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Kandidatin für Linken-Bundesvorsitz
Susanne Hennig-Wellsow und der pragmatische "Thüringer Weg"

Susanne Hennig-Wellsow wurde bundesweit bekannt, als sie Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsidenten Kemmerich bei dessen Wahl den Blumenstrauß vor die Füße warf. Die Kandidatin für den Linken-Bundesparteivorsitz gilt als pragmatisch und politisch flexibel - genau darüber könnte sie auf dem Parteitag stolpern.

Von Henry Bernhard | 18.09.2020
Spitzenkandidatin für den Linken-Bundesvorsitz: Susanne Hennig-Wellsow, Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, 04.09.2020
Susanne Hennig-Wellsows "Thüringer Weg": Morgens gegen die AfD demonstrieren, mittags mit den Fraktionspartnern streiten, abends zusammen tanzen gehen (dpa ZB / Martin Schutt)
Starke Bilder brauchen keinen Ton. Als der Liberale Thomas Kemmerich am 5. Februar nur zwei Minuten nach seiner Wahl seine Vereidigung als Ministerpräsident hinter sich hatte, stellten sich die Gratulanten an. Als erste in der Reihe standesgemäß die Vorsitzende der größten Fraktion, der Linken, Susanne Hennig-Wellsow. Rote, gelbe, weiße Blüten landen nur wenige Zentimeter vor Kemmerichs Schuhen.
"Ich finde, man darf dem Unanständigen nicht mit protokollarischen Anstand begegnen. Also, wenn das Protokoll quasi gebrochen wird, das demokratische Protokoll, dann kann man das nicht hinnehmen."
Schlagartig bundesweit bekannt nach Blumenwurf
Der Blumenwurf nach Kemmerichs überraschender Wahl durch AfD, CDU und FDP machte Susanne Hennig-Wellsow schlagartig bundesweit bekannt. In Thüringen war man über ihre schroffe Geste weniger verwundert. Hatte Hennig-Wellsow doch schon ein Jahr vor der Landtagswahl verkündet:
"Die Losung ist: ‚Ramelow oder Barbarei!‘ Schaffen wir es nicht, dann weiß ich nicht, wo uns das hinführt."
Die Frau, die zuspitzen kann
"Bodo oder Barbarei" gab es später auch auf Leinenbeutel gedruckt. Die Linke Susanne Hennig-Wellsow ist nicht um Zuspitzung verlegen. Aber es hat nicht noch einmal gereicht für eine rot-rot-grüne Mehrheit in Thüringen, ihre Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow ist von der CDU abhängig. Das heißt auch für die Partei- und Fraktionsvorsitzende: Kompromisse suchen. Noch mehr als zuvor mit Sozialdemokraten und Grünen.
Janine Wissler (Die Linke), Fraktionsvorsitzende ihrer Partei bei einer Sondersitzung des hessischen Landtags
Kandidatin für Linken-Bundesvorsitz - Janine Wissler - ihr Herz schlägt links
Die Fraktionschefin der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler, will neue Bundesvorsitzende ihrer Partei werden. In mehr als einem Jahrzehnt Parlamentsarbeit hat sie sich Respekt quer durch die Fraktionen verschafft.
"Das Land muss regiert werden, wir brauchen Stabilität. Wir haben Corona. Unsicherheit kann sich keiner von uns erlauben. Wobei ich auch sage: Auch das hat Grenzen. Alles das, wo das Parlament zustimmen muss, ja, da reden wir miteinander. Alles, was unter der Zustimmung des Parlament läuft, da ist die CDU keine Regierungspartei.
Pragmatisch und kompromissbereit
Kompromisse gelingen ihr durchaus geschmeidig. Auf Absprachen mit ihr könne man sich verlassen, bestätigen auch Christdemokraten. Gerade in den Verhandlungen mit der CDU nach dem Rücktritt des Kurzzeit-Ministerpräsidenten Kemmerich erweckte Hennig-Wellsow fast als einzige den Eindruck, einen klaren Plan zu haben.
"Also erst mal guten Morgen in Thüringen! Wieder Ein neuer Tag in Absurdistan!"
Während die CDU-Verhandler nach dem Abgang von Parteichef Mike Mohring lange von "Verantwortung" schwurbelten, kam die Linke schnell auf den Punkt.
"Unsere Auffassung bleibt: Es muss der erste Wahlgang passen mit einer demokratischen Mehrheit. Sonst stellen wir Bodo Ramelow nicht auf. Okay. Schönen Tag!"
Gefestigte linke Überzeugung
Susanne Hennig-Wellsow ist als pragmatisch bekannt, aber dahinter steckt eine gefestigte linke Überzeugung. Sie ist Mitbegründerin der "Antikapitalistischen Linken", die vom Bundes-Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird.
"Ich habe 2007 in dem Gründungsjahr der Partei Die Linke den Gründungsaufruf unterschrieben. Und auch wenn ich den heute lese, war der nicht falsch, weil ich ja durchaus eine radikale linke Vorstellung von Politik habe. Ich habe mich aber nicht dafür entschieden, weiter in der AKL, also der Antikapitalistischen Linken, aktiv zu sein. Das hat eher mit der Art, wie sie sich entwickelt hat, selbst zu tun. Insofern ist es keine Distanzierung."
Vorwurf mangelnder China-Kritik
Vor vier Jahren reiste eine Delegation der Linken auf Einladung der dortigen Kommunistischen Partei nach China. Hennig-Wellsow führte die Delegation an. Ihre Koalitionspartner von SPD und Grünen waren davon nicht begeistert. Dem Bericht einer Mitreisenden der Linken ist viel Bewunderung für den chinesischen Sozialismus und kein einziges kritisches Wort zu entnehmen. Ein Text, der so auch 1988 im SED-Blatt Neues Deutschland hätte stehen können. Auch Hennig-Wellsow verteidigt die China-Reise. Sie glaubt, Einfluss auf die chinesischen Genossen zu haben.
"Ich teile nicht die Mitte der chinesischen Kommunistischen Partei, also auch nicht die Führungsstruktur. Und, und, und. Was falsch ist, ist falsch. Und das muss man auch so benennen Umerziehungslager, Vertreibung, undemokratische Strukturen. Und es war durchaus für die Chinesen nicht leicht. Und trotzdem würde ich mir wünschen, dass gerade meine Partei des Öfteren ein kritisch-solidarisches Verhältnis zu China unterhält, anstatt so ein unausgesprochenes Nicht-Verhältnis, weil man damit natürlich auch ein Stückchen weiter Einfluss hätte auf die Verhältnisse möglicherweise in China."
Allerdings finden sich keine öffentlichen Äußerungen Hennig-Wellsows zu China: keine Kritik an Umerziehungslagern, keine Fotos oder Social-Media-Meldungen wie sonst bei Politikerreisen üblich.
Als eine Delegation der Thüringer CDU vor zwei Jahren Gespräche mit führenden Vertretern von Viktor Orbáns Regierungspartei Fidesz geführt hatte, erregte sich Hennig-Wellsow dagegen sehr darüber, dass die CDU gänzlich unkritisch blieb.
Plädoyer für den "Thüringer Weg"
Die 42-jährige Linken-Politikerin scheint zu großer politischer und ideologischer Flexibilität fähig. Oft hat sie sich weit links rausgelehnt und hat dann doch sehr pragmatisch gehandelt. Das nennt sie den "Thüringer Weg".
"Was meint der Thüringer Weg? Wir demonstrieren als Linke in Thüringen morgens gegen die AfD, blockieren die Straße. Mittags regieren wir und streiten uns um den besten Weg, auch möglicherweise mit den Koalitionspartnern. Aber am Abend gehen wir noch mal tanzen und Biertrinken zusammen." Es ist offen, inwieweit ihre Genossen auf dem Parteitag diese Flexibilität schätzen.