Freitag, 19. April 2024

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Kapitol-Erstürmung als Auftakt
"Trump wird jeden Tag seine Leute aufputschen"

Der Politikwissenschaftler Christian Hacke sieht den Sturm auf das Kapitol in Washington als Auftakt für den Widerstand von Donald Trump und seinen Anhängern gegen die Präsidentschaft von Joe Biden. Es gebe dagegen nur ein Mittel, sagte Hacke im Dlf: Biden müsse liefern.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk Müller | 07.01.2021
US-Präsident Donald Trump spricht zu seinen Anhängern
Nach der Rede Donald Trumps zu seinen Anhängern hatte der Politologe Christian Hacke mit "Rabatz" gerechnet, nicht aber mit derartigen Ausschreitungen im Kapitol in Washington (picture alliance / Captital Pictures)
In den USA ist es am Mittwoch (6.1.2021) während einer Sitzung des Kongresses in Washington zur Bestätigung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl zu Ausschreitungen gekommen. Anhänger von US-Präsident Donald Trump, der seine Niederlage nicht anerkennen will, demonstrierten zunächst vor dem Kapitol, durchbrachen dann Polizeiabsperrungen und stürmten das Gebäude schließlich. Vier Menschen kamen bei den Unruhen ums Leben.
Der Politikwissenschaftler Christian Hacke zeigt sich überrascht angesichts der Krawalle, verweist aber auf ein "Doppelbild" der USA, das man immer im Kopf haben müsse: Neben dem liberalen Amerika, das die großen US-amerikanischen Zeitungen zeigten, gebe es auch ein "ständiges Potenzial" für das undemokratische, rassistische, egozentrische andere Amerika. Hacke geht davon aus, dass die Amtszeit Joe Bidens als US-Präsident den "Rabatz" von Trump und seinen Anhängern als ständigen Begleiter haben wird.
Dirk Müller: Herr Hacke, wird Gewalt jetzt Methode?
Christian Hacke: Nun, das hat sich ja angedeutet. Natürlich ist man hinterher immer klüger, wenn man vom Rathaus kommt. Ich habe damit nicht gerechnet, aber es ist eine Kette der Steigerungen. Wenn man die Rede sich noch mal anschaut, die Herr Trump gestern gehalten hat, dann hatte ich erst in meinem naiven Gemüt gedacht, die gehen zum Kapitol und werden auch ein bisschen Rabatz machen, aber ich habe nie damit gerechnet, dass es zu diesen Ausschreitungen kommt.
Der Politikwissenschaftler Christian Hacke zu Gast in einer Talkshow
Der Politikwissenschaftler Christian Hacke (picture alliance/ dpa/ Horst Galuschka)

"Diesen Sturm sehe ich als eine Art Auftakt"

Müller: Für Sie ist das ganz klar, dass der Präsident genau das intendiert hat?
Hacke: Das vermute ich schon. Vermutlich gibt es dort auch interne Absprachen, die deutlicher machen würden, was er in dieser Sache intendiert hat, aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist für mich, dass ich diesen Sturm sehe als eine Art Auftakt von Trump und seinen Anhängern zu sagen: In der Präsidentschaft Biden wird es völlig anders sein als bei allen anderen Präsidentschaften vorher, nämlich wir werden ihn jagen. Und Trump wird jeden Tag per Tweet, wo auch immer, ob mit einem eigenen Sender, seine Lügen verbreiten und seine Leute aufputschen im Land und in Washington. Und das wird eine ganz schwierige Angelegenheit, dass Biden sich tagtäglich mit diesem Mann auseinandersetzen muss. Und da gibt es nur ein Mittel: Biden muss liefern, er muss erfolgreich sein. Dann kommt die gute Nachricht, natürlich jetzt die beiden Sitze, die Mehrheit für die Republikaner im Senat ist vereitelt. Das ist eine verstärkte Chance, dass er mit seinen Gesetzgebungsverfahren und den Reformen besser vorankommt.
United States President-elect Joe Biden delivers remarks from the Queen Theatre in Wilmington, Delaware on the unrest in and around the US Capitol in Wilmington, Delaware on Wednesday, January 6, 2021. In his remarks Biden condemned Trump for inciting the violence. Credit: Biden Transition via CNP
"Joe Biden hat die Aufgabe, die Nation zu befrieden"
Die USA-Expertin Constanze Stelzenmüller ist sich sicher, dass die Unruhen in den USA noch nicht vorbei sind. Donald Trump zeige keine Einsicht und Teile der republikanischen Partei stünden noch immer hinter ihm, sagte sie im Dlf.
Müller: Ich möchte da noch mal einhaken. Wir haben das eben in der Redaktion bei uns auch diskutiert, nämlich genau die Frage: Ist das der neue Auftakt von Widerstand, eventuell auch von gewaltsamem Widerstand, das heißt von einer völlig neuen Opposition?
Hacke: Absolut. Das ist der Auftakt. Und wir werden es auch schon bei der Amtseinführung sehen. Er wird ja vermutlich nicht dabei sein, aber er wird schon dafür sorgen, dass da Rabatz ist. Das wird schon bei der Amtseinführung eine ständige Begleitung sein. Und machen wir uns nichts vor, selbst wenn wir "New York Times" und "Washington Post" und den "New Yorker" lesen: Das ist zu einseitig.

"Unser liberales Amerikabild ist nicht komplett"

Müller: Das sind die falschen Zeitungen?
Hacke: Nein, das sind gute Zeitungen! Ich lese sie täglich, aber sie geben nicht das ganze Bild. Wir müssen ins Land schauen und da wissen wir natürlich zu wenig. Und ich denke, Jürgen Trittin hat heute nicht ganz Unrecht, ich habe ihn heute bei Ihnen gehört, wenn er sagt und uns darauf aufmerksam macht, dass ungefähr 45 bis 50 Prozent der Republikaner diese Aktion gutheißen. Und das heißt schon was. Das heißt, da ist ein ständiges Potenzial. Und wir müssen sehen, dass hier das Amerikabild, was wir hatten, auch was ich immer gepflegt habe, das liberale Bild, ist nicht komplett. Das ist Dr. Jekyll und Mr. Hyde, da ist nicht nur der schöne demokratische Ansatz, den wir sehen, sondern da ist auch das Undemokratische, das Rassistische, das Egozentrische, das Selbstgerechte, das andere Amerika.
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) im Plenarsaal des Bundestags
Trittin (Grüne) zur Kapitol-Erstürmung
Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin hat die Erstürmung des Kapitols in Washington als Putsch bezeichnet. Die republikanische Wählerschaft heiße diesen Umfragen zufolge sogar gut, sagte Trittin im Dlf. Warnungen seien vorab nicht ernst genommen worden.
Müller: Da sagen ja viele, das hat es immer schon gegeben, das andere wiederum, das zuerst von Ihnen genannte, hat sich letztendlich dann meistens ja durchgesetzt. Funktioniert diese Korrektivfunktion in den USA noch? Checks and Balances, und am Ende kommt dann doch demokratische Stabilität heraus?
Hacke: Ja und nein, Herr Müller. Einmal haben wir eine tolle Mobilisierung der Zivilgesellschaft gehabt in den Jahren. Wir haben natürlich auch den Wahlsieg, aber gleichzeitig die bedrückende Erkenntnis, dass wegen oder trotz der Tatsache, wie sich Trump im Amt benommen hat, das müssen wir jetzt nicht vertiefen, nach wie vor auch jetzt noch in Georgia mit einer hauchdünnen Mehrheit die Demokraten nur gewinnen. Und das zeigt mir, dass er viel uramerikanischer ist, als wir in Europa glauben. Ich glaube sogar, da ist bei ihm so etwas, ich weiß nicht, ob man uramerikanisch sagen kann: Er stilisiert sich ja zu einer Art modernem Jesse James, der als Rächer der Armen nun gegen die Reichen und Etablierten vorgeht. Dass das nicht die Realität ist, wissen wir.

"Topos des Rebellischen ist uramerikanisch"

Müller: Aber es wird ja angenommen von vielen.
Hacke: Ja, aber dieser Topos des Rebellischen ist uramerikanisch. Und das ist gestern kein Coup gewesen. Der Vergleich mit Europa, das ist kein Marsch auf Rom wie Mussolini, da gibt es keine Schutzstaffel wie bei Hitler, sondern das Ganze hat viel mehr etwas Rebellisches, etwas Unorganisiertes, Destruktives, voller Wut, ohne Ziel. Und das ist genauso gefährlich.
Müller: Haben Sie auch daran gedacht an Amerika und England, die Auseinandersetzung damals mit George Washington, liest man auch jetzt. Das heißt, es ist etwas Uramerikanisches, was ganz tief verwurzelt ist, vielleicht im Wilden Westen vor langer Zeit auch zu finden, das Recht in die Hand zu nehmen und dafür zu sorgen, dass es besser wird.
Hacke: Es ist ganz schwierig, jetzt auf einen Nenner zu kommen. Er ist unamerikanisch und er ist gleichzeitig uramerikanisch. Dieses Doppelbild der USA, das müssen wir immer im Kopf haben. Und das zeigt gleichzeitig, wie schwer es ist für Biden, jetzt seine Präsidentschaft erfolgreich zu machen. Eine Anmerkung noch: Es gibt keinen Grund für uns für Überheblichkeit. Die Sorge um Demokratie geht nicht nur anhand dieses Ereignisses um die USA, sondern das betrifft den ganzen Westen, betrifft auch unser Land. Der Bundespräsident hat auf die Parallele verwiesen vor ein paar Monaten, nicht der Sturm, aber so im Ansatz, auf den Reichstag. Es ist viel wichtiger, dass wir uns deutlich machen, dass Demokratie, das zeigt dieses Ereignis, nicht gegeben, sondern es ist uns aufgegeben. Institutionen sind nicht für die Ewigkeit, sie sind nicht natürlich, sondern das ist alles künstlich. Wir müssen das pflegen. Und Demokratie ist kein Naturzustand, sondern das ist fragil, kann kaputt getrampelt werden, um im Bild zu bleiben. Ich sage es nur im Ernst, und das ist der Schluss: Demokratien sterben von Innen aus Schwäche und nicht durch Angriffe von außen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.