Freitag, 29. März 2024

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Kampf gegen Menschenhandel
"Menschen landen in Sklaverei ähnlichen Situationen"

Razzien und Verfolgung der Täter seien nur ein Teil, um Menschenhandel und Ausbeutung auf dem Bau oder in Schlachthöfen erfolgreich zu bekämpfen, sagt Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Im Dlf mahnte sie an, auch die Rechte der Betroffenen zu stärken.

Petra Follmar-Otto im Gespräch mit Sarah Zerback | 22.08.2019
Ein Bauarbeiter schaufelt Kies am 01.07.2015 in Berlin.
In einer großen Razzia sind Polizei und Zoll gegen Menschenhandel im Baugewerbe vorgegangen. Aber nicht nur dort gibt es das Problem, sagt Petra Follmar-Otto. (picture alliance / dpa/Florian Gaertner)
Sarah Zerback: Es war eine Riesenrazzia gestern von Polizei und Zoll in gleich drei Bundesländern, um gegen Menschenhandel vorzugehen, gegen Ausbeutung im Baugewerbe. 1.900 Beamte waren da im Einsatz in Berlin, in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Menschenhandel mitten in Deutschland im Jahr 2019 – darüber kann ich jetzt sprechen mit Petra Follmar-Otto. Sie leitet die Abteilung Menschenrechtspolitik für Deutschland und Europa am Deutschen Institut für Menschenrechte. Guten Morgen, Frau Follmar-Otto!
Petra Follmar-Otto: Guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: In diesem Fall Menschenhandel in der Baubranche, um die Arbeiter auszubeuten. Wie verbreitet ist das?
Follmar-Otto: Sie hatten das ja vorhin schon bei der Anmoderation gesagt. Wir wissen darüber leider viel zu wenig. Wir haben die Zahlen aus dem Hellfeld, das heißt die Zahlen, die polizeibekannt werden, wo Verfahren eingeleitet werden. Die schwanken für alle Branchen von Jahr zu Jahr grob zwischen 600 und 1.000 Betroffenen, die polizeibekannt werden. Aber das Dunkelfeld ist viel höher und wir haben tatsächlich eine viel zu schlechte Datenlage, um wirklich etwas darüber auszusagen, wie viele Menschen betroffen sind.
Menschen aus "sehr ausweglosen sozialen Situationen"
Zerback: Und es betrifft ja nicht nur die Baubranche. Wie sieht denn Menschenhandel in Deutschland im Jahr 2019 aus? Wer ist da betroffen?
Follmar-Otto: Wichtig ist zu wissen, dass ganz unterschiedliche Branchen betroffen sind, vom Bau über die fleischverarbeitende Industrie, Schlachthöfe, die Landwirtschaft, Gastronomie, häusliche Pflege oder Pflege insgesamt als einen Bereich, und natürlich der Bereich von Prostitution und Sexindustrie. Es findet in ganz unterschiedlichen Branchen statt. Aber in allen Branchen sehen wir ganz ähnliche Mechanismen oder ganz ähnliche Faktoren, die Menschen verletzlich machen für diese Form von Ausbeutung.
Ein wesentlicher Faktor ist natürlich Armut. Die Menschen kommen aus Ländern, wo sie in sehr ausweglosen sozialen Situationen leben, und sie suchen nach der Möglichkeit, in Deutschland oder in Europa zu arbeiten, um Geld zu verdienen für sich und ihre Familien. Und sie geraten dann in eine Situation des Drucks – etwa dadurch, dass sie sich verschulden müssen für den Weg nach Deutschland, dass ihnen die Dokumente weggenommen werden, dass sie Drohungen ausgesetzt werden, dass sie in extremen Fällen auch körperliche Gewalt erleben. Und das alles führt dazu, dass sie die Kontrolle über ihren Körper, über den Einsatz ihrer Arbeitskraft verlieren.
Das hat dann ein sehr breites Spektrum. Das beginnt bei Fällen, wo Menschen einfach ihr Lohn vorenthalten wird oder sie nur einen Bruchteil des Lohns erhalten, sie unzählige Überstunden machen müssen, in gefährlichen Situationen arbeiten, und das geht im Extremfall in den Fällen, in denen wir von Menschenhandel sprechen, wirklich bis dahin, dass Menschen in Sklaverei ähnlichen Situationen landen und nicht mehr selber über ihren Körper entscheiden können, sich nicht mehr frei bewegen können.
"Rechte der Betroffenen stärken"
Zerback: Nun kann man sich ja vorstellen, wie schwer das für Betroffene in einer solchen Lage ist, sich da selbst Hilfe zu suchen. Sind solche Razzien, wie wir sie gestern erlebt haben, die beste oder vielleicht sogar die einzige Methode?
Follmar-Otto: Sie sind eine wichtige, aber nicht die einzige Methode. Menschenhandel und Ausbeutung funktionieren deshalb so gut, weil sie nach wie vor in Deutschland ein risikoloses Geschäft sind für die Ausbeuter. Das heißt zum einen, dass man natürlich ansetzen muss bei den Tätern, bei Kontrollen und bei wirksamer Strafverfolgung. Aber die Faktoren, die ich eben geschildert haben, die das auslösen, dass Menschen verletzlich sind für Ausbeutung, heißen auch, man muss die Rechte der Betroffenen stärken.
Das heißt zum einen, man muss sicherstellen, dass sie Zugang haben zu Informationen und Beratung. Wenn die Finanzkontrolle Schwarzarbeit bei solchen Kontrollen auf Menschen stößt, muss sie nicht nur gucken, findet hier Schwarzarbeit statt, sondern sind diese Personen ausgebeutet und wie kann ich sie vermitteln an Beratungsstellen, die sie dann auch bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen können. Weil ein ganz wesentlicher Faktor, warum sich mit Ausbeutung auch so viel Geld verdienen lässt, ist, dass die Betroffenen kaum eine Chance haben, ihre tatsächlichen Ansprüche gegen die Täter, Ansprüche auf Lohn und Entschädigung durchzusetzen.
"Durchsetzung von Lohnansprüchen wahnsinnig schwierig"
Zerback: Die Entschädigungszahlungen werden nur für Menschen gezahlt, die zum Beispiel einen Aufenthaltstitel haben.
Follmar-Otto: Ja, das betrifft den Bereich der staatlichen Opferentschädigung. Da hat es Verbesserungen gegeben. Aber allein die Durchsetzung von Lohnansprüchen gegenüber den Arbeitgebern ist wahnsinnig schwierig, weil diese Menschen einmal zu wenig wissen, wie müssen sie vorgehen, um beispielsweise ein gerichtliches Verfahren anzustreben. Dann ist es extrem schwierig für sie nachzuweisen, wieviel sie gearbeitet haben. Häufig arbeiten die Arbeitgeber auch mit gefälschten Dokumenten. Überstunden werden beispielsweise nicht dokumentiert, oder es gibt unterschiedliche Arbeitsverträge, die die Betroffenen unterschrieben haben in ihrer Heimatsprache und in Deutsch, und da steht auf einmal was ganz Unterschiedliches drin. Die Beweislage für die Betroffenen vor Gericht ist ungeheuer schwierig.
Es gibt ein großes Machtgefälle, und da müsste man auch mit rechtlichen Maßnahmen eingreifen, um gegen dieses Machtgefälle vorzugehen. Beispielsweise nachdenken über die Verschiebung der Beweislast, dass man vermutet, dass die Betroffenen eine bestimmte Zeit lang in diesem Arbeitsverhältnis gestanden haben und das der Arbeitgeber dann widerlegen muss. Das würde die Betroffenen beispielsweise stärken. Oder die Stärkung der Rechte von Verbänden, Betroffene in Verfahren zu unterstützen.
"Wir haben da einen Flickenteppich von Lösungen"
Zerback: Jetzt haben Deutschland und die EU ja nicht nichts getan, sondern sie haben bereits Maßnahmen erlassen. 2011 zum Beispiel die EU-Richtlinie zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels. Daraufhin hat die Bundesregierung dann ein paar Jahre später 2016 die Richtlinie umgesetzt mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels. Da gibt es aber noch blinde Flecken, höre ich jetzt bei Ihnen heraus?
Follmar-Otto: Ja. Die EU-Richtlinie und auch die deutsche Gesetzgebung fokussiert sich sehr stark auf das Strafrecht, und das ist nur eine Schiene. Gleichzeitig geht es um diese Stärkung der Opferrechte. Auch da gibt es Einzelregelungen, aber die bleiben sehr punktuell. Die betreffen dann zum Beispiel nicht alle betroffenen Gruppen. Wir haben Änderungen im Bereich fleischverarbeitende Industrie, um da Betroffenenrechte zu verbessern. Wir haben diese Vermutungsregelung, die ich angesprochen habe. Beispielsweise aber auch in Umsetzung einer EU-Richtlinie nur für irregulär aufhältige Migranten, nicht alle. Wir haben da einen Flickenteppich von Lösungen und wir bräuchten wirklich mal ein durchdachtes Gesamtkonzept zur Stärkung der Opferrechte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.