Freitag, 19. April 2024

Kapitel 5
Stasivergangenheit: Wiedersehen mit dem Stabschef

Berlin im September. Seit meinen ersten Recherchen für diese Sendung sind drei Monate vergangen. Ich habe mich im Studio 5 des Deutschlandradios noch einmal mit Hans-Jörg Nagel getroffen, dem Stabschef des Militärgefängnisses. Bei unserem ersten Treffen hatte mir Nagel nämlich eine Sache verschwiegen: Er arbeitete seit 1988 als inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit.

Von Benjamin Hammer | 29.09.2014
    Hans-Jörg Nagel (ehemaliger Stabschef): Für viele, die es heute nicht zugeben wollen, aber das weiß ich, hundert Prozent, wäre es mit heutigen Worten gesagt "total geil" gewesen, wenn sie hätten beim MfS arbeiten dürfen. Weil in der DDR war das MfS nicht nur so wie von den jetzigen Widerständlern geschildert, eine Institution des Bösen. Sondern es herrschte auch so ein Mythos "Agententätigkeit" und viele wären froh gewesen, wenn sie angeworben worden wären. Es war also aus meiner damaligen Sicht nichts frevelhaftes mit dem MfS zusammenzuarbeiten, wonach es bei mir sowieso als Stabschef in den Dienstpflichten stand: Zusammenarbeit, MfS mit der militärischen Führung.
    Benjamin Hammer: Zu Nagels Aufgaben gehörte es, das geht aus den Akten hervor, der Stasi konspirative Räume im Militärgefängnis zur Verfügung zu stellen. Nähere Details möchte der ehemalige Stabschef nicht nennen.
    Hans Jörg-Nagel hat, 25 Jahre nach dem Mauerfall, seine eigene Stasi-Akte noch nie gesehen. Im Studio 5 des Deutschlandradios setzt sich Nagel an einen großen Tisch und beugt sich über die Unterlagen.
    Porträtfoto von Hans-Jörg Nagel
    Hans-Jörg Nagel (Deutschlandradio/Benjamin Hammer)
    Nagel: "Kurt" ist richtig, als Deckname. Also mich hätte mal, und interessiert immer noch, wer auf mich angesetzt war. Weil ich weiß, aufgrund der Tatsache, dass ich irgendeine Aufgabe im Ministerium für Staatssicherheit übernehmen sollte, wurde auf meine ganze Familie ein Apparat angesetzt. Ich weiß 100 Prozent, dass auf meine Familie, Vater, Schwester, Leute angesetzt wurden um die Loyalität meiner Familie zu durchleuchten. Das weiß ich.
    Karteikarte für eine eine Stasiakte
    Karteikarte der Stasi-Akte von Hans-Jörg Nagel (Stasiunterlagenbehörde)
    Hammer: Und diese Akten sehen Sie jetzt zum ersten Mal?
    Nagel: Ja, Ja. Ist ja erstaunlich, mit welcher Akribie ... .Was die da schreiben ... jetzt weiß ich auch, was die da gemacht haben. 11/88 – das war nach meinem Kontakt zu diesen Leuten von der Auslandsspionage. Dass die Staatssicherheit alle Institutionen bis hin vielleicht zur kleinsten Brigade im Kombinat in gewisser Hinsicht im Griff hatte, das war uns klar. Aber wenn ich jetzt sehe: Ich war ja eigentlich keiner, der dagegen war, ich war ja einer, der dafür war, wie viel Arbeit man sich auch mit Leuten gemacht hat, die dafür sind. Also das versetzt mich jetzt ein bisschen in Erstaunen. Mit welcher Intensität hier gearbeitet wurde.
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