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Kampf gegen zwei Gegner

Onkologie. - Das Medulloblastom ist einer der aggressivsten Hirntumore bei Kindern. Es beginnt im Kleinhirn und bildet schnell Metastasen aus. Kanadische Onkologen haben jetzt festgestellt, dass Mutter- und Tochtergeschwulste so unterschiedlich sind, dass sie kaum mit einer einzigen Therapie erreicht werden können.

Von Volkart Wildermuth | 16.02.2012
    Man muss seinen Feind kennen, um ihn bekämpfen zu können. Das ist eine alte Militärweisheit, die auch Krebsärzte beherzigen. Der Weg dazu ist offensichtlich: sobald die Chirurgen den Tumor entfernt haben, werden seine Besonderheiten im Labor genau ausgespäht und die Therapie danach ausgerichtet. Das ist auch der Ansatz von Dr. Michael Taylor, einem Neurochirurgen vom "Hospital for Sick Children", der Klinik für kranke Kinder in Toronto. Er beschäftigt sich mit dem Medulloblastom.

    #"Das Medulloblastom ist ein Hirntumor. Es ist die häufigste aggressive Tumorform bei Kindern und eine wichtige Ursache von Tod und Behinderungen bei Kindern in Nordamerika und Europa."

    Das Medulloblastom wuchert im Kleinhirn, das unter anderem die Feinsteuerung der Bewegungen überwacht. Wenn die Kinder zum Arzt kommen, weil sie dauernd hinfallen oder unter starken Kopfschmerzen leiden, dann haben viele von ihnen neben dem ursprünglichen, dem Primärtumor, schon Metastasen, Tochtergeschwulste in anderen Hirnregionen oder im Rückenmark. Auf der Suche nach neuen Ansatzpunkten für eine Therapie hat Michael Taylor in einem Mausmodell nach genetischen Besonderheiten des Medulloblastoms gesucht. Sowohl in der großen Tumormasse, als auch in den Metastasen fanden sich viele genetische Veränderungen.

    "Wir waren überrascht. Nur zehn Prozent der Mutationen waren identisch. Das hatte niemand erwartet. Wir dachten, die Metastasen würden dem primären Tumor ähneln."

    Und das gilt nicht nur für den Mäusekrebs, sondern auch für menschliche Medulloblastome. Für die großen Unterschiede zwischen Primärtumor und Metastasen gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Tochtergeschwulste sind in diesem Tumortyp nicht das letzte Ereignis in der langen Krebsentwicklung. Vielmehr spalten sich die Metastasen schon früh ab, und von da an sammeln der Primärtumor und die Tochtergeschwulste unabhängig voneinander weitere Mutationen an. Taylor:

    "Wir sahen das Medulloblastom als eine einheitliche Diagnose. Jetzt sieht es so aus, also ob die Kinder gleichzeitig zwei unterschiedliche Krankheiten haben: den Primärtumor und die Metastasen. Das bedeutet, dass eine Therapie gegen den Primärherd wahrscheinlich gar nichts gegen die Metastasen ausrichten kann."

    Dafür sprechen auch klinische Beobachtungen. In der Hälfte der Fälle reagieren beim Medulloblastom Primärherd und Metastasen unterschiedlich auf die Therapie. Kein Wunder, wenn die Kinder gleichzeitig unter zwei recht verschiedene Krebsformen leiden. Michael Taylor hat aber nicht nur schlechte Nachrichten. So zeigt seine Studie, dass zumindest die Metastasen eines Patienten einander sehr ähnlich sind. Sie sollten also alle auf die gleichen Wirkstoffe reagieren. Die genetische Analyse von Michael Taylor hat auch einen konkreten Ansatzpunkt für die Bekämpfung der Metastasen beim Medulloblastom identifiziert.

    "Es gab einen Signalweg, der immer wieder in den Metastasen gestört war. Er hängt mit dem Insulin ähnlichen Wachstumsfaktor zusammen. Das ist eine gute Nachricht, denn es gibt dafür schon Medikamente. Unsere Befunde sprechen dafür, Kinder mit Metastasen aus einem Medulloblastom mit solchen Medikamenten zu behandeln, sie könnten wirksam sein."

    Klinische Studien werden allerdings noch Jahre in Anspruch nehmen. Bis auf weiteres bleiben nach der Operation also nur die klassischen Optionen Bestrahlung und Chemotherapie. Deren Nebenwirkungen sind aber gerade im sich entwickelnden Gehirn der Kinder erheblich. Die Ärzte suchen deshalb nach gezielten Therapien. Wenn sie Erfolg haben wollen, dann werden sie die beiden parallelen Krankheiten gleichzeitig angehen müssen, den Primärtumor und die Metastasen. Und dieses doppelte Vorgehen, so vermutet Michael Taylor wird sich auch bei weiteren Tumoren als notwendig erweisen, denn ein Krebs kann aus zwei Krankheiten bestehen.