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"Kanzlerin bleibt relativ unangetastet"

Die große Mehrheit hält Angela Merkel in der NSA-Affäre für unglaubwürdig. Dennoch legt die Union bei Umfragen zu. Schaden würde dies für die Bundestagswahl nur dann, wenn der Kanzlerin nachgewiesen würde, dass sie bewusst die Unwahrheit gesagt habe, glaubt Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Martin Zagatta | 27.07.2013
    Martin Zagatta: Auch eine deutliche Mehrheit der Unionsanhänger hält Angela Merkel in der NSA-Affäre für unglaubwürdig. Und dennoch können die Unionsparteien ihren Vorsprung auf die SPD in Umfragen noch vergrößern. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls der jüngste "DeutschlandTrend" der ARD. Klaus-Peter Schöppner ist der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Emnid und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schöppner!

    Klaus-Peter Schöppner: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Schöppner, Ihre Zahlen sagen ja ganz Ähnliches, die große Mehrheit ist unzufrieden mit der Aufklärungsarbeit der Bundesregierung, hält selbst Angela Merkel in der NSA-Affäre für unglaubwürdig. Und dennoch legt die Union noch zu. Ist das nicht paradox?

    Schöppner: Ja, das sieht auf den ersten Blick paradox aus. Die Deutschen finden es natürlich überhaupt nicht gut, dass sie sozusagen einen Teil ihrer außenpolitischen Souveränität verlieren, dass sie sozusagen machtlos gegenüber den Machenschaften der US-Amerikaner sind. Auf der anderen Seite wissen sie um ihre Hilflosigkeit, sie wissen, dass auch eine mögliche von der SPD geführte Regierung da nichts besser machen könnte, nichts mehr erreichen würde. Und insofern wissen die Deutschen auch, da ist viel Wahlkampfgetöse dabei. Und angesichts der Tatsache, dass die Abhöraffäre eines der unwichtigeren Themen ist, die die Deutschen derzeit tangieren, bleibt die Kanzlerin relativ unangetastet.

    Zagatta: Ist das so? Denn wenn Ihre Zahlen stimmen, die Zahlen der Meinungsforscher, dann sagt ja jetzt die große Mehrheit, Angela Merkel belügt uns, was die NSA-Affäre angeht, aber sie soll Kanzlerin bleiben. Das ist doch auch …

    Schöppner: Ich glaube nicht, dass die Deutschen meinen, sie belügt uns. Die Deutschen sehen sehr wohl, dass sich die Bundesregierung in einer schwierigen, sozusagen Lose-lose-Situation befindet. Was sollen sie machen? Wenn sie alles offenlegt, dann setzt natürlich der Sturm der Entrüstung ein. Wenn sie versucht, stark zu thematisieren, wenn sie versucht, sozusagen bestimmte Forderungen an die USA zu stellen, dann wissen die Deutschen, das ist eigentlich auch ein Unterfangen, was nicht geht. Denn wir dürfen nicht vergessen, die Amerikaner fühlen sich im Krieg, eine Reduktion der Terrorgefahr steht bei ihnen über alles. Und zum anderen haben sie natürlich einen informationstechnologischen Vorsprung, den wir Deutschen möglicherweise verschlafen haben. Also, insofern können die Amerikaner in dieser Situation schon machen, was sie wollen, vereinfacht gesagt, mit uns, und dass man da versucht, ein Thema nicht sehr stark zu thematisieren, nicht in die Öffentlichkeit zu bringen, das können die Amerikaner verstehen. Die Deutschen sind sehr unglücklich, weniger über die Möglichkeit, die die Regierung hat, die die Opposition hat, sondern dass die Amerikaner hier in gewisser Weise mit uns verfahren. Aber sie sehen keine Alternative. Insofern wird das hingenommen und ich sage noch mal, es ist ein eher unwichtiges Thema, denn das Thema Zukunft, das Thema Renten und Sicherheit, Demografie, das Thema Wirtschaft in einer Globalisierung und Finanzmarkt in einer sich globalisierenden Welt, das sind die Zukunftsthemen. Und insofern ist dies etwas, was mehr oder weniger entgegen den Vorstellungen, den Wünschen und Intentionen der Bürger derzeit eine Bedeutung bekommt, die das Thema eigentlich in der Entscheidungsfindung im politischen Prozess nicht hat.

    Zagatta: Sie sagen: eigentlich. Eigentlich war ja der Eindruck der vergangenen Jahre der, in Deutschland wird Datenschutz so wichtig genommen wie in keinem anderen Land. Sie sagen uns jetzt, die Bevölkerung sei wegen der Ausspähung gar nicht so beunruhigt, dass das dann wahlentscheidend wird. Ist Datenschutz also doch nicht so wichtig in Deutschland, wie wir das bisher gemeint haben?

    Schöppner: Nein, Datenschutz ist natürlich wichtig in Deutschland, es gibt auch eine Unsicherheit, was passiert angesichts der Big-Data-Diskussion, angesichts der immer größeren Möglichkeiten durch die Informationstechnologie im wirtschaftlichen Bereich mit meinen Daten, wie wird mit mir umgegangen, wie kann ich möglicherweise durch bestimmte Unternehmen vorgeführt werden, wie verliere ich meinen Überblick. Aber diese Ausspähaktionen, das sind ja für die Deutschen außenpolitische Ausspähaktionen, da glauben ja nur die Geringsten, dass hier also versucht wird, mit meinen Daten nun zu agieren. Denn was sollen die Amerikaner mit ihren Daten, mit unseren Daten. Also, das Ganze geht schon auf deutlich höherem Niveau.

    Zagatta: Herr Schöppner, wenn wir auf den Wahlkampf blicken, auf die Bundestagswahl in zwei Monaten, bisher haben wir ja gehört, Merkel ist das ganz große Pfund der Union, ihr vertrauen die Menschen. Jetzt ist das zumindest angekratzt, dieses Vertrauen, zum ersten Mal. Ist das noch eine Gefahr für die Union?

    Schöppner: Das ist schon eine Gefahr, Sie haben völlig recht. Der große Unterschied zwischen den beiden Kanzlerkandidaten ist das Vertrauen. Angela Merkel ist für die Deutschen eine offene Politikerin, der Kanzlerkandidat der SPD ist möglicherweise für viele der falsche Kandidat mit den falschen Themen, weil sein Lavieren am linken Rand der Parteien eher unglaubwürdig wird. Insofern kann das schon als Problem für Angela Merkel sich darstellen. Aber nur in einer Situation, wo ihr nachgewiesen wird, dass sie bewusst die Unwahrheit gesagt hat, nicht, wenn sie in dieser relativ komplexen Situation deutlich machen kann, dass sie nichts gewusst hat. Also, wenn sie, in Anführungsstrichen, überführt werden würde, dass sie hier deutliche Informationen gehabt hat und diese Informationen trotz entsprechender Fragen falsch beantwortet hat und sozusagen gelogen hat, dann ist natürlich ihr Vertrauen in gewisser Weise angekratzt, dann wird das zwar nicht so eine Wirkung haben, dass die Wahlen noch mal auf den Kopf gestellt werden, aber dann kann es schon zu einer etwas anderen Situation führen. Und entgegen dem "DeutschlandTrend" haben wir auch eine Situation bei unserer Sonntagsfrage, dass die Union von 42 auf 40 Prozent, also zwei Prozentpunkte verloren hat.

    Zagatta: Wenn Sie die SPD beraten müssten, wenn Sie Peer Steinbrück beraten müssten, würden Sie ihm dann jetzt sagen, auf diesem NSA-Skandal weiter herumzureiten, oder macht er damit, macht die SPD damit einen Fehler, weil die Leute das nicht so wichtig nehmen?

    Schöppner: Nein, sie macht damit einen Fehler, weil … Nicht, weil die Leute das nicht ganz so wichtig nehmen, sondern weil es unglaubwürdig wirkt. Ich sagte eben schon mal, dass die Deutschen auch angesichts der amerikanischen Dominanz nicht glauben, dass die SPD überhaupt in irgendeiner Weise mehr bewegen kann als die derzeitige Bundesregierung. Und dann sieht das sehr stark nach krampfhafter Suche eines Wahlkampfthemas aus. Das heißt also, es wird Parteiinteresse über Sachinteresse gestellt, das wollen die Deutschen nicht. Wenn man eine Empfehlung an den Kanzlerkandidaten der SPD geben sollte, dann ist die klare Empfehlung, hört auf mit dem Lagerwahlkampf. Denn Sie wissen ja, Rot gibt es nur in der Kombination mit Grün und es gibt in der Bevölkerung eine stärkere Sehnsucht nach einer großen Koalition, nach einer sozialen Korrektur einer möglichen Wirtschaftspolitik der CDU. Und insofern verliert die SPD, die auch bei uns bei 25 Prozent liegt, sehr in der politischen Mitte, die eigentlich ja Peer Steinbrück besetzen wollte. Allein aus dem Grunde, weil diese Wähler angesichts des trittinschen Steuerprogramms dann möglicherweise doch lieber für eine Neuauflage von Schwarz-Gelb sind, wenn schon die Große Koalition nicht kommt, als eine rot-grüne Bundesregierung zu haben. Also, die Empfehlung ist, öffnet euch zur Mitte hin und schließt eine Große Koalition nicht von Anfang an aus, sondern betrachtet diese durchaus als vom Wähler wünschenswerte Option.

    Zagatta: Könnte der NSA-Skandal zumindest die eine Auswirkung auf die Bundestagswahl noch haben, dass sie den Piraten hilft, vielleicht sogar hilft, über die fünf Prozent und in den Bundestag zu kommen?

    Schöppner: Ja, das hätte man auch eigentlich sich denken können, aber die Piraten liegen unabhängig von dieser Affäre bei drei Prozent. Die Piraten greifen derzeit nur Protestwähler ab und die Piraten haben auch hier in keiner Weise dieses Thema für sich besetzt, weil sie – so sehen es zumindest die Wähler – politisch handlungsunfähig sind. Sie sind sehr stark mit sich beschäftigt, sie haben innerparteiliche Schwierigkeiten auszutragen, sie gelten nicht als die seriösen politischen Gestalter. Und insofern machen sie den Fehler, dass sozusagen das Thema ihnen zugespielt wird, aber sie absolut unfähig sind, dieses aufzugreifen.

    Zagatta: Klaus-Peter Schöppner, der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Herr Schöppner, herzlichen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

    Schöppner: Bitte schön, alles Gute für Sie, tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.