte, die kennen die Leute sowieso. Aber diese problematischen Orte. Damit hätten sie Menschen helfen können, die hier in diesem Stadtteil wohnen, die Probleme haben. Denen dann wirklich zu helfen."
    Lärmgestresste Anwohner, die Hilfe einfordern, treffen auf Wissenschaftler, die die Kritik an ihrem Konzept nicht verstehen – das Konzept des Soundwalks – gestern im Wedding ging es nur bedingt auf.