Samstag, 20. April 2024

Archiv


Kampf um Deutungshoheit über den 1. Mai

Im Zentrum des Interesses vor allem des amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy stehen die Wähler des Front National. Und er nutzt nun den 1. Mai für eine eigene Kundgebung - und eine eigene Interpretation des Tages.

Von Ursula Welter | 30.04.2012
    Seit 20 Jahren ist der 1. Mai in Frankreich der Tag des Aufmarsches der Rechtsextremen. Marine Le Pen darf die Rede halten, seit sie Parteichefin ist, und der unvergleichlichen Jeanne d'Arc, wie sie sagt, huldigen. Der Ikone des radikalen "Front National", dessen Parteizentrale im Westen von Paris bewacht wird von grobschlächtigem Sicherheitspersonal und einer Statue der Jungfrau von Orléans.

    Der Präsident läuft uns immer hinterher, mit jeder Initiative, sagte Jean-Marie Le Pen, der greise Vater der Parteichefin im Januar. Da hatte Nicolas Sarkozy gerade eine Rede auf Jeanne d'Arc und die "Grandeur" Frankreichs gehalten, das Kämpferische an ihr gelobt.

    Sarkozys Verbeugung vor Jeanne d'Arc werde ihm auch nicht nutzen, frotzelte Vater Le Pen, seine Tochter Marine habe "die längeren Beine".

    Jetzt, wenige Monate später, triumphiert die Familie Le Pen erneut. Die Kandidatin der radikalen Nationalen Front belegte Platz drei im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Sie ist in die Rolle des Königsmachers gerutscht. Der Aufmarsch ihrer Partei wird diesmal besonders beachtet werden, denn Madame Le Pen will morgen eine Art Wahlempfehlung aussprechen, mit der wehrhaften Jungfrau im Rücken.
    15. Jahrhundert gegen 19. Jahrhundert. Die Gewerkschaften rufen ebenfalls, sie tun es in Frankreich seit 1891, zur Kundgebung. Und diesmal gibt es eine dritten Termin im Kalender:

    "Ich habe gehört, dass der scheidende Präsident und Kandidat den Tag der wahren Arbeit feiern will an diesem 1. Mai. Heißt das, es gibt falsche Arbeit in Frankreich?"

    Fragt François Hollande, der Spitzenkandidat der Sozialisten und Favorit für den zweiten Wahlgang am 6. Mai. Tatsächlich hat Nicolas Sarkozy diesen Dienstag ausgewählt, um – wie einst Jeanne d'Arc – das Blatt zu wenden. Mit einer Großkundgebung zum Thema Arbeit und mit klarer Stoßrichtung gegen die aus Sicht Sarkozys verkrustete Welt der Gewerkschaften.

    "Ist der 1. Mai Privatbesitz von Monsieur Hollande?"

    Kontert Sarkozy und sagt, es müsse über die fatale 35-Stunden-Woche gesprochen werden, ein Erbe der Sozialisten, über die hohen Lohnnebenkosten und die Absicht Hollandes, die jüngsten Reformen im Falle des Wahlsieges wieder rückgängig machen zu wollen.

    "Le Pen an der Statue von Jeanne d'Arc, die Gewerkschaft CGT mit ihren roten Fahnen, haben wir da nicht auch das Recht auf eine Kundgebung am 1. Mai?"

    Der Präsidentschaftskandidat Sarkozy habe ihnen den Kampf angesagt, schimpfen nicht erst seit dieser Ankündigung die Gewerkschaften. Seit er im Wahlkampf ist, sagt Sarkozy offen, manche Syndikate seien die eigentlichen Blockierer in der französischen Gesellschaft. Und siehe da: Die mächtigste Gewerkschaft, die CGT, unterstützt, obwohl zur Neutralität verpflichtet, offen die Kandidatur des Sozialisten François Hollande.

    "Der 1. Mai, das ist nicht der Tag der Arbeit, wie Sarkozy behauptet – so ist der Tag einst vom Chef der Vichy-Regierung Pétain deklariert worden."

    sagt Jean-Claude Mailly, Erster Sekretär der Arbeitergewerkschaft FO.

    "Das ist vielmehr ein Tag der Solidarität und der Lohnforderungen, in Frankreich und in der ganzen Welt."

    "Nein", ruft auch François Hollande, "dass es diesen Tag gibt, gründet in dem Wunsch zusammenzustehen und würdevolle Arbeit zu verlangen."

    Der Kandidat der Sozialisten will der Konkurrenz der Veranstaltungen und politischen Deutungen auf seine Weise entkommen. Er reist nach Nevers in Zentralfrankreich, wo er an den Todestag des einstigen Premierministers von François Mitterrand, Pierre Bérégovoy, erinnern will.