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Kampf gegen Stromtrassen
Warum Bayern die Energiepolitik blockiert

Im Freistaat Bayern wehren sich Regierung und zahlreiche Bürgerinitiativen gegen den Bau der Südlink-Trasse - einen entscheidenden Faktor für die Energiewende. Trotz vieler Nachbesserungen, Konsultationen, Bürgerdialoge und Gesetzesvorschläge flauen die Proteste nicht ab. Im Gegenteil.

Von Susanne Lettenbauer | 11.06.2015
    Horst Seehofer im Kreis von Trassen-Gegnern in Bergen bei Neuburg an der Donau (Bayern)
    Horst Seehofer im Kreis von Trassen-Gegnern in Bergen bei Neuburg an der Donau (Bayern) (dpa/picture alliance/Andreas Gebert)
    Der Sinngrund ist ein idyllisches Fleckchen im Spessart. Hier grenzen Hessen und das unterfränkische Bayern aneinander. Ein Wald-und Wiesen-Tal - bei Wanderern und Mountainbikern beliebt. Die Orte heißen Obersinn, Burgsinn, Mittelsinn. Jedes Jahr im April feiern Einwohner und Städter aus dem nahen Frankfurt am Main auf den Wiesen das Schachblumenfest. Ein Tourismusmagnet. Überall blühen dann die kleinen, glockenförmigen lila Blumen mit dem typischen Schachbrettmuster - das Markenzeichen der Region:
    "Also es wäre schon fatal, wenn hier mitten im FFH-Gebiet neue 80 Meter hohe Masten gebaut werden würden. Also - unser Schachblumenvorkommen, das hier übrigens im bayerisch-hessischen Grenzgebiet eines der größten in Europa ist, wenn hier diese Strommasten gebaut würden."
    Lioba Zieres, die Bürgermeisterin des 1.000-Einwohner-Örtchens Obersinn, Freie Wähler, erfuhr eher zufällig im Sommer letzten Jahres von den Bauplänen. Genau hier soll die Südlinktrasse, das sogenannte "Rückgrat der Energiewende" von Nord- nach Süddeutschland gebaut werden: "Südlink" - eine der zwei großen Gleichstromleitungen, die Bayern nach der Abschaltung der Atomkraftwerke 2022 mit Strom versorgen sollen.
    "Meine erste Reaktion: Ja ich war empört, weil ich denke, alles, was man nicht haben will, schiebt man uns ins Sinntal. Ob es eine ICE-Trasse ist, die für diese Region absolut keine Bedeutung hat, ob es eine Stromtrasse ist, die für uns hier in der Region absolut keine Bedeutung hat, schiebt man halt hierher, man denkt wohl, das sind nur wenig Leute, mit denen kann man das ja machen."
    Das Hauptproblem: Die Anwohner wie Bürgermeisterin Lioba Zieres fühlen sich überfordert, nicht richtig informiert, einfach übergangen. Warum gerade hier? Warum so hohe Masten? Warum keine Erdverkabelung?
    Dabei sind die Überlegungen der Planer auf den ersten Blick nachvollziehbar: Die Schachbrettblumen-Idylle wird bereits seit Mitte der 1980er-Jahre durch die ICE-Schnellstrecke Fulda-Würzburg durchschnitten. An ihr entlang soll die Südlink-Stromautobahn so naturschonend wie möglich gebaut werden, sagt Netzbetreiber TenneT. Eventuell auch in die bereits bestehende, weit niedrigere Stromleitung integriert, aber so genau kann das den Anwohnern bisher immer noch keiner sagen.
    "Ich bin natürlich für den Ausstieg aus den Atomkraftwerken. Aber: Ich bin jetzt kein Fachmann oder Fachfrau, aber ich habe mitbekommen, dass nur ein Drittel dieses Stromes Windenergie ist, es kommt ja noch dreckiger Kohlestrom, Kohlestrom aus alten Kohlekraftwerken, die im Übrigen mit Kohle aus Chile bestückt werden - wo ist da die Energiebilanz, das ist doch ein Witz, ich habe das Gefühl, hier werden nur die vier großen Stromkonzerne bedient."
    Die Bundesländer hatten sich auf den Netzausbau geeinigt - auch Bayern
    Stromleitungen für Ökostrom ja - allein als Kapitalanlage nein. Neun Prozent Rendite seien den an den neuen Leitungen beteiligten Firmen versprochen worden - und das auf Kosten der Natur und ihrer Heimat, wettern die Gegner. Versicherungsfirmen wie die Münchner Rück kommen plötzlich ins Gespräch als Finanzier. Richtig ist: Es werden öffentlich-private Kapitalanleger gesucht für den Netzausbau. Doch würden die Bürger in Bayern sich im Gegenzug an der Stromtrasse, zum Beispiel pro Kilometer, beteiligen wollen, wie Netzbetreiber TenneT es den Bürgern in Niedersachsen angeboten hatte? Das Interesse hielt sich dort plötzlich sehr in Grenzen. Warum? Guntram Ziepel beobachtet als Chef aller Bürgerinitiativen gegen den Südlink die Entwicklungen bundesweit in den Kommunen:
    "Es dreht sich um den europäischen Stromhandel und es dreht sich darum, dass den Menschen nicht die Wahrheit erzählt wird. Und wer verdient am europäischen Stromhandel? Die vier Übertragungsnetzbetreiber und die Kraftwerksbesitzer. Die und nicht wir. Wir zahlen die Zeche, indem wir es genehmigen, dass über unser Gebiet die entsprechenden Leitungen laufen, und wir haben nichts davon außer diesen Ärger, und auf der anderen Seite sind andere, die stoßen sich daran gesund. Das kann nicht richtig sein."
    Guntram Ziepel, Vorsitzender und Sprecher des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen gegen Suedlink
    Guntram Ziepel, Vorsitzender und Sprecher des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen gegen Suedlink (dpa/picture alliance/Jörn Perske)
    In der Tat teilen sich - seit der Liberalisierung des deutschen Strommarktes 1998 - vier börsennotierte Firmen fast die gesamte Stromversorgung Deutschlands - Eon, Vattenfall, RWE und EnBW. Die vier sind auch am Stromleitungsbau der ebenfalls nur vier Netzbetreiber beteiligt: In Bayern planen die deutsch-schweizer Firma Amprion eine Südostpassage zwischen Sachsen-Anhalt und Oberbayern und der niederländische Konzern TenneT Überlandleitungen von Norddeutschland nach Süden - Planungen im Auftrag der staatlichen Bundesnetzagentur, nachdem im Juli 2013 alle Bundesländer unterschrieben hatten, dass Leitungen für die Energiewende notwendig seien. Auch Bayern.
    TenneTs Vorschlag kurz darauf: der Südlink. In Anlehnung an den Nordlink zwischen Deutschland und Norwegen. Die Karten zeigen Leitungen von Wilster nahe Hamburg bis zum bayerischen Atomkraftwerk Grafenrheinreinfeld, das am 20. Juni abgeschaltet wird. Und: von Brunsbüttel zum zentralen Umspannwerk Baden-Württembergs, nach Großgartach. Die simple Idee dahinter: In einem Rutsch auf einer Gleichstromautobahn den Windstrom von der Nordsee zu den rund 700 Kilometer entfernten Wirtschaftszentren Süddeutschlands zu bringen. Ohne Zu- oder Ableitung. Bis zu zehn Gigawatt Strom könnten damit nach heutiger Planung ab 2024 transportiert und damit auch verkauft werden. Für die bayerische Wirtschaft die plausibelste und sicherste Lösung.
    Nur: Benötigt der Freistaat überhaupt diese Mengen an Strom, die in Norddeutschland über Bedarf produziert und nun irgendwohin verteilt werden müssen, weil sie - wie bereits praktiziert - wenig gewinnbringend in den Boden geleitet werden? Das fragt Ministerpräsident Horst Seehofer und verärgert damit die Stromproduzenten in Deutschlands Norden. Bayern werde nicht zum Stromableiter Norddeutschlands, sagt Wirtschaftsministerin Ilse Aigner unisono. Wurden vielleicht zu früh zu viele Windturbinen hochsubventioniert installiert, ohne entsprechende Leitungen zu planen? Die deutsche Energiewende - ein Pferd von hinten aufgezäumt? Und Bayern ärgert sich, weil der Kuchen der Energiewirtschaft woanders aufgeteilt wird?
    Der bayerische Vorschlag: Können diese Milliarden Euro für überdimensionale Strommasten nicht lieber in alternative Energien vor Ort, in den Ausbau der Fotovoltaik, der Windkraft und für den Übergang auch in Gaskraftwerke direkt neben den energiefressenden Wirtschaftszentren investiert werden? Von Vorteil für den Freistaat und die Bürger? Schlagwort: Bürgerbeteiligung, Bürgerenergiegenossenschaften, Kraft-Wärme-Kopplung, Gebäudesanierung.
    Wenn Energiewende, dann richtig, lautete immer der Anspruch im Freistaat. Mit innovativen Forschungen. Mit Energiewendemodellen, die zum bayerischen Exportschlager werden könnten. Zum Beispiel die höchsteffizienten Gaskraftwerke der Firma Siemens auf der einen Seite. Eines steht seit 2011 in Irsching bei Ingolstadt. Doch dieses effizienteste Gaskraftwerk der Welt soll zum 1. April 2016 abgeschaltet werden. Betreiber Eon legte der Bundesnetzagentur im März 2015 einen entsprechenden Antrag vor. Für ein Interview im Werk in Irsching stehe man leider nicht zur Verfügung, heißt es von Eon, schriftlich lautet die Stellungnahme gegenüber dem Deutschlandfunk:
    Die zunehmenden Mengen subventionierten Stroms aus Erneuerbaren Energien und die niedrigen Großhandelspreise für Strom lassen mittlerweile keinen Einsatz am Markt mehr zu. Im gesamten Jahr 2014 hat das Kraftwerk zu keiner Stunde Strom für den Markt produziert.
    Ohne Subventionen lohnen sich Gaskraftwerke derzeit nicht, das weiß auch die CSU und sieht die hochsubventionierten Kohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg als Ursache. Der Grünen-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Ludwig Hartmann, eigentlich vehementer Vertreter der Stromtrassen, schüttelt den Kopf, wenn er vom geplanten Aus in Irsching spricht:
    "Was man deutlich mitbekommen hat, auch bei den Gesprächen, die wir mit der Belegschaft geführt haben - dass sie wirklich das Vertrauen in die Staatsregierung verlieren. Es kann sich keiner mehr erklären, dass es keinerlei Verlässlichkeit und Planungssicherheit mehr gibt in der Energiepolitik. Es muss endlich einen Fahrplan geben, wo möchte man hin. Die politische Entscheidung ist eigentlich eine ganz einfache für mich in diesem Bereich. Wenn wir Energiewende für den Klimaschutz vorantreiben, ist für mich ganz klar: Nach den Atomkraftwerken - von denen ein gewaltiges Risiko ausgeht - werden die dreckigsten Kraftwerke, die dreckigen Braunkohlekraftwerke, zuerst abgeschaltet, und nach und nach die sauberen fossilen, bis wir eine Versorgung haben von 100 Prozent Erneuerbarer Energien. Und dann ist für mich ganz klar, dass ein effizientes Gaskraftwerk mit einer Weltmeisterturbine für die nächsten Jahre noch im Strommarkt stehen muss."
    Ohne große Trassen können die Ziele von 2011 nicht erreicht werden
    Die Stimmung in Bayern kippte im vergangenen Jahr, als die Netzbetreiber zugeben mussten, dass die Südosttrasse bei den längst überholt geglaubten Kohlekraftwerken Sachsen-Anhalts beginnen und auch der Südlink vom Hamburger Steinkohlekraftwerk beliefert würde. Auch eine Verbindung zum tschechischen Atomkraftwerk Temelin sei nicht ausgeschlossen, so das Netz-Unternehmen Amprion vor aufgebrachten Demonstranten. Eine Energiewende mit Kohlestrom?
    "Wir brauchen die Gleichstromtrasse definitiv nicht. Wir brauchen den Braunkohlestrom nicht. Wir können jederzeit in Bayern mit Gaskraftwerken und irgendwo an Atomkraftwerken, wo die Leitungen schon stehen, das abfedern, deshalb brauchen wir keine Trasse."
    "Es ist ein Schnellschuss gewesen von der Politik, die Bürger wurden nicht aufgeklärt, einfach von oben herunter wurde gedeckelt. Das Übliche sozusagen: Der Obere sticht hinunter."
    Auf Heuballen prangt am 20.05.2015 an einer Straße bei Fritzlar (Hessen) ein Transparent der Gegner der Stromtrasse Suedlink.
    Bürgerinitiativen machen mobil gegen Südlink. (dpa/picture alliance/Uwe Zucchi)
    Im Februar 2014 stellte sich Ministerpräsident Horst Seehofer überraschend an die Seite der Trassengegner. Vergessen seine Zustimmung zum Netzausbau im Juli 2013:
    "Einfach zu sagen, wir zeichnen einen Strich in die Karte und damit hat sich's, damit ist es nicht getan. Es wird gegen Bayern und die ganzen Kommunen hier keine Stromtrassen gegen unseren Willen geben."
    Bayern - der Energiewende-Bremser? Der Netzausbau gilt außerhalb des Freistaates als entscheidender Faktor für den Ausstieg aus der Atomkraft und aus der fossilen Energienutzung. Ohne große Trassen könnten die Ziele von 2011 als Folge von Fukushima und zuletzt für den Koalitionsvertrag neu formuliert, kaum erreicht werden, heißt es vom Bund - bis 2025 soll der Anteil der Erneuerbaren Energien am Gesamtstrom-Mix Deutschlands auf 40 bis 45 Prozent steigen. Bleiben immer noch 55 bis 60 Prozent - aus Gas- oder Kohlekraftwerken?
    "Was auf bayerischem Boden geschieht, bestimmt noch immer Bayern."
    Seehofers Ansatz lautet: Will die Bundesrepublik ihre Energieziele verwirklichen, muss sie Bayern "entgegenkommen". Und zwar bei der Frage der Stromtrassen und beim Bau von mittlerweile als beste Lösung angepriesenen Gaskraftwerken in der Nähe der im Jahr 2022 abgeschalteten Atomkraftwerke, so könne man auch die bestehenden Leitungen nutzen. Um Zeit zu gewinnen, ließ Seehofer seine Wirtschaftsministerin Ilse Aigner im Herbst 2014 einen bayernweiten dreimonatigen Energiedialog einberufen. Das Ergebnis? Kein Ergebnis. Man brauche zwei minus X Stromtrassen, so Ilse Aigner sibyllinisch. Das können zwei, eine oder keine sein. Seitdem Stillstand. Worauf warten die Bayern? Der schwarze Peter liegt jetzt beim Bund.
    Es muss ein Kompromiss in Berlin gefunden werden, bald, denn die Zeit läuft und der Bürger zahlt bereits alle Kosten für die Planungen der Netzbetreiber, auch wenn keine Strommasten stehen. Dass eine Entscheidung - anders als vermutet - nicht auf dem Koalitionsgipfel Mitte Juni passieren wird, das gilt als sicher, sagt Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Demnach soll es in naher Zukunft ein Dreiertreffen geben, mit Bundeskanzlerin Merkel, Bundeswirtschaftsminister Gabriel und Bayerns Ministerpräsident Seehofer. Ein Energiewendegekungel. Beobachter wie Guntram Ziepel von den Südlink-Bürgerinitiativen reden von einer viel späteren Entscheidung. Politik à la Seehofer:
    "Im Grunde genommen hat er jetzt seine Mautgebühr in trockenen Tüchern, der Bundesrat hat zugestimmt, das wird jetzt Gesetz. Ein wichtiges Koalitionsziel erreicht und jetzt kann er Bayern verlassen, jetzt kann er mit Anstand nach Hause gehen. Weil alles andere, da hat er gesagt, nach mir die Sintflut. Das Thema Südlink, nein danke, nicht mit mir kann er sagen, ja gut, wenn nicht mit mir, dann mit jemand anderem oder auch nicht. Und wenn der Nachfolger von ihm letzten Endes sagt, was mein Vorgänger gesagt hat, ist mir ziemlich Banane, dann ist das so und dann macht der eine andere bayerische Politik. Und dann werden alle, die hier gesessen haben, und auf das Wort eines Ministerpräsidenten vertraut haben, vorgeführt."
    Aigner: "Ich kämpfe für mein Land"
    Falls Berlin den Freistaat unter Druck setzen sollte und die Netze trotz Widerstand baut, was möglich wäre, droht der Freistaat mit einer Klage. "Der Bund kann sich nicht einfach über die Länder hinwegsetzen", poltert der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) in München Richtung Bund.
    Bis dahin wird vorsorglich der bayerische Landesentwicklungsplan dahingehend geändert, dass Stromtrassen nicht durch Naturschutzgebiete verlaufen können.
    Der letzte Vorschlag aus Bayern, den Südlink doch über baden-württemberger Gebiet zu führen, sei nur konsequent, sagt Bayerns Wirtschaftsministerin Aigner. Nach den Planungen der Bundesnetzagentur sei jetzt schon eine Leitung nach Baden-Württemberg mit Abstecher nach Grafenrheinfeld geplant. Bayern habe mit Blick auf die Landkarte bloß vorgeschlagen, die Leitung nicht nur ins bayerische Grafenrheinfeld, sondern gleich nach Großgartach in Baden-Württemberg zu führen, wo die zweite Südlink-Trasse sowieso enden soll:
    "Ich verstehe ja, dass der Kollege Untersteller und Al-Wazir für ihr Land kämpfen, aber genauso ist auch klar, dass ich für mein Land kämpfe. Wir wollen hier eine gerechte Lastenverteilung. Wir haben jetzt mal ausgerechnet, was die jetzigen Planungen der Netzagentur für Bayern bedeuten würden an Neubau. Und da sind wir bei 420 Kilometer Neubau in Bayern, und in Baden-Württemberg etwa 130 Kilometer, und Hessen 190 Kilometer. Da kann man wirklich nicht davon sprechen, dass es eine gleichmäßige Verteilung wäre."
    Derzeit wird geprüft, welche Routen technisch und finanziell machbar sind, auch eine Gesetzesänderung zur Erweiterung der Erdverkabelung wird diskutiert. Die Konsultationsgespräche zu den Trassenverläufen haben begonnen. Rund 25.000 Stellungnahmen von Bürgern und Kommunen liegen seit dem 15. Mai vor.
    Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU)
    Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU): "Wir wollen eine gerechte Lastenverteilung" (picture alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Die Gräben laufen mittlerweile nicht nur quer durch die Bürgerinitiativen, sondern auch mitten durch die bayerischen Parteien. Der Grünen-Kreisverband Bayreuth-Land hat sich öffentlich distanziert von den Trassen-befürwortenden Bayern-Grünen, er lässt sogar de facto die Mitgliedschaft im Landesverband ruhen.
    Die andere Oppositionspartei, die bayerische SPD, beschränkt sich auf eine strikte Ablehnung der CSU-Politik. Aus gutem Grund: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern wird durch Seehofer statt beschleunigt merklich verlangsamt. Die Verabschiedung des 10H-Gesetzes im November 2014 hat einen signifikanten Rückgang der Anträge für Windkraftanlagen bewirkt. Das Gesetz schreibt vor, dass Windräder, so sie von ortsfremden Investoren geplant werden, einen zehnmal so großen Abstand zu bewohntem Gebiet haben müssen wie sie hoch sind.
    Außerdem verhindert die von Bayern mitgetragene Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes den Ausbau der Fotovoltaik. Bei dem neuen Ausschreibungsmodell für Solaranlagen auf Freiflächen kann das teure Bayern mit Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg nicht mithalten. Also doch Stromtrassen?
    Der CSU-Fraktionsvorsitzende Thomas Kreuzer kontert. Gegen die eigenen Bürger werde der Freistaat, also die CSU, nichts unternehmen:
    "Ich kann diesen Leuten nur sagen, die keine Erfahrung mit Bürgern und der Bevölkerung haben, dass eine Trasse nur dann gebaut werden kann, wenn man den Menschen absolut nachweist, dass es notwendig ist. So wie sich diese Firmen das vorstellen, geht es nicht. Sonst werden wir einen derartigen Widerstand bekommen, dass überhaupt nichts gebaut wird, weil wir vor Gerichtsverfahren stehen und sich Widerstand wie in Wackersdorf regen kann. Sie können solch ein Projekt nur angehen, wenn Sie den Menschen eins zu eins belegen, dass es für die Stromversorgung notwendig ist, sonst sind Sie chancenlos."
    "Volkswirtschaftlich ist das Wahnsinn"
    In Bayreuth beim Netzbetreiber TenneT gibt man sich gelassen. Man werde bauen, was die Bundesnetzagentur beschließe, sagt Vorstandsmitglied Lex Hartmann:
    "Für uns, für mich ist das Wichtige dran, dass, wenn sich das alles ändert, dass es heißt, dass wir von vorne anfangen. Man kann nicht einfach weiterarbeiten. Das heißt, wir haben all diese Jahre verloren."
    Ob die Trassen nun linksrum oder rechtsrum um Bayern herum gebaut würden, sei ihm egal, sagt Hartmann. Aber:
    "Also, volkswirtschaftlich ist das ein Wahnsinn. Und das Schlimmste am Ganzen ist: Das Ziel ist doch am Ende von der Energiewende, dass der CO2-Ausstoß niedriger wird. Das Ziel ist doch nicht, Windturbinen hinzustellen, sondern weniger CO2-Ausstoß. Und wenn man subventionierten Strom im Norden produziert, nicht transportiert, sondern im Süden auf eine andere Weise wieder produziert, dann geht das nicht nach unten. Wir werden die Ziele nicht erreichen."
    Die Proteste flauen trotz der vielen Nachbesserungen, Konsultationen, Bürgerdialoge und Gesetzesvorschläge nicht ab in Bayern. Im Gegenteil.
    Kommunalpolitiker bezweifeln, dass es noch eine Möglichkeit des Neuanfangs gibt. Wenn nicht ein grundsätzlicher neuer Vorschlag komme, seien die Stromtrassen in Bayern nicht mehr durchsetzbar. Jetzt erwartet man, dass Seehofer in Berlin die Netzausbau-Pläne abschmettert oder zumindest eine Vollverkabelung herausholt. Zum Wohle Bayerns - und der CSU mit Blick auf die nächsten Landtagswahlen 2018.
    Wenn Seehofer im Sommer seinen Widerstand in Berlin jedoch aufgeben sollte, prophezeien die Trassen-Gegner ein "neues Wackersdorf" für die bayerische Staatsregierung. Im oberpfälzischen Wackersdorf hatten Mitte der 1980er-Jahre massive Demonstrationen den Bau einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage verhindert. Damals ein erster erfolgreicher Schritt in Richtung Atomausstieg und Energiewende.
    Stromtrassen stehen in Bayern nicht für eine Energiewende.