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Kariesbefall
Bakterien machten schon in der Steinzeit Probleme

Faulende Zähne sind wohl schon wesentlich länger ein Problem als ursprünglich gedacht. Britische Forscher haben Belege dafür gefunden, dass die Bakterien schon in den Mündern von Jägern und Sammlern ihr Unwesen trieben. Schon damals hatten Menschen offenbar einen süßen Zahn.

Von Michael Stang | 07.01.2014
    In der Grotte des Pigeons im Osten Marokkos fanden seit ihrer Entdeckung vor mehr als hundert Jahren zahlreiche Ausgrabungen statt. Bei der letzten Grabungskampagne war auch Louise Humphrey vom Naturhistorischen Museum in London dabei.
    "Es ist eine sehr große Höhle, von der aus man einen guten Blick ins Tal hat. Sie liegt 700 Meter hoch, hat eine Süßwasserquelle und wurde seit mehr als 200.000 Jahren von Menschen genutzt. Im hinteren Teil haben wir viele Gräber gefunden, was sehr ungewöhnlich für Jäger- und Sammlergesellschaften ist, also dass sie so etwas wie einen Friedhof haben."
    Mehr als 180 Gräber der Nomaden konnte das internationale Forscherteam ausmachen. Die Anthropologin aus dem Vereinigten Königreich war für die Analyse der Zähne der Verstorbenen verantwortlich. Und diese zeigten unerwartete Spuren.
    Ungewöhnlich hohe Kariesrate
    "Wir haben bei diesen Menschen eine ungewöhnlich hohe Kariesrate ausgemacht. Bei den bleibenden Zähnen war mehr als jeder zweite Zahn befallen. Von den 52 Erwachsenen, die wir untersucht haben, hatten 49 Individuen an mindestens einem Zahn eine kariesbedingte Verletzung."
    Lediglich drei Gebisse waren kariesfrei. Eine solch hohe Rate sei für heutige Industrienationen nichts Ungewöhnliches, wo es viel raffinierten Zucker gibt und die Menschen viel verarbeitetes Getreide essen. Für eine steinzeitliche Gesellschaft sei ein solch massiver Kariesbefall jedoch äußerst ungewöhnlich.
    "Eben weil es sich bei diesen Menschen ja um Jäger und Sammler handelt, also Nomaden, die ihre Nahrung nicht selbst anbauen. Zudem lebten diese Menschen vor 15.000 Jahren. Bislang galt die Lehrmeinung, dass sich Karies erst mit Einzug von Ackerbau und Viehzucht, also zu Beginn der Jungsteinzeit mehr als 5.000 Jahre später, ausgebreitet hat, als die Menschen begannen, ihre Nahrung anzubauen."
    In Marokko lebten aber damals ausschließlich Jäger- und Sammlergesellschaften. Was haben diese Menschen also damals gegessen, was die Zahnfäule verursacht hat? Damit sich ein solch starker Befall in der ganzen Gesellschaft ausbreiten kann, muss die Ernährung überwiegend aus stärkehaltigen Lebensmitteln bestanden haben und zwar über große Strecken des Jahres hinweg. Zudem war bekannt, dass die Menschen damals dort häufig Schnecken gegessen haben. Diese verursachen zwar nicht direkt die Zahnfäule, aber viele Partikel in den Weichtieren reiben den Zahnschmelz ab und erleichtern dadurch einen Kariesbefall.
    Süße Eicheln möglicherweise eine Ursache
    "Generell ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. Zum einen muss es damals schon die kariesverursachenden Bakterien gegeben haben, zum anderen müssen die Menschen dereinst Nahrung zu sich genommen haben, die die Ausbreitung der Bakterien gefördert hat. Dazu passt auch, dass wir bei der Ausgrabung an Nahrungsresten vor allem Eicheln gefunden haben."
    Die essbaren Eicheln sind relativ süß. Diese Früchte wurden vermutlich unreif gesammelt und konnten nach der Trocknung lange gelagert werden. Zum Verzehr wurden sie zermahlen oder gekocht. Dies bedeutet einerseits, dass damit die Eicheln fast das ganze Jahr über vorrätig waren und damit die kariesverursachenden Bakterien permanent Nährstoffe bekamen. Ob es sich tatsächlich um den heute verbreiteten Erreger Streptococcus mutans handelt, wissen die Forscher nicht. Denn Erdschichten in die Ausgrabungsstätte in Marokko sind sehr warm und trocken. Dadurch konnte sich in den Zähnen kaum genetisches Material erhalten. Und damit können die Forscher eben noch nicht klären, welcher Erreger für die steinzeitliche Karies verantwortlich war. Andererseits bedeutet dies auch, dass diese Gesellschaft vor 15.000 Jahren vielleicht gar nicht so mobil war wie bislang angenommen. Denn wer große Vorräte anlegt und einen Friedhof Jahrtausende lang benutzt, wird vermutlich auch einen Großteil des Jahres, also auch unabhängig von saisonalen Rhythmen, dort verbracht haben.