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Kampf um die sozial Schwachen

Das Hochhausviertel liegt auf einer Anhöhe von Lyon. Hier wohnen überwiegend Einwandererfamilien aus Nordafrika. Es ist früher Abend. In einem Hauseingang vertrödeln fünf kleine Kinder die Zeit, warten, dass die Eltern heimkommen. Eine Ärztin, die auf dem Weg zu Hausbesuchen ist, streicht dem ältesten Mädchen übers Haar, erkundigt sich nach Mutter und Vater. Seit 30 Jahren praktiziert sie schon in diesem Viertel. Die Bewohner sind ihr ans Herz gewachsen. Als Hausärztin kennt sie ihre Sorgen und Nöte. Neuerdings beobachtet sie eine Entwicklung, die ihr nicht gefällt.

Von Bettina Kaps | 11.11.2005
    " Seit ein, zwei Jahren stellen viele Menschen ihre Religion zur Schau. Junge Mädchen, die ich von klein auf kenne, tragen auf einmal Schleier. Vielleicht haben sie wirklich Lust dazu. Ich glaube aber eher, dass die Familien und das Viertel Druck machen. Die Kleine da im Eingang ist heute normal gekleidet. Aber in letzter Zeit kam sie häufig vollkommen verschleiert in meine Praxis, von Kopf bis Fuß. Und das mit sieben Jahren! So etwas gab es früher nicht. Die Familien hier bewachen sich gegenseitig. Die Konzentration so vieler Einwanderer an einem Ort ist nicht gut. "

    Beim Schleier allein bleibt es nicht. Junge Männer lassen sich einen Bart wachsen, setzen weiße gehäkelte Mützen auf den Kopf und tragen weite Bedouinenmäntel, die Dschellabah. Im Viertel heißen sie "die Afghanen". Der Name erinnert an Kämpfer, die in Afghanistan den Dschihad gegen die Sowjetunion geführt haben und dann in andere Länder gingen, in denen Muslime gegen so genannte Ungläubige kämpfen. Was wollen die jungen Franzosen mit ihrem Afghanenlook ausdrücken? Vermutlich wüssten sie es selbst nicht, meint die Ärztin.

    " Wir sagen das so leicht spöttisch: 'die Afghanen', aber die jungen Leute nennen sich selbst so. Ich weiß nicht, ob einige von ihnen Salafisten sind, ob sie überhaupt ahnen, was das heiß: Salafismus. Bei ihnen herrscht solcher Bildungsmangel! Die meisten flicken sich ihre Religion zusammen: Sie zeigen sich demonstrativ als Muslime und zugleich saufen sie und nehmen Drogen. Für sie ist dieser Look ein Erkennungszeichen. Wir sprechen doch immer nur abfällig über sie, Wertschätzung kennen sie nicht. Als Afghanen existieren sie wenigstens für die Gesellschaft, selbst wenn sie nur am Fuß der Hochhäuser herumhängen. Jetzt haben sie wenigstens einen Namen. "

    Der Salafismus nistet sich ein. Seit Jahren predigen fundamentalistische Imame in der Moschee des Viertels. Einer von ihnen war Abdelkader Bouziane, ein ehemaliger Patient der Ärztin. Der Algerier studierte den Islam zwei Jahre lang in Saudi-Arabien, von dort brachte er den Salafismus nach Lyon. Es ist eine rückwärtsgewandte fundamentalistische islamische Bewegung. Vor einem Jahr machte Bouziane Schlagzeilen: In einem Zeitungsinterview sagte er, der Koran erlaube es, seine Frau zu schlagen, vor allem wenn sie ihren Mann betrogen habe. Der Imam wurde daraufhin hastig aus Frankreich ausgewiesen und in Abwesenheit zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

    Der Soziologe Samir Amghar ist einer der besten Kenner dieser Religionsrichtung, die sich seit Anfang der 90er Jahre in Frankreich und Europa ausbreitet.

    " Der Salafismus ist eine politisch-religiöse Bewegung aus dem Mittleren Osten. Die Salafisten sind der Auffassung, dass die islamischen Gesellschaften heute einen Niedergang erleben. Um zum Goldenen Zeitalter zurückzukehren, greifen sie auf die ursprünglichen Texte zurück. Sie nehmen den Koran wortwörtlich und wollen den Islam so leben, wie er von den Salaf, also den Gefährten des Propheten, gelebt wurde. "

    Salafisten haben ein einfaches Lebensmodell mit klaren Vorschriften und Verboten. Wenn sie zweifeln, ob sich der französische Alltag auch wirklich mit ihrem Glauben verträgt, versammeln sie sich in kleinen Gruppen zu Telefonkonferenzen: Jeder gibt Geld, und dann rufen sie einen saudischen Gelehrten an, der ihnen sagt, ob es erlaubt ist, eine Französin zu heiraten, oder ob ein Salafist in einer Firma arbeiten darf, wo er kein Gebet verrichten kann.

    Nach Schätzungen des französischen Geheimdienstes gibt es in Frankreich nicht mehr als 5.000 Salafisten. Etwa 40 Moscheen sind fest in ihrer Hand. Angesichts von 6 Millionen Menschen muslimischer Kultur sind die Salafisten zahlenmäßig unbedeutend. Ihre Kompromisslosigkeit übt jedoch auf die sozial benachteiligten jungen Menschen der französischen Vorstädte eine starke Anziehung aus.

    " Der Salafismus wirbt vor allem in den unteren sozialen Schichten um Anhänger, weil er sich als Verteidiger der Armen und Ausgeschlossenen ausgibt; dazu gehören auch Menschen, die sich als Opfer von Rassismus und Islamfeindlichkeit fühlen. Der Salafismus sagt: Du bist ausgeschlossen, weil du Muslim bist. Du verkörperst eine Wahrheit, die die westliche Gesellschaft verabscheut, deshalb zeigt man mit dem Finger auf dich. "

    Salafisten wollen sich nicht integrieren. Sie leben mit eigenem Verhaltenskodex, einer Parallelwirtschaft und eigenen religiösen Aktivitäten. Laut Angaben des französischen Geheimdienstes haben sich bereits mehr als 300 Wohnviertel vom übrigen Land abgeschottet. In diesen Siedlungen, so heißt es in einem Bericht, lösten die Menschen ihre Probleme parallel zu den Institutionen des Staates. -- Der radikale Bruch mit der Gesellschaft kann sich in Hass verwandeln. Der Salafismus gilt als Bewegung, die gewalttätiges Handeln psychologisch vorbereitet. Deshalb wird sie vom französischen Geheimdienst streng überwacht.

    Der Soziologe Samir Amghar sagt, Staat und Gesellschaft hätten die jungen Muslime in Frankreich schon lange ausgeschlossen.

    " Bevor ein Jugendlicher Salafist wird, steht er in seiner Vorstadtsiedlung schon im Abseits. Er lebt an einem Ort, der einen schlechten Ruf hat und als gefährlich gilt. Der Salafismus gibt seiner Lebenssituation eine religiöse Legitimation. Anschließend verstärkt er dieses Ausgeschlossensein noch, indem er erklärt, dass es sich dabei um eine religiöse Pflicht handele. Er sagt: Wenn du ein guter Muslim sein willst, darfst du die Werte der Gesellschaft nicht teilen. Du musst die französische Gesellschaft meiden. "

    "Les Minguettes", so heißt das Hochhausviertel von Vénissieux. Auf einer zugigen Hochebene am Rand der Stadt ragen 55 Wohntürme in den Himmel. Hier leben fast 30.000 Menschen. Die Zahlen sprechen für sich: 40 Prozent der Bevölkerung von Vénissieux ist jünger als 25 Jahre. Zwei Drittel von ihnen stammen aus Einwandererfamilien. Die Arbeitslosigkeit beträgt 18 Prozent und bei Berufsanfängern sogar fast das Doppelte: Jeder Dritte unter 25 ist arbeitslos. Heute hat das Viertel "Les Minguettes" den Ruf, ein Zentrum von Islamisten zu sein. -André Gérin ist Parlamentarier und seit 20 Jahren Bürgermeister von Vénissieux. Der Kommunist kann den Niedergang seiner Stadt nicht aufhalten.

    " Ein Teil der "Minguettes" ist völlig verarmt. Dort gibt es dramatische Fälle, viele Menschen verelenden wirtschaftlich, sozial, seelisch und kulturell. Das eigentliche Problem ist ja nicht der Islam, sondern die Beschädigung unserer modernen Gesellschaft. "

    Für die Franzosen ist der Name "Les Minguettes" ein Synonym für Gewalt in den Städten. Dort brachen 1981 die ersten Jugendkrawalle aus: Brennende Autos und wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei zeigten dem Land, dass in den Trabantenstädten eine orientierungslose Jugend heranwächst, für die es in der Gesellschaft keinen Platz gibt. Damals traten die Immigrantenkinder erstmals ins Bewusstsein der französischen Öffentlichkeit. Die Fernsehbilder von damals ähneln denen von heute - nur dass sich die Unruhen vor einem Viertel Jahrhundert noch nicht zum Flächenbrand ausbreiteten.

    Aber in "Les Minguettes" formierte sich zwei Jahre später auch der berühmte "Marsch für die Gleichheit": Im Winter 1983 brach eine Handvoll von Immigrantenkindern in der Siedlung auf, um gegen Rassismus zu protestieren. Aus einer Silbenverdrehung des Wortes "arabes" - Araber - entstand damals in der Vorortsprache das Wort "Beur". So nannten sich die Einwandererkinder selbst. Die Bewegung der Beurs forderte Gerechtigkeit und Integration.

    Ihre Initiative stieß auf ein ungeheures Echo. Zehntausende schlossen sich an und strömten sternförmig auf Paris zu. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Frankreich seine Einwanderer zumeist als Gäste betrachtet, die nach getaner Arbeit wieder nach Hause gehen würden. Nunmehr aber forderte die erste Generation, die in Frankreich geboren und aufgewachsen war, ihre Anerkennung als Teil der französischen Gesellschaft.

    Der landesweite Demonstrationszug weckte enorme Hoffnungen - doch sie wurden enttäuscht: An der desolaten Situation der Immigrantenkinder hat sich bis heute nichts geändert. Entsprechend tief sitzen die Frustrationen der heutigen Jugend: Ihre Viertel sind hässlich, ihre Schulen schlecht, ihre Berufschancen gering. Das fängt schon bei einfachen Schulpraktika an: viele finden keinen Platz, weil ihre Namen arabisch oder afrikanisch klingen. An Chancengleichheit glauben sie längst nicht mehr. Und den Begriff "Beur" lehnen sie inzwischen ab - mit assimilierten Arabern, die ihre ursprüngliche Identität aufgegeben haben, haben sie nichts gemein.

    Auf diesem sozialen Trümmerfeld gedeihe der Islamismus, sagt der Bürgermeister von Venissieux, Andre Gerin:

    " Es gibt Leute, die vom Unglück der Menschen und insbesondere vom Unglück der Jugendlichen profitieren. Bei mir ist der Groschen gefallen, als ich erfahren habe, dass zwei Jungs aus Vénissieux in der US-Basis Guantanamo auf Kuba inhaftiert waren. Für mich sind es halbe Kinder, sie waren damals erst 20 und 21 Jahre alt. "

    Im Januar 2004 machte das Viertel "Les Minguettes" wieder negative Schlagzeilen: In einer spektakulären Polizeiaktion wurden der Imam Benchellali mit Frau und Sohn und sowie drei Jugendliche festgenommen. Der Verdacht lautete auf Verbindungen zur fundamentalistischen Terror-Szene. Menad Benchelalli, ein zweiter Sohn des Imams, sitzt im Gefängnis, weil er ein Attentat auf die russische Botschaft in Paris geplant haben soll. Mourad Benchellali, der dritte Sohn, war gemeinsam mit seinem Freund Nizar nach Afghanistan gegangen, wo er US-amerikanischen Soldaten in die Hände fiel.

    Bürgermeister Gerin kannte die Familie Benchelalli persönlich. Er wirkt hilflos. Aber zugeben, dass er vielleicht Fehler gemacht hat, will er nicht. Opposition und Medien betonen, dass er es war, der radikalen Predigern und islamistischen Vereinen Tür und Tor geöffnet hat. Aus wahltaktischen Gründen. Und weil die Prediger in der Siedlung für Ruhe sorgen.

    Das tun sie auch heute wieder, wenn Jugendliche ihr eigenes Viertel blindwütig und selbstzerstörerisch in Brand stecken. In einigen Siedlungen ziehen Muslime mit erhobenen Armen an den Wohntürmen vorbei und fordern ihre Glaubensbrüder zur Besonnenheit auf. Sie drängen zugleich in eine Lücke, die der Staat entstehen ließ, indem er den nicht-religiösen Vereinen die Gelder strich. Die religiösen Vereine platzieren sich jetzt als Gesprächspartner auch für gesellschaftliche Probleme.

    Der Bürgermeister von Venissieux versteckt sich heute hinter dem Präfekten und den staatlichen Behörden: Sie hätten ihn nicht über die Gefahr der islamistischen Vereine informiert. André Gerin fühlt sich mit den Problemen alleingelassen, die ihm längst über den Kopf gewachsen sind.

    Azzedine Haffar lässt diese Verteidigungsreden nicht gelten. Der 39Jährige ist Stadtrat in Décine-Charpieu, einer Nachbarstadt von Lyon. Der junge Politiker macht Gerin schwere Vorwürfe.

    " Venissieux ist ein Musterbeispiel: Jahrelang haben die Muslime den Bürgermeister gebeten, den Bau eines zentrales Gotteshauses zu genehmigen, sie wollten eine Moschee für alle Einwohner der Stadt. Selbst der Rektor der Großen Moschee von Lyon hat ihn mehrmals aufgesucht, um das Projekt voranzubringen: Ein Gebäude, das für die ganze muslimische Gemeinschaft repräsentativ gewesen wäre. Aber Gérin wollte keine zentrale Moschee. Er ließ zu, dass sich die kleinen Moscheen und Gebetsräume vervielfachten, und die sind dann unkontrollierbar geworden. Nach einigen Jahren wurde klar, dass dort Fundamentalisten predigen. In Städten, wo es eine zentrale Moschee gibt, kennen sich alle. Dort sind die Muslime zu identifizieren. Aber in Venissieux gibt es noch immer Moscheen in Kellerräumen. Das ist gefährlich und wir wissen ja jetzt, wozu es geführt hat. "

    Haffar gehört zur sogenannten schweigenden Mehrheit der französischen Muslime. Sein Vater kam mit 17 Jahren aus Algerien nach Frankreich und arbeitete auf dem Bau. Obwohl der Sohn eine solide Ausbildung als Buchhalter hat, wurde er bei seinem ersten Vorstellungsgespräch mit dem Argument abgelehnt, dass seine algerische Abstammung dem übrigen Personal missfallen könnte… Heute kämpft er gegen jede Art von Diskriminierung und hat dazu den "Verein der Gewählten aus den Vorstädten" gegründet.

    Der engagierte Stadtrat ist ein Beispiel dafür, dass es in den Einwanderfamilien aus Nordafrika nicht nur Problemkinder gibt, sondern dass auch eine gebildete Mittelschicht heranwächst, die Einfluss ausüben will. Allerdings nimmt auch in dieser Gruppe nimmt die Religiosität zu. Haffar selbst praktiziert nicht, respektiert aber den Ramadan und die muslimischen Feste. Er verlangt, dass der gemäßigte Islam in Frankreich gefördert wird.

    " Der französische Islam tut sich schwer, er sucht noch seinen Platz. Der Islam des Mittleren Ostens, der Islam, der in Saudi-Arabien oder Kuwait praktiziert wird, ist ein salafistischer Islam. Er hat absolut nichts gemein mit dem Islam, den wir in Frankreich kennen, den fortschrittlichen sunnitischen Islam des Maghreb. Wenn wir nicht gemeinsam mit dem Staat dafür kämpfen, dass der französische Islam hier Fuß fasst, dann werden wir von religiösen Vereinen überrollt, die in ihrem Bekehrungseifer Frauen zwingen, sich von Kopf bis Fuß verschleiern, wie man es jetzt schon an vielen Orten sehen kann. Das ist nicht der Islam, mit dem ich aufgewachsen bin. Diesen Islam will ich nicht in meinem Land, in Frankreich. "

    Die muslimische Vereinigung von Villeurbanne, einer Stadt im Osten Lyons, ist schon ein viertel Jahrhundert alt. Bis 1995 beteten die Muslime dort in einem kleinen Raum, der ihnen von katholischen Nonnen zur Verfügung gestellt wurde. Als der Saal die Gläubigen nicht mehr fassen konnte, zogen sie in eine alte Lagerhalle um. An deren Stelle steht jetzt ein strahlend weißes Gebäude mit orientalisch anmutenden Fenstern, dem die Handwerker in diesen Tagen den letzten Schliff geben: die Moschee Othmane.

    Azzedine Gaci ist Direktor der Moschee. Stolz führt er Besucher durch den neuen Gebetsraum für die Männer im Erdgeschoss, dann über die Empore in den ersten Stock, wo die Frauen beten sollen, bis ins Dachgeschoß. Dort ist Platz für eine Bibliothek und für fünf Klassenräume, in denen Arabisch, islamische Kulturgeschichte und der Koran unterrichtet werden sollen. Eine Tatsache ist dem Direktor besonders wichtig:

    " Wir haben unsere Moschee zu 100 Prozent mit französischem Geld finanziert. Wir haben ausdrücklich beschlossen, kein ausländisches Geld anzunehmen. Denn wir wollen einen französischen Islam entwickeln, der weder von Algerien noch von Marokko oder Tunesien abhängig ist. Wenn Saudi-Arabien eine Million Euro spendet, dann gibt es dazu eine ganze Liste, auf der steht, was man sagen darf oder nicht. Aber wir, Franzosen muslimischer Konfession, wollen hier in Frankreich selbst bestimmen, was wir sagen, denken und glauben. Wir kennen unser Land, und wir müssen selbst Antworten auf die Sorgen und Anliegen finden. Wir wollen hier, in unserer Moschee, finanziell, politisch und intellektuell unabhängig sein. "

    Das sind neue Töne. Bisher wurden alle großen Moscheen in Frankreich wie selbstverständlich mit arabischem Geld aus dem Ausland finanziert. Dabei stammt Azzedine Gaci selbst aus dem Ausland. Er wurde 1963 in einer Vorstadt von Algier geboren und kam erst mit 22 Jahren zum Studium nach Frankreich. Heute ist er Doktor der Physik, besitzt neben der algerischen auch die französische Staatsbürgerschaft und unterrichtet an einer Hochschule für Ingenieure. Obwohl er - wie so viele Prediger in Frankreich - keine theologische Ausbildung hat, übernimmt er in seiner Moschee gelegentlich die Freitagspredigt.

    Der schmächtige Mann mit dem schütteren blonden Bart beeindruckt sowohl die Muslime in seiner Region als auch die offiziellen Gesprächspartner - Bürgermeister, Präfekten und Regierungsbeamte. Seine deutlichen Worten und sein versöhnliches, aber zugleich selbstbewusstes Auftreten kommen an.

    " Heute haben alle verstanden, dass die Muslime nicht nur ein Problem darstellen, sondern dass sie auch Teil der Lösung sind. Es ist unmöglich, ohne die Muslime Antworten für die Muslime zu finden. "

    Die Union der islamischen Organisation in Frankreich hat am Sonntag eine Fatwa ausgesprochen. In diesem religiösen Rechtsspruch verurteilt sie die Krawalle. Als Vorsitzender des regionalen Muslimrates hat Gaci alle Imame seiner Region aufgefordert, in ihren Predigten zur Ruhe zu mahnen. Aber er richtet auch deutliche Worte an die Politiker: sie müssten sich in ihrer Wortwahl zurückhalten, dürften die Bevölkerung der Vorstädte nicht stigmatisieren. Worte, die eindeutig auf Innenminister Sarkozy zielen, der von "Gesindel" sprach.

    Gaci wurde kürzlich noch als Fundamentalist bezeichnet. Inzwischen gehört er zu den Muslimen, auf die der französische Staat große Hoffnung setzt. Leute wie er könnten den französischen Islam von morgen prägen.