Donnerstag, 18. April 2024

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Kampf gegen Steuerbetrug
"Kassenbon-Pflicht schießt weit über das Ziel hinaus"

Ab 1. Januar gilt Kassenbon-Pflicht. Sie soll Steuerbetrug erschweren. Das Kassengesetz schreibe aber gleichzeitig eine neue Software vor, die Kassen manipulationssicher mache, sagte Stefan Genth vom Handelsverband Deutschland (HDE) im Dlf. Dann sei ein Kassenbon eigentlich obsolet.

Stefan Genth im Gespräch mit Stefan Heinlein | 30.12.2019
Verschiedene Quittungen liegen auf einem Tisch
Kassenbons etwa auch beim Bäcker sollen zur Pflicht werden (dpa/Jörg Carstensen)
Steuerbetrug ist zu vermeiden, dahinter stehe der HDE vollständig, so Genth. Im Handel sehe man aber keine Anwendungsfälle für Umsatzsteuerbetrug. Die im Raum stehenden zehn Milliarden Euro an fehlenden Steuereinnahmen seien nicht realistisch. Das Gesetz schreibe aber auch eine neue Software vor, die dafür sorge, dass nicht mehr betrogen werden könne. Der Kassenbon sei somit obsolet.
Ein Rechnung des Bürgerkonsums im sächsischen Falkenau
Bonpflicht beim Bäcker: "Steuern zahlen kann nicht nur etwas für Dumme sein"
Barkassen seien ein steuersensibler Bereich, sagte Thomas Eigenthaler von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft im Dlf zur Debatte über die Bonpflicht, etwa beim Bäcker. Steuerbetrug sei im Bargeldbereich weit verbreitet – und koste den Staat zehn Milliarden Euro pro Jahr. Damit müsse endlich Schluss sein.
Das Thermopapier für den Bon könne zudem nicht recycelt werden, es müsse in den Restmüll gegeben werden. "Es geht um zwei Millionen Kilometer zusätzliche Kassenbons", so Genth. Der Kassenbon werde außerdem 15 Zentimeter länger - ohne dass der Kunde davon irgendeinen Nutzen habe. Der Bon werde so für den Kunden und für die Finanzverwaltung keinen Mehrnutzen bringen.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Stefan Heinlein: In den meisten europäischen Ländern ist es bereits eine Selbstverständlichkeit: Wer in einem Geschäft einkauft, bekommt immer einen Kassenbon. In Deutschland dagegen wird diese Pflicht jetzt erst zum Jahreswechsel eingeführt. Der Staat hofft damit auf ein Ende des Umsatzsteuerbetruges in Milliardenhöhe. Doch der Einzelhandel ist skeptisch. Dazu gleich Fragen an Stefan Genth vom Handelsverband Deutschland.
Egal, ob im Kiosk, beim Bäcker um die Ecke oder in der kleinen Metzgerei des Vertrauens, wer in diesen Tagen ein Gespräch über die Ladentheke hinweg führt, kommt an diesem Thema nicht vorbei: Am 1. Januar tritt ein Gesetz in Kraft, das die Einzelhändler in Wallung bringt – die Kassenbonpflicht. Jeder Händler, jeder Restaurantbesitzer muss künftig bei jedem Geschäft, egal, ob nur ein Brötchen oder ein Kaffee, einen Kassenbon drucken und dem Kunden aushändigen, egal, ob er will oder nicht. Damit will die Bundesregierung Steuersündern das Handwerk legen. Es geht um geschätzt zehn Milliarden Euro im Jahr. Drei Jahre hatte der Handel Zeit, sich auf die Kassenbonpflicht vorzubereiten, doch erst jetzt kommt die Debatte so richtig in Schwung. Aus Berlin Birte Sönnichsen.
Heinlein: Guten Morgen, Herr Genth!
Stefan Genth: Ja, guten Morgen!
Heinlein: Herr Genth, Sie sind Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland (HDE). Vor drei Jahren hat der Bundestag das Kassengesetz beschlossen. Warum gehen Sie Barrikaden?
Genth: Na ja, wir sind vor drei Jahren schon auf die Barrikaden gegangen, haben insbesondere in der Debatte im Deutschen Bundestag, im Wirtschaftsausschuss deutlich gemacht, dass diese Kassenbonpflicht, aber auch insgesamt die Maßnahme, die als solche ergriffen wurde, weit über das Ziel hinausschießt. Man muss auch sehen, dass der ursprüngliche Entwurf des Finanzministers anders aussah als das, was nachher im Parlament beschlossen wurde. Hier hat sich die SPD insbesondere für eine Verschärfung sehr stark gemacht, sie wollten die Kassen absolut manipulationssicher machen, es muss eine neue Software auf jede Kasse aufgespielt werden, das führt zu erheblichen neuen Kosten natürlich. Und diese Kassenbonpflicht wurde zusätzlich eingeführt. Ursprünglich sah der Gesetzesentwurf vor, dass der Kassenbon nur auf Verlangen ausgedruckt und ausgegeben werden soll. Es ist natürlich völlig klar, wenn man größere Beträge ausgibt, quasi den neuen Fernseher kauft, dann wird man den Kassenbon definitiv mitnehmen, um auch nachzuweisen, wann man das Gerät gekauft hat. Wenn man ein Brötchen beim Bäcker kauft oder die Zahnpastatube im Drogeriemarkt oder im Lebensmittelgeschäft, dann braucht man sicherlich keinen Kassenbon.
"Der Kassenbon als solcher ist obsolet"
Heinlein: Aber warum ist aus Ihrer Sicht das neue Kassengesetz kein richtiger Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit? In den meisten anderen europäischen Ländern ist das ja bereits eine Selbstverständlichkeit und soll eben Steuerbetrug vermeiden, egal, ob es um ein Brötchen geht oder eben, wie Sie sagen, um den großen Fernseher.
Genth: Also man muss deutlich sagen natürlich, dass Steuerbetrug zu vermeiden ist. Hinter diesem Ziel stehen wir als HDE und der gesamte Handel natürlich vollständig. Das wäre ja eine absolute Wettbewerbsverzerrung, wenn einzelne Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich wirklich den Umsatz verkürzen und die Steuer betrügen. Das geht natürlich nicht. Insofern stehen wir hinter dem Ziel, das ist völlig klar. Wir haben aber die Situation, dass dieses Kassengesetz einerseits eine neue Software vorschreibt für jede Kasse. Wenn diese Software aufgespielt wird und aufgespielt ist, dann kann im Grunde genommen überhaupt nicht mehr betrogen werden und der Kassenbon als solcher ist eigentlich obsolet. Er führt nicht zu einer neuen, zusätzlichen Sicherheit oder zu einer neuen Unterstützung dieser Maßnahme, sondern führt eigentlich in die Leere. Und man muss auch sagen, in anderen europäischen Ländern schafft man so etwas gerade wieder ab. Also Beispiel Frankreich, dort ist vor zwei Jahren ein Kassengesetz eingeführt worden, und jetzt wird die Kassenbonpflicht in Frankreich wieder abgeschafft, gerade auch aus Umweltgesichtspunkten, weil man natürlich Mengen von Papier produziert. Wir haben ausgerechnet, dass es um zwei Millionen Kilometer zusätzliche Kassenbons geht, weil natürlich auch der Kassenbon wesentlich länger wird. Also nicht nur, dass die Pflicht besteht, für jeden Kauf einen Kassenbon auszustellen, sondern auf diesem Kassenbon müssen noch zusätzliche Angaben gemacht werden. Der Bon wird ungefähr 15 Zentimeter länger, als er heute ist, ohne dass der Kunde, der Verbraucher dadurch irgendeinen Nutzen hätte.
Thermopapier kann "nicht recycelt werden"
Heinlein: Herr Genth, aber im Vergleich zu der Plastikmenge, die im Einzelhandel täglich durch eingepacktes Gemüse oder andere Dinge verursacht wird, ist der Kassenbon doch eher zu vernachlässigen.
Genth: Das mag sein, wobei auch im Bereich Plastik der Handel momentan eine Menge tut, um eben diesen Plastikmüll zu reduzieren, also insofern auch andere Materialien einzusetzen, auf Plastik auch zu verzichten. Aber man muss natürlich deutlich sehen, dass das Thermopapier, was bei Kassenbons erforderlich ist, eben nicht recycelt werden kann, es muss also im Restmüll landen, verbrannt werden. Es gibt immer wieder auch die Diskussion darum, welche Farben, welche Druckerpatronen verwendet werden für diese Kassenbons, die ausgedruckt werden. Auch das ist unter Umweltgesichtspunkten nicht gerade einfach. Und wir müssen ja sehen, dass das eine zum anderen kommt und insgesamt das Ziel natürlich gesehen wird. Aber noch mal: Dieser Kassenbon selber führt nicht zu mehr Sicherheit und führt auch nicht dazu, dass der Umsatzsteuerbetrug verhindert werden kann, sondern die Kassen werden manipulationssicher durch die neue Software, und den Bon braucht man dann eigentlich nicht mehr.
Heinlein: Reden wir über Steuerbetrug im Einzelhandel, Herr Genth. Wie viele schwarze Schafe gibt es denn bei Ihnen in Ihrer Branche an der Ladenkasse, die Steuer hinterziehen? Gibt es da bestimmte Branchen bei Ihnen, die besonders anfällig sind bisher?
Genth: Ja, das ist das doppelte Paradoxon, was wir haben im Grunde genommen, Kassenbonpflicht und eben diese Manipulationssoftware, die aufgespielt werden muss: Schon heute sind eigentlich Kassen im Einzelhandel manipulationssicher. Man kann nicht an der Supermarktkasse den Umsatz verkürzen, um dann die Steuer zu betrügen. Es ist völlig weltfremd. Auch die Zahl, die immer genannt wurde, zehn Milliarden, entbehrt eigentlich jeder Grundlage. Dafür gibt es keine wirkliche Berechnung, sondern man hat hier einfach Schätzungen …
"Hochgerechnet für Deutschland, ohne dass es valide Zahlen gibt"
Heinlein: Das hat der Bundesrechnungshof, Herr Genth, … Entschuldigung, das ist durchaus eine seriöse Quelle. Diese zehn Milliarden Euro, das ist eine Zahl, die der Bundesrechnungshof vorgestellt hat. Und das ist ja tatsächlich eine stolze Summe, die jedes Jahr nach Angaben des Bundesrechnungshofes dem Staat durch die Lappen geht.
Genth: Ja, man hat hier als Berechnung ein Gutachten aus Kanada zugrunde gelegt, wo eben auch die Frage der Umsatzsteuerverkürzung untersucht wurde. Und hat das dann hochgerechnet für Deutschland, ohne dass es darunter valide Zahlen eigentlich gibt. Und heute ist in der gesamten breiten Masse des Einzelhandels es gar nicht möglich. Sie müssen sich vorstellen, dass an der Kasse ja mehrere Personen beteiligt sind, um solch eine Umsatzverkürzung überhaupt vorzunehmen. Das ist insofern schon weltfremd und in den Branchen des Einzelhandels auch nicht durchführbar. Stellen Sie sich den Unterhaltungselektronikmarkt vor, den Textildiscounter, das Textilgeschäft, den Lebensmittelmarkt: Auch da ist es heute schon nicht möglich. Darüber hinaus gibt es natürlich die Möglichkeit der Betriebsprüfung. Auch heute gehen die Betriebsprüfer schon in die Unternehmen hinein, können auch in die Kassensoftware hineingehen und dort Umsätze auslesen. Das tun sie auch. Und man muss auch sagen: Finanzverwaltung ist heute sehr klar orientiert darüber, wie hoch eine Umsatzleistung pro Quadratmeter beispielsweise in einer Branche, im Textileinzelhandel, im Lebensmitteleinzelhandel ist. Also man weiß sehr genau, welche Umsätze in einem Unternehmen erzielt werden und hat bei Betriebsprüfungen die Möglichkeit, dann auch wirklich nachzufassen.
Heinlein: Sie erwähnen immer wieder die großen Elektronikmärkte, die Supermärkte. Ich hatte vorhin gefragt, Herr Genth, wo denn die Branchen sind, wo betrogen wird. Wo sind die schwarzen Schafe? Ist das der kleine Kiosk um die Ecke, der kleine Bäcker?
Genth: Das sehe ich auch nicht, weil selbst der Bäcker und Kiosk …
Heinlein: Welche Branchen sind das denn?
Genth: Genau das ist halt die Frage. Wir sehen aus Sicht unseres Verbandes im Grunde genommen jetzt uns als Einzelhandel gar nicht als betroffene Branche, weil heute dort schon eben so viele Mitarbeiter beschäftigt sind, die beteiligt wären, sodass sie, wie gesagt, hier organisierte Kriminalität ja unterstellen müssten, wenn man wirklich den Umsatzsteuerbetrug vornehmen kann. Also von daher sehen wir im Handel gar nicht diese Anwendungsfälle und auch eben die Grundlage von zehn Milliarden Euro überhaupt nicht. Das haben wir auch deutlich gemacht, auch mit der Politik besprochen, übrigens auch mit dem Finanzministerium, wo man auch deutlich gesagt hat, dass man im Grunde gerade die Kassensysteme des Einzelhandels gar nicht damit verfolgen will.
"Der Kassenbon führt nicht dazu, dass hier mehr Sicherheit gegeben wird"
Heinlein: Ich habe es nicht ganz verstanden, Herr Genth: Wie soll denn der Staat sicherstellen, dass tatsächlich alle verkauften Waren, auch das einzelne Brötchen, der Kaffee et cetera ordentlich erfasst wird und ordentlich registriert und eben keine Steuer hinterzogen wird? Ist da nicht tatsächlich, wie in anderen europäischen Ländern, der Kassenbon notwendig?
Genth: Nein, der Kassenbon, den der Verbraucher, der Kunde bekommt, führt ja nicht dazu, dass hier mehr Sicherheit gegeben wird. Das hatte ich vorhin auch schon erwähnt, dass die Manipulationssoftware im Grunde genommen, die auf jede Kasse aufgespielt wird, diese Sicherheit gibt, denn das bedeutet im Grunde genommen, dass mit dem ersten Kassendruck im Grunde genommen dann schon der Umsatz nicht mehr verkürzt werden kann. Das heißt, wenn der Umsatz von der Kassiererin eingegeben wurde, dann kann er nicht mehr rausgenommen werden aus dem System. Die Finanzverwaltung hat die Möglichkeit, in diese Kassensysteme hineinzugehen, kann die Umsatzverläufe sich anschauen, kann die Tagesverläufe sich anschauen und natürlich auch sehen, wie hoch der Umsatz in einem Monat und in einem Jahr ist. Das ist zwar heute auch schon der Fall und das ist das Paradoxe daran: Wenn also diese transaktionssicheren Kassensysteme dann im Handel da sind, übrigens nicht nur im Handel, sondern dort überall, wo Kassen eingesetzt werden, auch in der Gastronomie beispielsweise, dann kann im Grunde genommen nicht mehr betrogen werden. Der Bon führt eben da auch nicht zu mehr Sicherheit oder auch nicht zu mehr Manipulationsschutz.
Heinlein: Herr Genth, nicht mehr betrogen werden – haben Sie schon Informationen von den Behörden, wie denn diese Kassenbonpflicht, die ja nun in zwei Tagen gelten wird, überwacht wird? Wird es Kontrollkäufe geben vom Finanzamt?
Genth: Das glaube ich eher nicht, es wäre auch ein Stück weit lebensfremd, wie gesagt. An der Supermarktkasse ist es häufig so, dass Kunden den Kassenbon gar nicht mehr mitnehmen wollen oder eben beispielsweise auch elektronisch aufgespielt bekommen auf eine entsprechende App, auch das gibt es heute bei uns im Handel schon. Und man muss sehen, nach dem Kassengesetz gibt es keine Strafbewährung jetzt dafür, wenn der Kassenbon nicht rausgegeben wird. Insofern bleibt abzuwarten, wie entsprechend auch die Behörden damit umgehen. Aber nochmals: Wir stehen nicht da gegen das Ziel, entsprechend hier den Steuerbetrug zu verhindern. Wie gesagt, das wäre eine Wettbewerbsverzerrung auch. Wir haben großes Interesse, dass solche schwarzen Schafe, wenn es solche geben wird, eben aufgedeckt werden. Der Bon selber, der ausgedruckt wird, wird für den Kunden keinen Mehrnutzen bringen und für die Finanzverwaltung im Grunde genommen auch nicht. Und nochmals: Das Finanzministerium, was diesen Entwurf des Gesetzes vor drei Jahren gemacht hat, hat auch selber überhaupt nicht vorgeschlagen, diesen Weg zu gehen. Also im Grunde genommen: Der Staat wollte es gar nicht. Im Parlament durch das starke Einwirken der SPD ist es nun verschärft worden und heute genau die Situation da.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.