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Karikaturisten in der Türkei
Meinungen zur Meinungsfreiheit

In den vergangenen Tagen haben in Istanbul gleich mehrere Demonstrationen stattgefunden - für und gegen den Nachdruck der Mohammed-Karikaturen aus "Charlie Hebdo" in der Zeitung "Cumhuriyet". Die Frage, wie weit freie Meinungsäußerung gehen darf, trifft auch in der Türkei auf äußerst unterschiedliche Antworten.

Von Reinhard Baumgarten | 25.01.2015
    Eine Frau blättert am 14.01.2015 in Istanbul in der Zeitung "Cumhuriyet", die vier Seiten der neuen Ausgabe von "Charlie Hebdo" als Beilage nachdruckte.
    Die "Cumhuriyet"-Ausgabe, in der vier Seiten aus "Charlie Hebdo" nachgedruckt wurden. (picture alliance / dpa - Mirjam Schmitt)
    Stellenweise gleicht der Istanbuler Stadtteil Şişli einem Heerlager. Dutzende von Bereitschaftspolizisten sind Tag und Nacht in schwerer Ausrüstung präsent, patrouillieren durch Straßen und bewachen vor allem ein spezielles Gebäude: Das Hochhaus der Tageszeitung Cumhuriyet. Nicht weit davon entfernt haben in den vergangenen zehn Tagen mehrere Demonstrationen stattgefunden: Für und gegen den Nachdruck der umstrittenen Mohammed-Karikaturen der französischen Satire-Zeitung "Charlie Hebdo". Sie finde es völlig in Ordnung, dass die Karikaturen veröffentlicht wurden, betont diese Demonstrantin auf dem Taksim-Platz.
    "Jeder soll seine Meinung frei äussern dürfen. Es sollte keine Beleidigungen geben, aber auch darauf sollte nicht mit Mord reagiert werden."
    Sie haben Muslime beleidigt, empört sich ein Gegendemonstrant. Die Ungläubigen, die für diese Zeitung arbeiten, werden bezahlen für das, was sie getan haben - wenn nicht in dieser Welt, dann im Jenseits. Die Kouachi-Brüder sind unsre Ehre.
    Trotz punktueller Erregung ist es friedlich geblieben in der Türkei. Aber viele haben wegen der Karikaturen die Fäuste geballt. Unter ihnen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan.
    "Meinungsfreiheit gibt niemandem das Recht, respektlos mit religiösen Werten umzugehen. Wer unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit den islamischen Propheten auf hässliche Art und Weise karikiert, der sollte wissen, wem er damit wehtut und wie er die Zündschnur für Provokationen anbrennt."
    Meinungsfreiheit oder Beleidigung? Auch in der Türkei scheiden sich daran die Geister. Für Utku Cakirözer ist die Sache klar. Als Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet" war er maßgeblich an der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in der Türkei beteiligt.
    "Wir möchten damit die Meinungsfreiheit unterstützen. Meinungsfreiheit muss verteidigt und darf nicht durch Terror verhindert werden."
    Vor gut drei Wochen erst hat Präsident Erdoğan der Türkei bescheinigt, es sei das Land mit der freiesten Presse. Derlei Äußerungen rufen nicht nur bei der Organisation Reporter ohne Grenzen Kopfschütteln hervor. Sie listet die Türkei auf Rang 154 von 180 Staaten. Reporter, Journalisten, Publizisten und Zeichner haben's oft nicht leicht im Lande Erdoğans, beteuert der Karikaturist Tuncay Akgün.
    "In jüngster Zeit ist mir nichts passiert. Aber ich zeichne seit fast 30 Jahren und stand vielleicht schon 100 Mal vor Gericht."
    Vor einigen Jahren wurde der heute 60-jährige Erdoğan in einer Karikatur als Katze dargestellt. Der Zeichner wurde mit Prozessen überzogen, seine Zeitung ging fast in Konkurs.
    "Natürlich sollen die zeichnen und schreiben, was sie wollen"
    Sie schäme sich dafür, wie ihr Land mit kritischen Geistern umgehe, sagt die 38-jährige Angestellte Füsun.
    "In diesem Land hat der ehemalige Ministerpräsident und jetzige Präsident ganz viele Karikaturisten verklagt. Aber das sind doch Satiriker, das sind Künstler, Schriftsteller. Natürlich sollen die zeichnen und schreiben, was sie wollen. Es geht doch darum, alle Meinungen zu erfahren, um sich dann daraus seine eigene zu bilden."
    Die Karikierung von Propheten gehört in Zeiten religiöser Polarisierung für viele nicht zu freier Meinungsäußerung oder Meinungsbildung. Die Morde von Paris, die von den Brüdern Kouachi begangenen Grausamkeiten dürften nicht dem Islam zugeschrieben werden, beharrt Mehmet Görmez, Chef der staatlichen Religionsbehörde Diyanet.
    "Das ist inakzeptabel. Religiöse Werte zu erniedrigen, zu beleidigen und zu instrumentalisieren – das kann nicht mehr als Meinungsfreiheit angesehen werden."
    Was darf Satire, wie viel Meinungsfreiheit ist möglich? Es stehe zu befürchten, dass der jüngste Streit um Mohammed-Karikaturen nicht der letzte gewesen sei, meint diese Demonstrantin auf dem Taksim-Platz im Herzen Istanbuls.
    "Wir sind sehr traurig. Was dort geschehen ist, hat nichts mit unserer Religion zu tun. Es entsteht ein falsches Bild in der Welt und im Westen. Es werden im Namen der Religion üble Spiele getrieben."
    Meinungsfreiheit, stellte dieser Tage Regierungschef Ahmet Davutoğlu fest, dürfe kein Freischein für Kränkungen und Beleidigungen religiöser Gefühle sein. Mehr und mehr religiöse Menschen neigen in diesen Tagen dazu, ihre religiösen Gefühle verunglimpft oder beleidigt zu sehen. Die Türkei liegt hier voll im Trend vor allem islamischer Länder.