Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Kapitalismuskritik
Schmaler Band mit großem Inhalt

Wolfgang Kaleck ist Strafverteidiger in Berlin und ein engagierter Streiter für die Menschenrechte. Zusammen mit seiner Co-Autorin Miriam Saage-Maaß gründete er vor acht Jahren das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Ihr aktuelles Buch "Unternehmen vor Gericht" liefert einen eindrucksvollen Einblick in ihre Arbeit im Kampf für mehr Gerechtigkeit.

Von Annette Wilmes | 25.04.2016
    Im Sommer 2012 starben Hunderte Arbeiterinnen und -arbeiter in einem Feuer, das im pakistanischen Karachi in einer Fabrik ausgebrochen war. Diese fertigte die Textilien für das deutsche Handelsunternehmen KiK. Im April 2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein und begrub 113 Menschen unter ihren Trümmern. Auch dort wurde für westliche Unternehmen produziert. Dass für diese mörderischen Arbeitsbedingungen nicht nur die Unternehmen in den betroffenen Ländern, sondern auch die global agierenden Firmen, die dort arbeiten lassen, verantwortlich gemacht werden sollten, darum geht es in diesem Buch. Wolfgang Kaleck:
    "Das Problem ist natürlich das System dieser Textilindustrie, wo halt eben die Produktionsstätten immer wieder dorthin wandern, wo die Leute zu billigsten Löhnen arbeiten müssen und wo die schlimmsten Arbeitsbedingungen herrschen, um die Produktionskosten niedrig zu halten.
    Also es ist ganz klar ein systemischer Fehler. Es lässt sich juristisch schwer angreifen. Deswegen gucken wir halt immer, wo sind überhaupt Angriffspunkte. Und es sind dann halt oft Exzesse, also Fälle, an denen sich ein bestimmter Missstand besonders gut nachvollziehen lässt. Und das sind halt dieser Zusammensturz der Fabrik in Rana Plaza in Bangladesch oder eben der Brand in Karachi 2012."
    Der Wunsch nach Gerechtigkeit
    Seit drei Jahren reist Miriam Saage-Maaß zusammen mit anderen Mitarbeitern ihrer Organisation immer wieder nach Indien, Pakistan und Bangladesh, um mit den dortigen Anwälten, Gewerkschaftern und Betroffenen darüber zu sprechen, wie sie sich gegen die krankmachenden und todbringenden Arbeitsverhältnisse wehren können.
    "Die ArbeiterInnen und Hinterbliebenen, die wir auf unseren Reisen nach Pakistan und Bangladesch kennenlernen konnten, unterscheiden sich stark von den Bildern der Berichterstattung unmittelbar nach den dortigen Bränden und Gebäudeeinstürzen, die vor allem hilflose, verzweifelte Opfer und das Chaos unzureichender Notversorgung zeigten. Jetzt fordern Betroffene, die sich zusammengeschlossen haben, Entschädigung und Gerechtigkeit."
    Angehörige eines Todesopfers des Brandes in Karachi und andere schwerstverletzte Brandopfer verklagten das deutsche Textilunternehmen Kik mit Sitz in Westfalen vor dem Dortmunder Landgericht auf Schadenersatz. Denn dass Kik Mitverantwortung an den schlimmen Zuständen in den Fabriken Südasiens trägt, steht für sie außer Zweifel. Neben der direkten Unterstützung von Menschenrechtsopfern geht es Wolfgang Kaleck aber um mehr:
    "Wir halten es für sehr wichtig, eine Reformdiskussion zu führen, denn die jetzigen Gesetze reichen nicht aus, um die Aktivitäten der Unternehmen zu erfassen. Also um da Transparenz überhaupt herzustellen und erst recht nicht, um die zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind."
    Die Politik der kleinen Schritte
    Wolfgang Kaleck und Miriam Saage-Maaß beschreiben eindringlich die Politik der kleinen Schritte und auch die vielen Rückschritte, die sie in ihrer Arbeit immer wieder erleiden. Sie arbeiten mit Menschenrechtsgruppen und Anwälten nicht nur in Asien, sondern auch in Afrika und Lateinamerika zusammen.
    "Dabei können auch juristische Niederlagen durchaus als Interventionen in politische und rechtliche Realitäten dienen und mittel- bis langfristig zu politischen Siegen beitragen. Denn sie problematisieren soziale, politische oder wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, entlarven die Rechtswirklichkeit als unerträglich, setzen öffentliche Debatten in Gang und stoßen politische und rechtliche Veränderungen an."
    Im Sudan wurde unter der Ägide eines großen Konzerns aus Deutschland ein Staudamm gebaut. Vor der Inbetriebnahme des Staudamms gab es keine Umsiedlungspläne. Die Siedlungen wurden überflutet, die Menschen verloren ihr Vieh, ihre Felder und Häuser. Sie standen vor dem Nichts. Gegen die Verantwortlichen des Konzerns läuft jetzt ein Strafverfahren in Deutschland.
    In Argentinien wird den beiden Automobilkonzernen Mercedes Benz und Ford vorgeworfen, sich an der Repression gegen Gewerkschafter beteiligt zu haben. In Kolumbien wurde 2005 ein Gewerkschafter der Schweizer Firma Nestlé gefoltert und ermordet. Ein Fall, der in der Schweiz aufgeklärt werden sollte, was aber aus formellen Gründen scheiterte.
    "Das sind sehr dicke Bretter. Die Fälle sind aber enorm wichtig, weil in dem Moment, wo man es schafft, dass die Gewerkschaften repressionsfrei agieren können, haben sie auch eine viel größere Chance, politisch in Richtung vernünftiger Arbeitsbedingungen wirken zu können."
    Neben der Arbeit an den konkreten Problemen wollen Miriam Saage-Maaß und Wolfgang Kaleck auf keinen Fall ihr eigentliches Ziel aus den Augen verlieren: Das ist nichts geringeres als globale Gerechtigkeit.
    In bemerkenswerter Offenheit stellen Kaleck und Saage-Maaß ihre eigene Rolle als Menschenrechtsaktivisten immer wieder infrage. Auch konstatieren sie, dass die Arbeit am Einzelfall im globalen System nichts unmittelbar ändern wird. Wolfgang Kaleck:
    "Aber auf der anderen Seite wird mit diesen Einzelfällen, und das kann eben mit Kampagnen, das kann mit aufklärerischen Artikeln, mit Dokumentarfilmen geleistet werden, wird eben einer größeren Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass da einiges im Argen liegt und dass sich was verändern muss.
    Aber es ist klar, wir westlichen Akteure müssen uns unserer Rollen sehr bewusst sein und dürfen vor allem auch nicht in paternalistische und an den Interessen der wirklich Betroffenen vorbeigehenden Aktivitäten uns ergehen. Das ist sehr wichtig und das erfordert immer wieder eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und mit den eigenen Privilegien."
    Zusammenhänge gut erklärt
    Auf knapp 120 Seiten liefern Wolfgang Kaleck und Miriam Saage-Maaß nicht nur eine Fülle von Informationen über die Arbeit ihrer Menschenrechtsorganisation ECCHR - European Center for Constitutional and Human Rights überall in der Welt. Sondern sie analysieren die komplizierten Zusammenhänge zwischen den wirtschaftlichen Machtverhältnissen und den Menschenrechtsverletzungen.
    Letztlich sind sie trotz der schwierigen Lage nicht hoffnungslos. Am Ende des Buches gibt es Leseempfehlungen für alle, die sich tiefer ins Thema einarbeiten wollen, außerdem eine Liste mit den juristischen Verfahren, über die in dem Buch geschrieben wurde. Ein schmaler Band mit großem Inhalt.
    Wolfgang Kaleck, Miriam Saage-Maaß: "Unternehmen vor Gericht", Globale Kämpfe für Menschenrechte, Politik bei Wagenbach, Berlin 2016. 128 Seiten, 9,90 Euro.