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Kanzlerfrage
"Völlig klar, dass Markus Söder das Zeug dazu hat"

In der Coronakrise habe CSU-Chef Markus Söder eine gute Figur gemacht, sagte der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der 2002 als Kanzlerkandidat der Union angetreten war, im Dlf. Als Kanzlerkandidat käme Söder definitiv in Frage, zuerst müsse aber die CDU ihre Führungsfrage klären.

Edmund Stoiber im Gespräch mit Christine Heuer | 14.07.2020
Edmund Stoiber, ehemaliger CSU-Vorsitzender (l), und Markus Söder, CSU-Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, begrüßen sich zu Beginn des CSU-Parteitags 2019
Edmund Stoiber und Markus Söder auf dem CSU-Parteitag 2019 – Söder habe die Qualitäten "ein Land wie Deutschland zu regieren", sagte Stoiber im Dlf (picture alliance/dpa/Matthias Balk)
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zu Besuch in Bayern und erläutert im Schloss Herrenchiemsee dem bayerischen Kabinett ihre Pläne für die EU-Ratspräsidentschaft. Dabei trifft sie auch CSU-Chef Markus Söder, den viele Bürger und sogar CDU-Mitglieder für einen gar nicht mal so schlechten Kanzlerkandidaten halten würden.
Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber war 2002 Kanzlerkandidat der Union. Wir haben mit ihm sowohl über einen möglichen Kanzlerkandidaten Markus Söder als auch über die Herausforderungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gesprochen.
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Nach dem angekündigten Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer sucht die Partei im Dezember einen neuen Vorsitzenden. Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz haben ihre Kandidatur erklärt. Jens Spahn hat bereits seine Verzicht erklärt.
Christine Heuer: Es sind schöne Bilder zu erwarten in Herrenchiemsee. Erklären Sie den Nichtbayern unter uns bitte einmal, was das Besondere an diesem besonders bayerischen Ort ist.
Edmund Stoiber: Na ja, es ist natürlich die Geburtsstunde der deutschen Verfassung, des größten Verfassungswerkes in Deutschland, das uns seit 1949 zu einem außerordentlich starken liberalen Rechtsstaat gemacht hat. Das Grundgesetz ist ein Glücksfall für unser Land nach diesen schrecklichen Zeiten im 20. Jahrhundert, nach dem Zweiten Weltkrieg, und es ist gelungen, eine Antwort zu geben in der Tradition der Freiheit Deutschlands, aber auch in der ganz klaren Absage zu dem, was sich unter Nazi-Deutschland entwickelt hat. Da hat das Grundgesetz eine gewaltige Bedeutung, und da vor allen Dingen die Länder und auch unter der Führung des damaligen Leiters der bayerischen Staatskanzlei, Herrn Pfeiffer. Der Herrenchiemseer Konvent im August 1948 – es waren, glaube ich, 14 Tage-, in einem heißen Sommer im August waren die Edlen des Verfassungskonventes zusammen und haben unter Leitung der bayerischen Staatskanzlei ein großartiges Werk geschaffen, das ja dann später vom Parlamentarischen Rat verabschiedet worden ist und seit 1949 unser Grundgesetz ist, wobei man auch noch sagen muss, dass in der Tat Bayern das einzige Land war, das dem Grundgesetz nicht zugestimmt hat 1949. Aber weil sie wie die Bayern sind, haben sie natürlich gesagt, wir stimmen deswegen nicht zu, weil es zu zentralistisch ist. Aber wenn zwei Drittel der anderen Bundesländer in Deutschland zustimmen, dann gilt unsere Ablehnung nicht.
Heuer: Herr Stoiber, da weht, ich höre es deutlich, ein bisschen Berlin durch Bayern. Wollen wir zuerst auf Brüssel gucken, bevor wir auf das kommen?
Stoiber: Ja! Ich meine, man muss vielleicht dazu noch sagen für denjenigen, der sich das nicht so immer vorstellen kann: Die bayerische Staatsregierung hat geöffnet. Viele, viele Repräsentanten der Wirtschaft, der Politik außerhalb Bayerns sind in das Kabinett gekommen. Historisch sicherlich die Kabinettssitzung auch unter meiner Leitung in Brüssel, mit dem damaligen Präsidenten Barroso. Dass heute allerdings zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin, ein Bundeskanzler, um es genauer in der Historie zu sagen, das ist schon großartig, weil es auch deutlich macht die Bedeutung Bayerns für die Entwicklung in Deutschland und in Europa, aber auch die enorme Herausforderung, die Angela Merkel hier spürt. Das ist vielleicht eine letzte große Herausforderung für Angela Merkel und ich drücke alle Daumen, dass es ihr gelingt, vor allen Dingen den Haushalt und das Wiederaufbauprogramm mit 750 Milliarden Euro durchzusetzen.
"Das kann Italien und Spanien alleine nicht schaffen"
Heuer: Herr Stoiber, ein ganz, ganz kleines bisschen verwundert das. Die Corona-Aufbauhilfe könnte der Einstieg sein durch die Hintertür in die Schuldenunion. Grundwerte gegen Populisten verteidigen, auch das kann Ihnen als Freund von Viktor Orbán eigentlich nicht gefallen. Machen Ihnen die Schwerpunkte von Angela Merkel für die EU-Ratspräsidentschaft nicht auch ein bisschen Bauchschmerzen?
Stoiber: Nein, weil das eine Ausnahmesituation ist. Das muss man ganz deutlich sagen. Natürlich sind Prinzipien das Verbot für die Europäische Union, Schulden aufzunehmen, das Verbot für die Europäische Union, Steuern zu erheben. Das sind ja die Grundlagen des europäischen Vertrages von Lissabon aus dem Jahre 2009. Da gibt es natürlich bestimmte Ausnahmeregelungen und wir haben jetzt mit Corona einen derartigen Rückschlag in der ökonomischen Wirtschaft in Europa. Das kann zum Beispiel Italien mit einem Rückgang von zwölf Prozent in diesem Jahr gegenüber Deutschland mit sechs Prozent, das kann Italien und Spanien alleine nicht schaffen.
Heuer: Zu den besten Freunden der CSU gehört ja Sebastian Kurz. Der österreichische Kanzler ist nicht so ganz glücklich mit diesem Aufbauprogramm und der Möglichkeit, dass die EU da gemeinsame Schulden aufnimmt. Wem stehen Sie da jetzt eigentlich näher in dieser Frage, dem österreichischen Kanzler oder der deutschen Kanzlerin?
Stoiber: Ich glaube, der Grundsatz ist richtig von Sebastian Kurz: Wir fördern Dich, wir geben Kredite. Das ist ja heute schon möglich. Der ESM-Topf ist ja für Italien bereitet, außerordentlich günstige Kredite zu bekommen. Aber der Rückschlag für einige Länder in Europa ist so gravierend, dass ich hier voll der Meinung von Frau Merkel bin, hier brauchen wir auch Zuschüsse, denn Italien ist so verschuldet, hat etwa 170 Prozent seines Bruttosozialprodukts in Schulden. Das muss man sich mal vorstellen. Eigentlich wären 60 Prozent nur gestattet. Und wir wissen in der Zwischenzeit gerade auch als Exportland, wenn wir in Europa solche Ungleichgewichte haben, das heißt einen Wachstumsrückgang von acht Prozent, aber einzelne Länder haben zweistellige Rückgangszahlen, vor allen Dingen Italien, aber Spanien und Griechenland muss man auch dazurechnen, die Südeuropäer in besonderem Maße, dann müssen wir hier helfen mit Zuschüssen, damit dieses Land aus seiner Misere herauskommt und diesen überproportionalen Rückgang auffangen kann, weil sonst Europa nicht stabil genug bleibt, und auch Deutschland. Ich meine, wir sind das Exportland Nummer eins. 60 Prozent, das wissen alle. Wenn wir unsere Waren in diesem großen Industrieland Italien mit über 60 Millionen Einwohnern, ein Herzstück Europas, nicht in dem Sinne absetzen können, dann trifft das die Deutschen fundamental in ihrer Substanz als Exportland. Also haben wir ein elementares nationales Interesse, das zu europäischen dazukommt, den Italienern zu helfen, und hier, muss ich sagen, wird Sebastian Kurz auch noch…
Söder habe auf Corona "besonnen reagiert"
Heuer: Tun wir ja auch, Herr Stoiber. Herr Stoiber, lassen Sie uns noch schnell nach Deutschland gucken. Da ist ja Corona auch das wichtigste Thema. Welcher Politiker hat sich denn da bislang am besten bewiesen, dass er Krisen meistert, dass er Pflicht kann, wie Markus Söder sagt?
Stoiber: Corona war natürlich eine außerordentliche Herausforderung, die größte seit dem Zweiten Weltkrieg, wie Angela Merkel das sagt. Die Politik in Deutschland hat gut reagiert. Die Bundesregierung hat gut reagiert. Der bayerische Ministerpräsident hat besonnen reagiert und absolut im Vorrang, wir müssen die Infektionsketten brechen, wir müssen Leben schützen. Das war die absolute Priorität. Er ist vorangegangen mit schnellen Schließungen der Schulen, schnellen Eingriffen, und das hat letzten Endes ja auch Wirkung gezeigt. Er hat hier eine "bella figura" gemacht und hat natürlich gerade auch durch seine Haltung und seinen Beitrag als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, der er ist, gezeigt, dass er solche Krisenherausforderungen bewältigen kann. Natürlich schafft ihm das ein hohes Ansehen und Zustimmung, wenngleich ich mich in diese Intonierung nicht so einreihen will. Die schönen Bilder, das ist völlig richtig. Die Bilder symbolisieren etwas. Aber die Frage ist: Wir haben eine Kanzlerin, die hat eine riesen Aufgabe.
Heuer: Herr Stoiber! Aber die ist nicht mehr lange da. Kann Söder Kanzler?
Stoiber: Darum geht es doch jetzt nicht. Ich sage das ganz offen. Das ist eine Diskussion, die die Medien ganz besonders beschäftigt. Aber wir haben eine Kanzlerin. Wir wählen im September des Jahres 2021 und wir haben jetzt diese europäische Herausforderung zu bewältigen. Da müssen alle zusammenarbeiten, alle starken Persönlichkeiten. Markus Söder als bayerischer Ministerpräsident ist für mich ein "primus inter pares" – immer schon. Bayern ist das älteste Land und in der Zwischenzeit auch das ökonomisch stärkste Land und hat damit eine ganz besondere Herausforderung. Markus Söder füllt diese Rolle exzellent aus und zusammen mit der Bundeskanzlerin wird er einen wichtigen Anteil leisten, dass vor allen Dingen Europa vorankommt.
Was mir ganz wichtig ist: Diese Veränderung in Europa – wir werden von diesen 750 Milliarden Wiederaufbauprogramm über 200 Milliarden von Deutschland zahlen. Das muss ich den Deutschen erklären, dass wir das tun müssen.
Beobachtung eines blauen Gels, das die Reinheit der im Labor produzierten Antigene bewertet.
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Heuer: Herr Stoiber! Das könnte ja der Markus Söder großartig machen, weil er sich ja jetzt in der Coronakrise auch sehr gut bewährt hat. Aber alle sagen, Kanzlerkandidat kann einer von der CSU nur werden, wenn die CDU ihn bittet. Sie haben das selber erlebt beim Frühstück in Wolfratshausen, mit Angela Merkel zusammen. War es damals ein Fehler zuzugreifen?
Stoiber: Nein. Das ist ja immer eine Aufgabe der CDU/CSU. Die CDU wählt jetzt im Dezember ihren Vorsitzenden. Nach der Wahl des neuen Vorsitzenden werden sich die beiden Vorsitzenden, werden sich die beiden Parteien, in welcher Zusammensetzung auch immer, Gedanken machen, wie können wir jetzt unter neuer Führung dieses Land in eine gute Zukunft führen, die Kanzlerschaft Angela Merkels (CDU) durch einen Kanzler der Union fortzusetzen. Das ist jetzt nicht zu entscheiden. Dass es exzellente Kandidaten gibt und dass der bayerische Ministerpräsident zeigt, dass er Krise kann, dass er ein Land regieren kann und dass er natürlich auch die Qualitäten hat, ein Land wie Deutschland zu regieren, steht außer Zweifel. Aber das ist jetzt nicht zu entscheiden.
Heuer: Aber die Umfragen sind unglaublich gut für Markus Söder. Abschlussfrage, Herr Stoiber: Wäre es heute ein Fehler, nicht zuzugreifen, wenn die CDU es anbietet? Oder anders gefragt: Stehen die Chancen 2021 für einen CSU-Kanzlerkandidaten besser als 2002?
Stoiber: Aber Sie müssen doch immer sehen – entschuldigen Sie bitte. Sie gehen mir zu stark von den Umfragen aus. Nominieren tun das die CDU und die CSU. Sie müssen der CDU erst einmal die Möglichkeit geben, im Dezember sich neu zu finden unter neuer Führung, ohne Vorbelastung unter neuer Führung. Danach, wenn die Führung steht, dann ist es von beiden zu entscheiden, wer soll jetzt die Verantwortung als Kanzlerkandidat der Union übernehmen. Es ist doch völlig klar, dass Markus Söder das Zeug dazu hat, aber die Frage ist ja, wie findet sich das. Das muss im Konsens gehen und das muss zu der Zeit entschieden werden, zu der es entschieden werden muss. Sie können nicht jetzt, bevor der Parteivorsitzende der CDU – bevor die CDU eine neue Führung hat, kann man doch solche Fragen nicht präjudizieren. Das wäre nicht angemessen im sehr guten Verhältnis zwischen CDU und CSU.
Heuer: Wir haben es trotzdem versucht.
Stoiber: Ja!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.