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Kampf gegen Windmühlen

Sowohl Ex-Minister Edmund Stoiber als auch EU-Kommissar Günter Verheugen haben der Bürokratie in Europa den Kampf angesagt. Doch beim genauen Hinsehen bleibt von dem angeblichen Bürokratiemonster Brüssel nicht viel übrig.

Von Alois Berger | 17.09.2009
    Fast zwei Jahre lang hat der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber mit Experten und Wirtschaftsführern die EU-Richtlinien und Verordnungen durchforstet, auf der Suche nach Vorschriften, die man abschaffen sollte. Der Bericht, den die hochrangige Gruppe zum Bürokratieabbau unter seiner Leitung jetzt in Brüssel vorlegt, listet Einsparmöglichkeiten von insgesamt 41 Milliarden Euro auf. Aber nicht alles, was Stoiber abschaffen will, ist europäischer Wildwuchs, und auch die Summe, die der Ex-Ministerpräsident der Wirtschaft verspricht, ist zu hoch gegriffen. Doch Edmund Stoiber ist überzeugt, dass seine Arbeit der europäischen Wirtschaft großen Nutzen bringt:

    "Das kurbelt die Wirtschaft an. Wenn wir jetzt mit einer Leitentscheidung als Europäer rausgehen, werden natürlich viele Länder für sich auch Bürokratie abbauen. Insgesamt wollen wir 25 Prozent der Bürokratiekosten im Jahre 2012 abgebaut haben. Das soll ein Extrawachstumsschub sein von etwa 1,5 Prozent."

    Allein die Befreiung aller Kleinstbetriebe von der europäischen Bilanzpflicht soll der Wirtschaft in den 27 EU-Staaten 6,3 Milliarden Euro an Verwaltungsaufwand einsparen. Auf diesen Vorschlag ist der frühere bayerische Ministerpräsident besonders stolz. Firmen mit weniger als zehn Mitarbeitern sollen nicht mehr verpflichtet sein, eine jährliche Bilanz zu erstellen. 16 Millionen Betriebe würden damit EU-weit erheblich entlastet, behauptet Edmund Stoiber.

    Doch die Experten müssen irgendetwas übersehen haben. Der größte Teil der 16 Millionen Mikrounternehmen macht schon heute keine solche Bilanz. Die einfache Überschussrechung reicht. Nur Gesellschaften mit beschränkter Haftung, also vor allem GmbHs müssen jedes Jahr eine Bilanz nach europäischen Vorschriften machen. Das sei auch gut so, meint Gerhard Huemer vom europäischen Kleinunternehmerverband UEAPME in Brüssel, das sollte man keinesfalls ändern. Nur die Bilanz verschaffe den Gesellschaftern einen regelmäßigen Überblick, wie es um ihr Unternehmen wirklich steht.

    "Niemand glaubt in Wirklichkeit daran, dass Unternehmen ohne Rechnungslegung auskommen. Und ob sie dann 1200 Euro nach einem europäischen Rechnungslegungsgesetz oder 1100 Euro nach einem deutschen ausgeben, das macht keinen großen Unterschied. Denn ohne Rechnungslegung, ohne Bilanz kann ich weder öffentliche Aufträge bekommen, noch kann ich bei der Bank um einen Kredit ansuchen."

    Dass alle GmbHs künftig auf die Bilanz verzichten, ist deshalb kaum vorstellbar. Doch so genau wollten es die Bürokratieabbauer gar nicht wissen. Es mache einen Unterschied, ob die Bilanz gesetzlich vorgeschrieben sei oder ob ein Unternehmen sie aus eigenem Antrieb erstelle, erklärt ein Experte, der damit aber nicht zitiert werden will. Das eine seien unternehmerische Ausgaben, das andere Bürokratiekosten.

    Stoiber und seine High-Level-Group stehen unter Erfolgsdruck. Sie sollen die EU-Kommission zwar nur beraten und können auch nichts beschließen. Doch als die Gruppe vor zwei Jahren von Kommissionspräsident Barroso auf Drängen der deutschen Bundeskanzlerin berufen wurde, da legte Stoiber selbst die Latte hoch. Er werde den europäischen Wildwuchs lichten, versprach er, und wenn sich einzelne EU-Kommissare querstellten, dann würde er sie an den Pranger stellen.

    Für solche Sätze bekommt man immer Beifall. Bürokratieabbau hat Konjunktur. Die Klage über den Gesetzesdschungel gehört mittlerweile zum festen Repertoire jeder Politik, selbst Bürokraten sind für Bürokratieabbau, wie der EU-Kommissar Günter Verheugen beobachtet hat.

    "Es ist politisch einfach nicht korrekt, zu sagen, man ist dagegen, dass Gesetze einfacher gemacht werden und dass Bürokratie abgebaut wird. In der Praxis ist es natürlich so, dass jede Regelung, die man vereinfachen oder abschaffen will, auch ihre Befürworter hat, die sich bequem eingerichtet haben mit der bestehenden Regelung."

    Der deutsche EU-Kommissar, Günter Verheugen, hat den Rückbau der europäischen Bürokratie schon vor vier Jahren zum Schwerpunkt seiner Arbeit erklärt, also lange bevor Stoiber von der Bundeskanzlerin zum Aufräumen nach Brüssel geschickt wurde.

    Etwa ein Viertel der europäischen Verordnungen und Richtlinien seien überflüssig, schätzte der Kommissar gleich zu Beginn seiner Mission sehr großzügig und gelobte, er werde die europäische Industrie von Verwaltungskosten in Höhe von mindestens 75 Milliarden Euro befreien.

    "Das Projekt, das ich begonnen habe, ist das größte seiner Art, es ist so aufgebaut, dass wir das gesamte Gemeinschaftsrecht Sektor für Sektor daraufhin überprüfen, wie es vereinfacht und verbessert werden kann. Das gilt für alles, was in den letzten 50 Jahren gemacht wurde, für alles."

    Eine verdienstvolle, aber zähe Aufgabe, an der auch zwei Männer ausreichend Beschäftigung finden könnten. Doch Stoiber sieht sich als politischer Kopf des Bürokratieabbaues in Brüssel, für Verheugen aber ist der Bayer lediglich ein Zuarbeiter, jemand, der Überlegungen der EU-Kommission auf ihre Machbarkeit überprüfen soll. Jedenfalls ließen sie ihre Anstrengungen bislang mehr neben- als miteinander wirken. Dabei war die Vorgehensweise ähnlich, nur dass EU-Kommissar Verheugen mit allem immer zwei Jahre früher dran war.

    Auch mit dem Problem, wie man Bürokratieabbau am besten anpackt: Welche Gesetze soll man abschaffen oder vereinfachen? Gleich am Anfang hat die EU-Kommission deshalb eine Internetumfrage gestartet. Jeder EU-Bürger war eingeladen, unnütze Vorschriften aufzulisten. Das Ergebnis sei erstaunlich gewesen, fasste Verheugen damals zusammen:

    "Wir haben über 1000 Beiträge bekommen von Regierungen, Verbänden und auch Privatbürgern. Es ist ein wunderbarer Einblick in die europäische Wirklichkeit. Ich habe viele wichtige Anregungen daraus entnommen, ich habe aber auch eines daraus gelernt: Dass die wenigsten Menschen in Europa unterscheiden können, zwischen europäischen Regeln und nationalen Regeln. Ich habe zum Beispiel von einem großen deutschen Verband einen ausführlichen Beitrag bekommen, was alles anders werden muss. Das betraf aber zu 95 Prozent rein deutsche Gesetzgebung."

    Wie Mitarbeiter des Kommissars einräumen, war die Volksbefragung nicht besonders ergiebig. Auch andere Formen des anti-bürokratischen Brainstormings brachten nicht den Durchbruch. Die Spitzen der europäischen Automobilbranche etwa haben sich regelmäßig in Brüssel getroffen, um Vorschläge für eine bessere Gesetzgebung auszuarbeiten. Doch irgendwie fanden sie keine einzige Regelung, die man hätte abschaffen können, ohne die Sicherheit der Fahrzeuge zu gefährden. Zwischendurch erwogen die Autoexperten, man könne doch wenigsten die Vorschrift für den Rückwärtsgang abschaffen. Ivan Hodac vom Europäischen Automobilverband Acea:

    "Warum braucht man eine Richtlinie für einen Rückwärtsgang, wenn jedes Auto sowieso einen Rückwärtsgang hat. Wir brauchen Gesetze für die Sicherheit, für Umweltstandards, aber doch nicht, dass ein Auto einen Rückwärtsgang haben muss. Das ist sinnlos. Sie als Verbraucher würden doch nie ein Auto ohne Rückwärtsgang kaufen."

    Als Edmund Stoiber vor zwei Jahren nach Brüssel kam, hat er erst mal das Rad neu erfunden. Stoiber organisierte eine Umfrage in der Bevölkerung, welche EU-Gesetze weg müssen. Gemeinsam mit der "Bild"-Zeitung sowie einem britischen und einem polnischen Revolverblatt lobte er einen Anti-Bürokratie-Preis aus.

    "Europa wird ja leider viel zu stark mit Bürokratie verbunden, deshalb haben wir gesagt, ich im Besonderen: Lasst uns doch eine Medienpartnerschaft eingehen, Vorschläge aus der Mitte der europäischen Bevölkerung ziehen."

    "Schluss mit dem Bürokratiewahnsinn der EU", titelte die "Bild"-Zeitung: "jetzt sucht Stoiber Hilfe bei den BILD-Lesern."

    Die Leserzuschriften waren sehr zornig, aber nicht zielführend. Dass Umweltvorschriften auch für Wohnmobile gelten, mag für "Bild"-Leser ein Skandal sein, mit Bürokratie hat das aber nichts zu tun. Die Stoiber-Gruppe fand jedenfalls unter all den Einsendungen keinen Vorschlag, den sie öffentlich auszeichnen wollte.

    Den Preis für den besten Beitrag überreichte Europas Anti-Bürokratie-Beauftragter schließlich in kleinem Rahmen an den Präsidenten des Zentralverbandes des deutschen Handwerks - für den Vorschlag, die Pflicht zum Einsatz von Fahrtenschreibern zu lockern. Danach sollen Lieferwagen bis zu einer Entfernung von 150 Kilometern vom Firmensitz ohne Fahrtenschreiber fahren dürfen; bislang sind 50 Kilometer erlaubt.

    100 Millionen Euro soll diese Maßnahme allein den deutschen Handwerkern einsparen. Ob sie sinnvoll ist, das ist eine andere Frage. Denn die Fahrtenschreiberpflicht für Lieferwagen wurde eingeführt, weil gerade die kleinen, schnellen Lieferwagen oft in Unfälle verwickelt sind. Schuld sind meist hoher Zeitdruck und übermüdete Fahrer. Ohne Fahrtenschreiber lässt sich kaum kontrollieren, ob der Brotlieferant oder der Fahrer einer Wäscherei, der den ganzen Tag die Hotels abklappert, die vorgeschriebenen Pausen einhält.

    EU-Kommissar Verheugen will den Vorschlag trotzdem übernehmen. Fahrtenschreiber werden von vielen Handwerkern als lästig empfunden, wer sie abschafft, macht sich Freunde. Dabei geht es nicht um die Kosten für das Gerät, wie Branchenvertreter einräumen, es geht um die Kontrolle, ob die Fahrer die vorgeschriebenen Pausen einhalten. EU-Kommissar Verheugen redet da gar nicht drum herum.

    "Was aber der Effekt ist, das ist, dass Handwerksbetriebe viele Aufträge nicht übernehmen können, weil sie das logistisch nicht schaffen können mit dem Personal, das sie haben, und den Lenkzeiten, die dann erlaubt sind."

    Verbraucherschützer, Umweltverbände und auch einige Europaabgeordnete haben ohnehin den Verdacht, dass die Bürokratiejäger Stoiber und Verheugen vor allem die Sozial- und Umweltgesetze lockern wollen. Die Europaabgeordnete Eva Lichtenberger von den österreichischen Grünen befasst sich seit langem mit der Situation in kleinen und mittleren Unternehmen:

    "Schaffe ich den Fahrtenschreiber bei den Sprintern ab, haben natürlich Unternehmer die Möglichkeit, mehr Druck auf ihre Fahrer auszuüben. Es gibt ja keine Kontrollmöglichkeiten mehr, dass sie Lenk- und Ruhezeiten überschreiten. Das gefährdet zwar die Verkehrssicherheit, aber für die Unternehmer ist es eine Einsparung. Nur das ist eine Einsparung auf dem Rücken der Verkehrssicherheit."

    Eva Lichtenberger sitzt im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments. 35 Vorschläge zur Abschaffung oder Vereinfachung von Gesetzen hat die EU-Kommission dort bislang vorgelegt.

    "Wir haben uns die durchgeschaut, der größte Teil, ja kann man vereinfachen. Aber manche muss man wirklich aufrechterhalten, man muss sie sogar verstärken und kontrollieren."

    Doch so plakative Initiativen wie die Befreiung von der Fahrtenschreiberpflicht sind für Stoiber und Verheugen umso wichtiger, als der eigentliche Bürokratieabbau wenig spektakulär ist. Da geht es zum Beispiel darum, drei verstreute Richtlinien zum Luftverkehr in einer Richtlinie zusammenzufassen. Dadurch werden die Gesetze einfacher und leichter lesbar. Das Europäische Recht ist auf diese Weise schon um ein Zehntel schlanker geworden. Doch wen beeindruckt das?

    Noch mühsamer ist das Ausrechnen, welche Kosten jedes Gesetz für die Wirtschaft verursacht. Holländisches Standardkostenmodell nennt sich das und sieht genau so aus, wie man sich das vorstellt, wenn Bürokraten Bürokratie abbauen.

    Mit der Stoppuhr wird gemessen, wie lange es zum Beispiel dauert, ein bestimmtes Formular auszufüllen. Dann wird hochgerechnet, wie oft das Formular in jedem Betrieb ausgefüllt werden muss und wie viele Betriebe es ausfüllen müssen. Der auf diese Weise ermittelte europaweite Zeitaufwand wird dann in Lohnkosten umgerechnet. Diese Sisyphusarbeit habe die EU-Kommission für jede Richtlinie und jede Verordnung machen lassen, versichert EU-Kommissar Verheugen:

    "Das Ergebnis war, dass wir in der Tat davon ausgehen können, dass durch Europäische Gesetzgebung und durch die Art und Weise, wie diese Europäische Gesetzgebung in den Mitgliedsländern umgesetzt wird, etwa 150 bis 160 Milliarden Euro Kosten im Jahr entstehen."

    Eine beeindruckende Zahl, die nur leider nicht überprüfbar ist. Denn kleine Ungenauigkeiten an der Stoppuhr addieren sich bei diesen hintereinandergeketteten Hochrechnungen zu unsinnigen Ergebnissen. Als sich die Niederländische Bahn mit einer ähnlichen Methode auf die Einführung des Euro einstellen wollte, erlebte sie ein große Überraschung. Forscher hatten gemessen, wie lange jemand braucht, um mit einer neuen Währung eine Fahrkarte zu kaufen. Daraus errechneten sie, dass am ersten Arbeitstag nach der Euro-Einführung schon morgens mindestens 100 Pendler vor jedem Bahnschalter stünden, und die Schlangen im Laufe des Tages auf das zehnfache anwachsen würden.

    Doch das Chaos fand nicht statt. Keine Schlangen, keine Schwarzfahrer, alles verlief reibungslos. Irgendwie reagieren Menschen in der Realität anders, als wenn ein Forscher mit Stoppuhr daneben steht. Viele Annahmen seien doch sehr praxisfern, meint Gerhard Huemer vom europäischen Mittelstandsverband UEAPME. Ein Handwerksmeister, der jeden Tag drei Minuten weniger Schreibarbeit hat, habe deshalb am Jahresende nicht 1000 Euro mehr in der Kasse.

    "Wir können in Wirklichkeit die Zahlen der Stoiber-Gruppe nicht nachvollziehen, weil das Zustandekommen der Zahlen, die von irgend welchen Forschungsinstituten errechnet werden, für uns nicht plausibel sind."

    Der europäische Mittelstandsverband findet es zwar lobenswert, dass sich jetzt alle Welt für eine Verringerung der bürokratischen Lasten einsetzt, warnt aber vor blindem Eifer.

    Aus gutem Grund. Vor einiger Zeit haben die Antibürokratisierer die europäischen Hygienevorschriften für Lebensmittelbetriebe aufs Korn genommen. Die Pflicht, jede Reinigung einer Maschine zu dokumentieren, sei für kleine Bäckereien und Metzgereien eine unzumutbare Belastung. Deshalb wurde eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, nach der Betriebe bis zehn Mitarbeiter befreit sind.

    Doch die Europäische Hygienerichtlinie wurde für Schlachthöfe und Großmolkereien geschrieben und sieht ausdrücklich vor, dass solche Dokumentationspflichten nur erfüllt werden müssen, wenn die Betriebsgröße das erlaubt. Aber gegen die Entschlossenheit der Bürokratiejäger war kein Argument gewachsen, klagt Ludger Fischer vom Mittelstandsverband UEAPME:

    "Diese Ausnahme der Kleinbetriebe ist ein Schuss nach hinten, denn die Kleinbetriebe waren nie in einer vollen Dokumentationspflicht für ihre Hygienemaßnahmen. Sie waren durch einen Leitfaden, den die Europäische Kommission in Zusammenarbeit mit uns herausgegeben hat, längst von der Dokumentationspflicht befreit. Und jetzt wird zusätzlich noch einmal der Kleinstbetrieb mit maximal zehn Mitarbeitern von der Dokumentationspflicht befreit. Das ist eine doppelt gemoppelte Veranstaltung, die möglicherweise dazu führen könnte, dass Betriebe ab elf Mitarbeitern voll in die Dokumentationspflicht kommen - und das war durchaus gegen unser Interesse."

    In der ursprünglichen Hygienerichtlinie waren die Bedenken der Kleinunternehmen längst eingearbeitet. Anders als eine nationale Regierung hat die EU-Kommission keine parlamentarische Mehrheit hinter sich. Für jeden Vorschlag muss sie 27 Regierungen überzeugen. Und die schauen genau hin, welche Auswirkungen jede neue Regelung für ihre heimische Wirtschaft hat. Im Schnitt werden europäische Gesetzesentwürfe fünf Jahre lang weichgespült und mit Ausnahmen durchlöchert.

    Das Ausmaß der europäischen Bürokratie werde grob überschätzt, meint Mittelstandsvertreter Ludger Fischer. In der Regel ersetze ein europäisches Gesetz 27 nationale Gesetze. Nach den Erfahrungen seiner Klientel sind es nicht die EU-Richtlinien, die den großen Verwaltungsaufwand verursachen, sondern lokale Behörden und vor allem die Krankenkassen, die alles dreimal belegt und bestempelt haben wollen.

    "Bürokratie entsteht immer nur auf den unteren und alleruntersten Ebenen, von Beamten, die sich in ihrer Arbeit täglich absichern wollen. Und dadurch entsteht Bürokratie, die unseren Unternehmen zu schaffen macht."

    Richtig unsinnige oder nutzlose EU-Vorschriften hat auch der Anti-Bürokratie-Beauftragte Edmund Stoiber nicht gefunden. Die meisten seiner Vorschläge zielen auf eine Ausweitung bestehender Ausnahmeregeln. Den großen Wurf aber will er mit einer einzigen Gesetzesänderung erreichen, die es in sich hat: Firmenrechnungen sollen künftig auch ohne Unterschrift möglich sein.

    Denn viele Unternehmen wollen Rechnungen nicht mehr auf Papier, sondern per E-Mail verschicken. Das geht schneller und ist billiger. Doch die meisten Finanzminister sperren sich. Sie fürchten, dass der Betrug mit Umsatzsteuern zunimmt, wenn Rechnungen keine Unterschrift mehr tragen. Auch der deutsche Finanzminister verlangt deshalb: Wenn Rechnungen per E-Mail gestellt werden, dann nur mit elektronischer Signatur.

    Doch die ist teuer. Stoiber glaubt, dass die europäische Wirtschaft mit der Umstellung auf einfache elektronische Rechnungen 16 Milliarden Euro einsparen könnte. Manchmal spricht er auch von 18 Milliarden. Das wäre fast die Hälfte der Summe, die der Anti-Bürokratie-Beauftragte Edmund Stoiber der europäischen Wirtschaft jährlich zurückgeben will. Das Beispiel zeigt vor allem, worum es beim Bürokratieabbau wirklich geht, nämlich um die Alternative: mehr Freiheit für die Wirtschaft oder mehr Sicherheit. Die Bankenkrise hat gezeigt, dass der Verzicht auf Vorschriften teurer werden kann als die Vorschriften selbst. Bürokratieabbau ist eine politische Frage, das weiß jetzt auch Stoiber:

    "Wenn man mehr Sicherheit haben will, kriegt man mehr Regelungen; wenn man mehr Regelungen hat, kriegt man mehr Bürokratie. Insoweit sind wir alle ein bisschen janusköpfig. Wir sind alle gegen Bürokratie, gleichzeitig fordern wir alle mehr Sicherheit durch den Staat in vielen Bereichen."