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Kapriolen

Klimaforschung. - Durch den Klimawandel sollen Wetterextreme zunehmen - sagen die Klimaforscher. Ihr Problem: Diese Ausreißer von der Norm sind bislang so selten, dass sie statistisch schlecht erfasst werden können. Doch das ändert sich langsam.

Von Volker Mrasek | 08.11.2013
    Wetterextreme sind das, was wir am Klimawandel am meisten fürchten: eine Hitzewelle wie 2003 oder Sturzbäche von Regen und Überschwemmungen wie kürzlich wieder an Elbe und Donau. Doch ist es wirklich so, daß sich solche Ereignisse durch die globale Erwärmung häufen? Daß sie heftiger werden oder auch länger andauern? Für die Wissenschaft sei diese Frage im Moment noch schwer zu beantworten, sagt die Klimaforscherin Sonia Seneviratne von der ETH Zürich:

    "Das größte Problem bei der Behandlung von Extremereignissen ist, daß sie sehr selten auftreten, so daß statistische Analysen schwierig sind. Wir haben viel weniger Beobachtungsdaten über Extreme als über das normale Wettergeschehen."

    Doch die Forschung macht Fortschritte. Peter Stott sieht das auch im neuen Bericht des Weltklimarates IPCC dokumentiert. Der Mathematiker arbeitet im Klimaforschungszentrum des Britischen Wetterdienstes in Exeter. Stott befasst sich schwerpunktmäßig mit Wetterextremen und ihren Ursachen:

    "Der IPCC-Report liefert neue Belege dafür, daß auch Wetterextreme durch den Menschen beeinflusst werden. Die Zahl heißer Tage und Nächte hat zugenommen, und kalte Tage und Nächte sind seltener geworden. Wir sind uns heute zu über 90 Prozent sicher, daß das ohne den Klimawandel nicht so wäre. Durch ihn sind auch Hitzewellen häufiger geworden. Nicht ganz so sicher sind wir uns bei Starkniederschlägen, denn da klaffen Lücken in den Beobachtungsreihen."

    Ein Trend zu häufigeren Wetterextremen ist auf jeden Fall erkennbar. Die Welt-Meteorologie-Organisation analysierte das vergangene Jahrzehnt in einer Studie – und spricht von einer "Dekade der Klimaextreme". Das Jahr 2010 zum Beispiel brach sämtliche Niederschlagsrekorde; Pakistan versank damals in Megafluten.

    Aufschlußreich sind auch die Schadensdaten der Versicherungskonzerne. Peter Höppe leitet den Bereich "Georisikoforschung" bei der Munich Re, der Münchener Rückversicherung. Höppe verweist auf Asien. Dort habe es 1980 noch 75 Wetterextreme mit nennenswerten Schäden gegeben; heute seien es fast dreimal so viele pro Jahr:

    "Es gibt, und das muß man ganz klar sagen, keine einzige wetterbedingte Naturkatastrophe, die in den letzten Jahren passiert ist, die nicht auch ohne den Klimawandel denkbar und möglich wäre. Die Statistik allerdings verändert sich. Und das deutet natürlich schon darauf hin, daß hier der Klimawandel eine Rolle spielt."

    Die Versicherungswirtschaft rechnet jedenfalls mit steigenden Schadenssummen. Auch in Deutschland. Dort könnten sich zum Beispiel die Schäden durch stärkere Orkane nach den Kalkulationen im Laufe dieses Jahrhunderts verdreifachen. Wenn sich die Atmosphäre erwärmt, was sie im Zuge des Klimawandels tut, kann sie auch mehr Wasser aufnehmen - und später wieder als Regen ausschütten. Das, so Peter Stott, mache Starkniederschläge prinzipiell wahrscheinlicher:

    "Es gab eine Studie, bei der ich Ko-Autor war, über Starkniederschläge in Neuseeland im Dezember 2011. Sie brachten Rekord-Regenmengen: Innerhalb eines Tages fielen 450 Millimeter Niederschlag! Das hatte auch mit der wärmeren und feuchteren Atmosphäre zu tun. Die Wahrscheinlichkeit für extreme Niederschläge war dadurch erhöht - um fünf bis 15 Prozent nach unserer Kalkulation."

    Zu ähnlichen Schlüssen kommen Klimaforscher auch im Fall von Hitzewellen und Dürren. So litten Spanien und Portugal im vergangenen Winter unter ungewöhnlicher Trockenheit, die landwirtschaftlichen Erträge brachen stark ein. Auch hier bestätigen Computersimulationen laut Peter Stott den Einfluß des Klimawandels. Im Mittelmeerraum erhöhe die globale Erwärmung das Risiko für Dürren besonders stark. Die Gesellschaft sollte sich auf jeden Fall darauf einstellen, daß Wetterextreme im Zuge der Klimaerwärmung künftig häufiger und intensiver werden – auch in Mitteleuropa. Noch einmal die Zürcher Forscherin Sonia Seneviratne:

    "Erwartungsgemäß werden in Europa verschiedene Extreme zunehmen: heiße Tage und heiße Nächte, aber auch Starkniederschläge und Trockenperioden. Wenn wir nichts tun, um die Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre zu stoppen, könnte eine Hitzewelle wie 2003 am Ende des Jahrhunderts sogar alle zwei Jahre auftreten."

    Hinweis: Die ist der zweite Teil der Sendereihe Die Erde im Schwitzkasten.